Seewölfe Paket 9. Roy Palmer
sie werden wiederkommen. Irgendwann kriegen sie heraus, daß wir keine Munition für unsere Kanonen haben, um sie zu beschießen. Dann werden sie herüberpullen und zu entern versuchen. Sie wollen uns alle umbringen und an sich reißen, was das Schiff noch birgt.“ Er schwieg eine Weile, dann sagte er zu de la Torre gewandt: „Ich habe einen Fehler begangen. Ich hätte Ihnen Verstärkung schicken sollen, als wir die Musketenschüsse vernahmen, die Sie und Ihr Trupp auf dem Plateau abgaben.“
„Senor“, erwiderte de la Torre. „Wer hätte denn diese Verstärkung gebildet? Die Kranken etwa?“
„Wir“, sagte Francisco Sampedro und wies auf Juan Flores und einige andere Männer in seiner Nähe.
„Womit wärt ihr denn zum Land gepullt?“ fragte de la Torre. „Mit dem dritten Boot etwa, das heute nacht leckgeworden ist, als wir die Trossen und Leinen zum Land ausbrachten? Unterwegs abgesoffen wärt ihr, das ist die bittere Wahrheit. Nein, Senor Capitán, Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen. Schicksal ist nun mal Schicksal, und wir stehen ihm hilflos gegenüber.“
„Kappen wir also die Trossen und lichten wir den Notanker“, sagte de Mendoza. „Wir segeln an der Leeküste weiter – in der Hoffnung, irgendwo auf eine Siedlung und auf friedliche Menschen zu treffen. Es muß eine Lösung geben.“
De la Torre schüttelte den Kopf. „Senor, eins haben wir bei unserem Erkundungsgang herausgefunden: Wir liegen an einer Insel, und sie scheint nicht so groß zu sein, daß wir auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen hoffen dürfen. Mit anderen Worten, die Insel wird meiner Ansicht nach von diesen barbarischen Halbwilden beherrscht.“
Nach dieser niederschmetternden Nachricht ließ de Mendoza zum Land hin Posten aufziehen, weil er weitere Angriffe der Iren befürchtete. Mehr konnte er vorläufig nicht tun. Es war nicht sehr klug von de la Torre gewesen, vor versammelter Mannschaft preiszugeben, daß sie vor einer Insel lagen, aber andererseits konnte de Mendoza seinem Ersten diese Äußerung nach dem Gemetzel, dem er nur mit knapper Not entronnen war, auch nicht verübeln.
De Mendoza hatte Mühe, seine aufkeimende Verzweiflung niederzukämpfen.
Am späten Vormittag klarte es etwas auf, und erst jetzt erkannte der Ausguck, daß die Insel einer großen Bucht vorgelagert war. Pedro de Mendoza betrachtete diese Bucht im Osten durch sein Spektiv, dann fällte er seinen Entschluß.
„Primero“, sagte er auf dem Achterdeck zu de la Torre, der dicht neben ihm stand. „Unternehmen wir einen letzten Versuch. Erkunden wir diese Bucht, vielleicht gibt es dort einen Ankerplatz, der sicherer ist. Wenn wir dort auch nicht die Hilfe finden, die wir brauchen, kämen wir auf jeden Fall von dieser dreimal verfluchten Insel weg.“
„Sechs Rudergasten genügen mir, Senor Capitán“, erwiderte de la Torre mit unbewegtem Gesicht. „Ich nehme Francisco Sampedro, Juan Flores und vier andere mit, die sich noch halbwegs aufrecht halten können.“
„Es ist unser letzter Versuch, de la Torre.“
„Ja, Capitán. Er bringt uns neue Hoffnung – oder den sicheren Tod.“
6.
Durch die nachlassende Dünung pullten sie in die Bucht. Sampedro saß dem ersten Offizier auf der Ducht gegenüber, und er dachte an das, was am frühen Morgen geschehen war. Er hatte erfahren, daß de la Torre nach seinem Dialog mit Alvarez an die vordere Balustrade der Back getreten war und auf die Galionsplattform hinuntergeschaut hatte. Das konnte nur Sekunden nach dem Verschwinden des Kochs und des Moses von der Plattform gewesen sein, um ein Haar hätte der Erste sie dort also entdeckt!
Die Wahrheit beichten? Sampedro fragte sich, welchen Wert es hatte. Keiner weinte dem Geschwader-Zahlmeister de Bobadilla eine Träne nach, auch de la Torre nicht. Gestand der Koch aber, so war der Offizier gezwungen, seinem Kapitän darüber Meldung zu erstatten und Sampedro bestrafen zu lassen.
