Seewölfe Paket 9. Roy Palmer

Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer


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Bobadilla blickte sich um und überlegte, ob er nicht doch den Rückzug durchs Schiff antreten sollte. Aber die Sache war ihm nicht geheuer. Er entschloß sich, den unbequemeren Weg zu wählen, und nickte Alvarez zu.

      Dieser flüsterte: „Du kannst oben ja den Wachwechsel abwarten und dich bei der Gelegenheit zurück in deine Kammer stehlen.“

      Luis de Bobadilla hielt dies für einen annehmbaren Vorschlag. Also schloß er sich Alvarez an, der den Niedergang hochschlich, das Schott öffnete und vorsichtig ins Freie spähte.

      Vom Morgengrauen war noch nicht viel zu bemerken. Ein dichter Vorhang aus Nebel, Gischt und Regen lag über dem Schiff. Der Regen hatte nachgelassen, es nieselte nur noch, aber dieses sprühfeine Wasser trug mit zu den schlechten Sichtverhältnissen bei.

      Alvarez bedeute seinem „Handelspartner“ durch eine Geste, daß die Luft rein war. Sie pirschten sich an Deck, schlossen das Schott, stiegen über den Steuerbordniedergang zur Back hinauf und duckten sich hinter die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zur Kuhl bildete.

      De la Torre und Vallone konnten sie vom Achterdeck aus – wo sie sich bereits seit einiger Zeit aufhielten – garantiert nicht sehen.

      Alvarez’ Lager auf dem Vorkastell bestand aus einem zeltartigen Verschlag, den er aus gewachstem Segeltuch neben der Segellast aufgebaut hatte. De Bobadilla konnte nicht begreifen, wie man dort richtig schlafen konnte, gewisse Phänomene aus der Seefahrt und dem Bordleben würden ihm nie begreiflich werden.

      Alvarez grinste breit. „Also, ich krieche jetzt in meine Koje“, sagte er. „Bis zum Wecken sind’s noch zwei Glasen, das will ich wahrnehmen. Ich habe zwar eigentlich Wache, aber meine Arbeit in der Kombüse habe ich erledigt, und ich sehe nicht ein, wieso ich tatenlos ’rumhängen soll. Gute Nacht, Amigo.“

      „Guten Morgen“, murmelte de Bobadilla. Es war kalt, der Sturmwind zerrte an seiner Gestalt, und der Nieselregen machte sich bereits unangenehm auf seiner Perücke bemerkbar.

      Das Ganze ging ihm gründlich gegen den Strich, und er wollte bereits Anstalten treffen, ins Vordeck zurückzukehren, um doch den gewohnten Weg durchs Schiff zu wählen, da entdeckte er eine Gestalt auf der Kuhl.

      So tief wie möglich duckte sich de Bobadilla hinter die Balustrade. Er spähte zwischen zwei Taljen hindurch und erkannte Vega de la Torre, der über das schaukelnde Deck auf das Vorkastell zumarschierte.

      De Bobadilla wies Alvarez durch eine Gebärde auf seine Entdeckung hin. Alvarez preßte einen Fluch hervor, schob sich neben den Zahlmeister und raunte ihm zu: „Los, ’runter mit dir auf die Galionsplattform. Ich halte den Ersten schon auf. Weiß der Teufel, wieso der ausgerechnet jetzt hier aufkreuzt. Wegen mir kann er nicht mißtrauisch werden, ich hab ja sowieso Wache.“

      5.

      Im Mittelgang des Vorschiffs, nicht weit vom Eingang des Mannschaftslogis’ entfernt, traf Francisco Sampedro mit dem verschlafen blinzelnden Juan Flores zusammen.

      „Wieso sind Sie denn schon auf?“ fragte Juan. „Haben wir beide nicht Freiwache, Senor Francisco?“

      „Schon“, erwiderte der Koch grimmig. „Aber ich bin eben durch Zufall Zeuge einer verdammten Schweinerei geworden. Eigentlich sollte ich dir davon nichts erzählen, aber ich habe eine solche Wut im Bauch – Himmel, ich kann einfach nicht schweigen.“ Leise berichtete er, daß er de Bobadilla und Alvarez bei ihrem heimlichen Handel beobachtet hatte. Nur ein paar Worte von dem, was sie gesprochen hatten, hatte er aufschnappen können, aber er hatte deutlich genug gesehen, wie Goldmünzen und Segeltuchsack den jeweiligen Besitzer gewechselt hatten.

