Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
fauchte der Profos. „Ich fürchte, deine widerwärtige Visage wird gleich noch ein bißchen unansehnlicher aussehen. Oder“, er drehte sich zu den anderen um, ohne seinen Griff zu lockern, „wie wär’s, wenn wir das hinterlistige Rübenschwein mit an Bord nehmen, ein paarmal kielholen und dann an der Rahnock zum Trocknen aufhängen?“
Die Seewölfe brachen in Gelächter aus.
Dan O’Flynn wurde als erster wieder ruhig. Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Einäugigen.
„Ich hab das Gefühl, er hat den Ernst der Lage noch nicht ganz erfaßt.“
Womit Dan zweifellos recht hatte, denn der Einäugige grinste unverschämt. Die Tatsache, daß sein rechter Arm nach Carberrys Hieb kraftlos herunterhing, schien ihn nicht weiter zu bekümmern. Er hatte schulterlanges schwarzes Haar. Der Hautfarbe nach mußte er ein Europäer aus südlichen Gefilden sein. Ein Spanier etwa? Seinem Akzent nach war das immerhin denkbar.
Ed Carberry wandte sich ihm wieder zu, wobei er seinen Schraubstockgriff jedoch um keinen Deut entspannte.
„So eine gelbgestreifte Kakerlake!“ Der Profos sagte es beinahe andächtig. „Dir müssen wir wohl erst ein bißchen Respekt beibringen, was, wie?“
Der Einäugige räusperte sich. Sein Grinsen wich einem geringschätzigen Gesichtsausdruck.
„Ich glaube, Gentlemen, ich muß ein wenig zur Aufklärung der Situation beitragen. Es wäre für Ihr Wohlergehen nicht besonders förderlich, wenn Sie diese Situation verkennen.“ Sein Englisch war wirklich perfekt, bis hin zur blasierten Wortwahl. Nur sein südlicher Akzent verdeutlichte, daß seine Heimat nicht das britische Inselreich war.
Ed Carberrys breite Kinnlade klappte einen Atemzug lang herunter. Dann gewann er seine Fassung zurück.
„Deine gedrechselten Reden kannst du dir sparen, Amigo. Ich rate dir, spuck es schleunigst aus, warum du uns an der Nase herumgeführt hast! Ehrenwerte Seeleute ihrer königlichen Lissy haut man nicht ungestraft in die Pfanne. Schreib dir das gefälligst hinter die ungewaschenen Löffel!“ Er stieß ihn von sich.
Der Einäugige stolperte zurück, fing aber sein Gleichgewicht ein. Demonstrativ strich er die Fetzen glatt, die er auf dem Leib trug. Dann zog er etwas aus einer verborgenen Tasche hervor und streifte es sich über den Kopf. Eine schwarze Augenbinde, die die furchtbare Wunde verdeckte.
„Zur Klarstellung, Gentlemen“, sagte er mit einem entschlossenen Ruck, wobei er den Kopf hochmütig in den Nacken warf. „Mein Name ist Laurindo de Carvalho, ich bin portugiesischer Staatsbürger und der Kapitän jenes Schiffes. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit freundlicherweise seewärts richten wollen …“ Seine Stimme triefte jetzt vor Hohn.
Schlagartig begriffen die Männer von der „Isabella“, daß das hinterhältige Spiel noch längst nicht beendet war. Wie sehr sie hereingelegt worden waren, begriffen sie, als sie sich umdrehten.
Diese Karacke, die dort draußen unter Vollzeug auf die „Isabella“ zurauschte, bildete zweifellos einen wesentlichen Bestandteil besagten Spiels.
„Himmel, Arsch und Wolkenbruch!“ brüllte Ed Carberry. „Das ist denn doch zum Auswachsen! Jetzt reicht es, Freundchen. Ich glaube, wir müssen dir erst kräftig die Hammelbeine langziehen, bis du kapierst, mit wem du dich angelegt hast.“ Er trat einen Schritt auf Kapitän Einauge zu.
„Halt!“ rief der Protugiese schneidend. „Bleiben Sie, wo Sie sind, oder es wird Ihnen leid tun!“ Mit einer raschen Handbewegung deutete er zur Seite.
Die Seewölfe erstarrten zum zweiten Male an diesem jungen Tag.
Alles spielte sich völlig lautlos ab.
Die braunhäutigen Gestalten traten aus dem Palmenwald hervor und standen in breiter Front da – wie eine Erscheinung aus heiterem Himmel. Drohend und stumm. In den Händen hielten sie Wurfspieße mit metallenen Spitzen, und an ihren Hüften baumelten Krummdolche von jener Art, wie sie auch der Portugiese gehabt hatte.
