Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
anzulaufen?“
„Ja.“
„Er sagt, in der verfluchten Mentawaistraße seien wir sicher vor dem schlimmsten Sturm!“ schrie Calderazzo.
„Das merken wir ja!“ brüllte Slacks außer sich vor Wut. „Ich entere jetzt das Achterdeck, Leute, und wer mir folgen will, der soll es sich nicht zweimal überlegen! Hilfe kann ich sogar gebrauchen!“
„Ich komme!“ rief der Sizilianer, ließ die Lenzpumpe los, die er mit Shindaman zusammen bedient hatte, lief durch das aufspritzende Wasser zu dem Engländer und trat neben ihn. „Das ist ganz nach meinem Geschmack!“ fügte er laut hinzu.
Eine schlingernde Bewegung des Schiffes drohte sie beide umzureißen, doch Slacks hatte die Geistesgegenwart, sich an einem Stapel Kisten festzuhalten, ehe es ihn aus dem Gleichgewicht warf. Calderazzo klammerte sich am linken Arm des Kameraden fest, und so wurde auch er vor einem neuerlichen Sturz in das schwappende Naß bewahrt.
„Was habt ihr vor?“ schrie Ranon ihnen zu.
„Bist du mit von der Partie?“ wollte Slacks wissen.
„Nur, wenn es kein böses Blut gibt!“
„Das läßt sich jetzt nicht mehr vermeiden!“ rief der Sizilianer.
Der Inder stolperte ein paar Schritte durch den Gang zwischen den Kisten, Fässern und Ballen und näherte sich den beiden. „Ihr wollt ihn also zwingen, vom Kurs abzuweichen? Das ist Meuterei! Überlegt euch, was ihr …“
„Wir wissen, was wir tun!“ unterbrach Slacks ihn scharf. „Oder ist es dir lieber, abzusaufen?“
„Wir könnten es auch mit heiler Haut überstehen!“ fuhr Ranon ihn an. „Bei einer Meuterei bin ich nicht dabei!“
„Keine Angst, wir springen schon nicht zu rauh mit dem Alten um“, sagte Slacks. Dann stieß er Ranon, der eine drohende Haltung einnahm, vor die Brust, daß dieser zurücktaumelte.
Slacks drehte sich um und hastete zum Niedergang, gefolgt von dem Sizilianer.
Der Inder verlor auf dem schlüpfrigen, tanzenden Deck die Balance und fiel hin. Die „Malipur“ senkte ihren Bug tief in ein Wellental, und das Leckwasser floß von achtern nach vorn durch den Gang und überspülte seine Gestalt. Ranon tauchte mit dem Kopf unter, schluckte Wasser und suchte mit den Händen nach einem Halt. Er fand ihn an einer der Zurrings der Tuchballen, richtete sich mit dem Oberkörper wieder auf und spie die Flüssigkeit mit einem Fluch aus. Er schüttelte sich, rappelte sich ganz auf und wandte sich zu Shindaman und Dobro um.
„Pumpt weiter!“ rief er ihnen zu. „Ich will zusehen, daß ich ein Unheil verhindern kann!“
Mit diesen Worten verließ auch er in aller Hast den Frachtraum und versuchte, den Engländer und den Sizilianer noch einzuholen, bevor sie vom Achterkastell auf die Kuhl hinaustraten.
Der Bengale und der Malaie blickten sich im Dunkel des Schiffsraumes über die Lenzpumpe hinweg an. Sie schüttelten die Köpfe, zuckten mit den Schultern und griffen nach dem beidseitig zu bedienenden Schwengel der Pumpe. Mit den Rükken gegen die Bällen gepreßt und die Füße so fest wie möglich auf die Planken gestemmt fuhren sie fort, das Wasser aus dem Bauch der Galeone zu pumpen. Ihre Mienen waren hart und verbissen. Sie wußten, daß ihr Werk eine wahre Sisyphusarbeit war, denn es drang nach wie vor mehr Wasser ein, als sie hinausbefördern konnten. Trotzdem pumpten sie weiter, als hinge von ihnen allein das Wohl der „Malipur“ ab.
Joslin fühlte, wie ihn die Angst übermannte und nicht mehr losließ. Bislang hatte er alle Hoffnung darauf gesetzt, daß der Seegang und der Wind sich etwas mäßigen würden, wenn sie mit der Galeone tiefer in die Mentawaistraße eindrangen. Jetzt aber sah er ein, daß er sich in diesem Punkt getäuscht hatte.