Juan Flores saß hinter Sampedro und blickte auf den Rücken des Mannes, während er sich mit dem Riemen abmühte. Der Koch war sein bester Kamerad geworden, und er, Juan, würde sich lieber totschlagen lassen, als den Mann zu verraten.
Ein Baske hatte seinen ganz besonderen Stolz und Dickschädel. Juan hatte sich selbst ‚amor proprio“ geschworen, das Gesetz der Selbsterhaltung bis zur äußersten Konsequenz, weil Francisco Sampedro es von ihm verlangte. Nie wieder würde er versuchen, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, aber er wußte, daß er es für den Koch und die anderen Kameraden opfern würde, falls das erforderlich sein würde. Was immer er tun konnte, um ihnen zu helfen – er würde es tun.
Die Jolle gelangte in den Dunstschleiern, die noch zäh über weiten Bereichen der Bucht hingen, ans Ufer. De la Torre stieg als erster aus und blickte sich mißtrauisch nach allen Seiten um. Seine sechs Begleiter zogen unterdessen die Jolle an Land.
„Ich glaube, weiter im Süden stehen Häuser“, sagte er plötzlich. „Juan, das Spektiv bitte.“
Juan Flores reichte ihm das Rohr. Der Erste hob es vors Auge und spähte durch die Optik. „Eine Stadt“, stellte er fest. „Mit einem Hafen. Wir schleichen uns etwas näher heran und versuchen, Genaueres auszukundschaften. Ich möchte zumindest feststellen, ob in der Stadt zivilisiertere Menschen leben als auf der Insel, ehe ich an sie herantrete und mit Verhandlungen beginne.“
„Gott gebe, daß wir diesmal Glück haben“, sagte Francisco Sampedro.
Sein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Keine halbe Stunde später wurden sie zwei Meilen nördlich von Westport von Uniformierten gestellt, die als Reiterpatrouille des Gouverneurs Bingham einen Routineausflug unternommen hatten – und nun fündig wurden. Acht Mann, die ihre Musketen auf die Spanier richteten …
„Die Waffen weg“, befahl ihr Anführer, ein Leutenant der Stadtgarde, der von Sir Richard Bingham bezüglich „umherschweifender irischer Rebellen und spanischer Bastarde“ seine präzisen Anweisungen erhalten hatte.
De la Torre und seine sechs Männer befolgten den Befehl, denn sie hatten nicht die geringste Chance, sich mit ihren Säbeln und Schiffshauern gegen die Schußwaffen der Engländer zu behaupten.
De la Torre beherrschte die englische Sprache recht gut. Er verstand nicht nur die barschen Rufe, mit denen die Reiter sie jetzt in die Stadt trieben, er begriff etwas später auch fast jedes Wort von dem, was der fette Mann in dem größten Gebäude Westports, der Stadtkommandantur und Verwaltung, zu ihnen sagte.
Sir Richard Bingham – er betrachtete die sieben Jammergestalten mit angewiderter Miene und bedeutete den Gardisten, sie ja nicht zu nah an sein Pult heranzudirigieren.
„Spanisches Lumpenpack, heruntergekommene Bastarde“, urteilte er. „Wer, zum Teufel, hat euch die Erlaubnis gegeben, hier frei herumzulaufen? Von welchem Schiff stammt ihr? Himmel, man muß diese stinkenden Hunde untersuchen lassen, denn es könnte sein, daß sie uns die Cholera nach Westport bringen. Wer seid ihr? Was wollt ihr?“
De la Torre war nicht so dumm, ihm auf englisch zu antworten. Er erkundigte sich vielmehr in seiner Muttersprache: „Versteht hier jemand Spanisch?“
„Lieutenant“, sagte Bingham. „Offenbar ist keiner von diesem Gesindel unserer Sprache mächtig. Holen Sie sofort einen Dolmetscher – und den Arzt, verdammt noch mal. Und daß mir sonst keiner in die Kommandantur kommt, verstanden?“
„Ja, Sir.“
Bingham wollte auf keinen Fall von diesem Killigrew, diesem Ribault oder einem ihrer Männer gestört werden, denn er rechnete damit, daß sie ihm kräftig ins Handwerk pfuschten, wenn sie erst einmal mitansahen, wie er mit solchen Gefangenen wie diesen umzuspringen pflegte. Obwohl er gegen die Spanier kämpfte, sollte dieser Seewolf ein ritterlicher Typ sein, und es konnte gut möglich sein, daß er und seine Kameraden mit so rüden Methoden, wie Bingham sie anwandte, nicht einverstanden waren. Killigrew, so schätzte der Gouverneur, war glatt in der Lage, ihm diese sieben Gefangenen wegzunehmen.
Bingham hatte keine Skrupel, diese Burschen einzeln über die Klinge springen zu lassen, aber erst, wenn er von ihnen erfahren