      Und purer Zufall war es nicht, daß Sampedro den Kerlen auf die Schliche gekommen war. Der Koch hatte nämlich wie de Mendoza schon seit einiger Zeit den Verdacht, daß der Zahlmeister und der Proviantmeister „nicht ganz sauber“ waren. Jetzt hatte er sich die Gewißheit verschafft, und glaubte, vor Wut erstikken zu müssen wegen dieser Ungeheuerlichkeit. De Bobadilla schlug sich auf Kosten der gesamten Besatzung den Bauch voll und umging mittels Bestechung die Rationierung!

      „So eine Gemeinheit“, flüsterte Juan Flores. Er war fassungslos.

      „Ich glaube, die Kerle sind auf die Back geklettert“, zischte Sampedro. „Weißt du was? Ich verlasse das Vordeck durchs vordere Schott, steige von der Galionsplattform auf die Back und sage den Hunden mal gründlich meine Meinung. Wer weiß, wie lange die diese Sauerei schon betreiben.“

      „Sollten wir nicht lieber Kapitän de Mendoza Meldung erstatten?“

      „Nein. Ich erledige das allein. Auf meine Art.“

      Köche an Bord von Schiffen genossen eine Sonderposition. Wenn sie ihr Fach verstanden und so ehrlich und hilfsbereit waren wie Francisco Sampedro, wurden sie von der Mannschaft geschätzt und geachtet wie ein Offizier. Daraus rührte nun Sampedros Überzeugung, die Dinge auf seine Weise bereinigen zu können.

      Angst vor Alvarez und de Bobadilla? Nein, die hatte er nicht.

      „Ich komme mit“, stieß Juan hastig hervor. „Sie brauchen doch Unterstützung, Senor Francisco – und vielleicht einen Zeugen.“

      „Ach was. Leg dich wieder schlafen.“

      „Senor …“

      „Das ist ein Befehl.“

      „Ich bitte Sie darum, mitgehen zu dürfen.“

      „Du bist krank, brauchst Ruhe und hast an Oberdeck nichts zu suchen“, sagte Sampedro beharrlich.

      „Es geht mir schon viel besser, dank der Medizin, die Sie mir gegeben haben. Das vergesse ich Ihnen nicht, Senor Francisco. Sie haben mir geholfen, jetzt helfe ich Ihnen.“

      Sampedro mußte lächeln. trotz des Zorns, der in ihm gärte. „Juan, das rechne ich dir hoch an. Allein deine gute Absicht zählt für mich. Aber jetzt gehorche.“

      „Ich kann es nicht zulassen, daß Ihnen was passiert“, versetzte der Junge. „Ich hätte das dann auf dem Gewissen, und ich schwör’s Ihnen, Senor, ich würde mich wirklich in die See stürzen. Bezichtigen Sie mich ruhig der Meuterei, der Befehlsverweigerung, aber ich kann nicht gegen meine Natur an.“

      Sampedro nickte. „Also gut. Komm. Du weckst mir sonst noch die ganze Mannschaft auf.“

      Sie schlichen zum vorderen Backbordschott. Sampedro öffnete es behutsam. Der Sturmwind drückte dagegen und entriß ihm fast die Klinke, aber der Koch war auf der Hut und verhinderte, daß das Schott gegen die Wand des Vorkastells krachte.

      Juan Flores schlüpfte an Sampedro vorbei, und so war er der erste, der Luis de Bobadilla sah.

      Der Zahlmeister hatte sich auf der Steuerbordseite der Galionsplattform zusammengekauert und hielt den Segeltuchsack an sich gepreßt. Warum er hier hockte und nicht oben auf der Back, wußte Juan im selben Augenblick, denn er vernahm, wie Sampedro, die Stimmen, die von der Back ertönten.

      Durch das Heulen des Sturms war zu hören, wie der erste Offizier Vega de la Torre zu Alvarez sagte: „Alles in Ordnung hier vorn, Alvarez?“

      „Aber sicher doch“, erwiderte der Proviantmeister. „Sonst hätte ich mich schon gemeldet. Was sollte wohl auch nicht in Ordnung sein? Wir können froh sein, daß wir dieses geschützte Plätzchen gefunden haben, nicht wahr?“

      „War hier nicht eben ein zweiter Mann auf Back?“

      „Hier? Ach wo …“

      „Vallone und ich meinten, eine zweite Gestalt gesehen zu haben“, sagte de la Torre unbeirrt.

      Francisco Sampedro hatte das Schott geschlossen und schritt neben Juan Flores über die Galionsplattform auf Luis de Bobadilla zu.

      Der begriff jetzt, daß Alvarez mit seiner Vorsicht nicht übertrieben hatte. Das Geräusch, das er unter Deck vernommen hatte, konnte nur von dem Koch oder dem Moses verursacht worden sein. Die beiden mußten mitgekriegt haben, was sich abgespielt hatte. Das


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