„Heiliges Kanonenrohr“, stöhnte Ed Carberry fassungslos, und er verzichtete spontan darauf, sich den Einäugigen noch einmal gründlich vorzuknöpfen.
„Das sind fünfzig, sechzig Mann“, stellte Dan O’Flynn nüchtern fest. „Sechs von ihnen erledigen wir mit den Kugeln, die wir in den Läufen haben.“
„Zuerst diesen portugiesischen Strolch“, knurrte Matt Davies, „dann die fünf nächsten.“ Beinahe liebevoll strich er mit der Linken über den im Sonnenlicht funkelnden Stahl seines Prothesenhakens.
„Und dem Rest zeigen wir, was ein Entermesser ist“, fügte Luke Morgan hinzu.
„Davon rate ich Ihnen dringend ab, Gentlemen“, sagte Kapitän Einauge herablassend. „Falls Sie glauben, daß Sie es mit furchtsamen Wilden zu tun haben, unterliegen Sie einem schweren Irrtum. In unserem kleinen Königreich verfügen wir über eine hochentwickelte kämpferische Erfahrung.“
„Jedenfalls wissen wir jetzt, daß es keine unbewohnte Insel ist“, stellte Bob Grey voller Galgenhumor fest.
Ein weithallender Schuß beendete das unerfreuliche Gespräch. Der donnernde Nachklang rollte über die Fluten.
Die Männer warfen die Köpfe herum.
Al Conroy wechselte mit einem Sprung von der soeben abgefeuerten Drehbasse zu dem zweiten Geschütz dieser Art, das auf dem Achterdeck der „Isabella“ montiert war.
Sofort begann Old Donegal Daniel O’Flynn damit, die erste Drehbasse auszuwischen und nachzuladen. Es war eine Arbeit, die dem rauhbeinigen alten Seemann geradezu Vergnügen bereitete. Sein Holzbein, das bei den meisten anderen Gelegenheiten ein Handikap war, behinderte ihn keineswegs.
Al Conroy, der stämmige schwarzhaarige Stückmeister der Galeone, schwenkte den Lauf der zweiten Drehbasse herum. Die glimmende Lunte hielt er bereit und wartete nur auf ein Zeichen des Seewolfs.
Philip Hasard Killigrew und Ben Brighton beobachteten den Erfolg des ersten Schusses. Die Optik der Spektive lieferte ein scharfes Bild. Genau vor dem Bug der Karacke war die erste Ladung eingeschlagen. Das gehackte Blei hatte einen weiß gischtenden Teppich von Fontänen emporgerissen. Wieder einmal hatte der Stückmeister seine brillanten Fähigkeiten in seinem Fach unter Beweis gestellt.
Indessen konnte von einem Erfolg dieses Schusses immer weniger die Rede sein, je mehr Sekunden verstrichen.
Die Karacke segelte nach wie vor unter Vollzeug, wenig mehr als eine Kabellänge Backbord achteraus. Und die Kerle, die an Bord das Kommando führten, hatten sich nicht im mindesten beeindrucken lassen. Möglicherweise hielten sie den Meisterschuß Al Conroys für ein Zufallsergebnis. Jedenfalls war keine Kursänderung zu erkennen.
Unverändert verfolgte der Zweimaster die Galeone – wie ein wild entschlossener Bluthund, der die Stärke des Tigers nicht erkannte, dem er im Nacken saß. Und der Tiger zögerte noch, seine Stärke auszuspielen, wußte er doch, daß der Bluthund ein höchst größenwahnsinniges Spiel trieb.
Auf der Kuhl standen Batuti und Big Old Shane bereit. Der schwarze Herkules aus Gambia und der bullige Schmied von Arwenack hatten ihre übermannsgroßen Bogen gespannt und warteten ebenfalls nur auf einen Befehl des Seewolfs. Beide fieberten darauf, mit den pulverträchtigen Utensilien aus ihrer Trickkiste zu zaubern.
Der Seewolf hatte längst auch das Besansegel setzen lassen. Die Stückpforten an der Backbordseite der „Isabella“ waren geöffnet. Dahinter leisteten Ferris Tucker, Smoky, Blacky und der Kutscher schweißtreibende Arbeit, assistiert von den beiden Söhnen des Seewolfs. Hasard und Philip hatten die Kohlebecken herangeschleppt, legten Rohrwischer und Pulverschaufeln bereit und erledigten die vielen kleinen Handgriffe, die sie bereits mit nachtwandlerischer Sicherheit kannten.
Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der Arakanga-Papagei, hatten sich in Deckung verzogen. Mit sicherem Instinkt ahnten sie das Eisengewitter, das möglicherweise über die Galeone hereinbrechen würde.
Die übrigen Männer der Crew harrten auf der Kuhl und auf dem Vordeck aus. Sie wußten,