Und noch etwas trug erheblich zum Aufkeimen seiner Furcht bei: Er hatte den deutlichen Eindruck, daß er das Ruder nicht mehr lange halten konnte. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen den Kolderstock, der sich selbständig machen wollte und zu einer gefährlichen Waffe werden konnte, wenn er seinen Griff auch nur für einen Augenblick lockerte. Dann nämlich würde der hölzerne Hebel bis nach Backbord hinüberschnellen und ihm, Joslin, möglicherweise die Beine zerquetschen, wenn er sich nicht schnell genug in Sicherheit brachte.
Diese Aussicht war aber noch lange nicht das Schlimmste, was die Gedanken des Franzosen beschäftigte. Vor wenigen Minuten glaubte er ein verdächtiges Knacken und Knirschen im Gebälk der Ruderanlage vernommen zu haben, und er wußte, daß es keine Täuschung gewesen war.
Vielleicht hatte einer der Balken oder gar das Ruder selbst schon einen Knacks davongetragen – und was das hieß, hätte selbst ein weniger erfahrener Mann als Joslin gewußt.
Das Ruder konnte brechen. Dann würde der Südsüdwest-Wind die Galeone aus dem Kurs werfen und vor sich her nach Legerwall drücken, bevor der Kapitän und seine Männer auch nur die Chance hatten, das Ruder zu reparieren.
Dann fehlt nur noch ein Mastbruch, und wir sind geliefert, dachte der Franzose, dann wirft uns der Sturm auf die Küste oder auf ein Riff, oder aber der ganze Kahn schlägt quer und säuft ab.
Jetzt war er fast bereit, seine Meinung zu revidieren und neue, anderslautende Befehle zu geben, damit er das Schiff, die Ladung und die Mannschaft retten konnte. Aber er lag noch mit sich selbst im Widerstreit, denn er wagte sich nicht auszurechnen, wie viele Tage er möglicherweise vor der Küste von Sumatra festlag, wenn er nun doch aufgab, den Sturm abwettern zu wollen.
In seine Überlegungen hinein platzten Slacks und Calderazzo.
Rene Joslin sah sie durch einen Schleier von Gischt in den Manntauen auf sich zuhangeln. Sofort war ihm klar, was sie von ihm wollten. Calderazzo war ein guter Seemann, aber er konnte unberechenbar sein, wenn sein Temperament durchbrach. Heißblütig und schnell aufbrausend, wie er war, konnte dann Furchtbares passieren. Joslin hatte den Sizilianer in den Jahren ihres Zusammenseins ein paarmal deswegen maßregeln müssen, einmal, weil der Mann in seiner Wut fast zwei andere Decksleute niedergestochen hätte, die sich auf einen Streit mit ihm eingelassen hatten. Diese beiden hatten anschließend sehr schnell wieder abgemustert.
Slacks war deshalb ein unsicherer Kandidat, weil er schon mehrfach zu verstehen gegeben hatte, daß er die „Malipur“ bald wieder verlassen würde. Joslin konnte ihm das nicht unbedingt übelnehmen, aber er hatte den Verdacht, daß der Engländer die anderen Kerle noch gegen ihn, den Kapitän, aufwiegeln würde, ehe er ihnen ein für allemal den Rücken zukehrte.
Joslins Augen waren schmale Schlitze, als sich der Engländer und der Sizilianer vor ihm aufbauten. Seine Miene war hart und verschlossen.
„Was habt ihr hier zu suchen?“ rief er ihnen zu. „Ist euer Platz nicht unten im Laderaum?“
„Wir kämpfen da unten auf verlorenem Posten!“ schrie Slacks. „Das Wasser ist schneller und stärker als wir, und bald wird es an allen Ecken und Enden in den verdammten Kahn laufen – und wir wollen in der Brühe nicht ersaufen, Capitaine!“
„Kehrt sofort nach unten zurück!“
„Capitaine!“ brüllte Calderazzo gegen das Sturmtosen an. „Das können Sie von uns nicht verlangen! Sie wissen sehr genau, wie es um die ‚Malipur‘ bestellt ist! Deshalb verlangen wir von Ihnen, daß Sie …“
„Ihr habt gar nichts zu verlangen!“ fiel ihm der Franzose aufgebracht ins Wort. „Zum letzten Mal, räumt das Achterdeck, oder ich lasse euch wegen Befehlsverweigerung auspeitschen und einsperren!“
„Nein!“ schrie Slacks ihm ins Gesicht. „Nicht mit uns, Mann, denn bevor wir absaufen und von den Haien gefressen werden, haben wir noch ein Wörtchen mitzureden an dem, was aus uns wird!“
„Wir müssen eine Bucht anlaufen!“ rief der Sizilianer.
„Genau“, pflichtete der Engländer ihm sofort bei. „Wenn nicht, gehen wir mit diesem vergammelten Dreckeimer, diesem verrotteten Seelenverkäufer, alle Mann zum Teufel!“
„Wie nennt ihr mein Schiff?“ schrie