Seewölfe - Piraten der Weltmeere 93. Fred McMason
Land, ebenfalls nur noch ganz schwach und undeutlich durch das Spektiv zu erkennen, war schroff, felsig, kahl und trostlos. Ab und zu blies eine Fontäne aus dem Meer, Wale tauchten auf, die die „Isabella“ neugierig ein Stück begleiteten und dann wieder in der schäumenden See verschwanden.
Etwas später begann das, was der Seewolf befürchtet hatte. Der stetig blasende Südwestwind schlief ein. Unmerklich erst, dann immer schneller nachlassend, legte er sich. Nur die Wogen verloren nichts von ihrer Stärke. Pausenlos rollten sie heran, hoben das Schiff hoch, setzten es in die gähnenden Abgründe riesiger Täler und wiederholten Sekunden später das gleiche Spiel.
Will Thorne, der Segelmacher, erschien auf dem Achterdeck. Sein Gesicht war sorgenvoll verzogen, als er mit dem Daumen in die Takelage deutete.
„Kann sein, daß jetzt gleich Böen einfallen“, sagte er, „genausogut ist es möglich, daß wir stundenlang in einer Flaute treiben. Daher sollten wir uns jetzt entscheiden. Schlagen wir die Schlechtwettersegel an, oder lassen wir das andere Zeug stehen?“
Bisher hatte sich keine Gelegenheit ergeben, die Segel auszuwechseln. Jetzt wurde es allerdings höchste Zeit. Das leichte Zeug mußte herunter, selbst wenn Hasard das Risiko einging, vor Topp und Takel zu lenzen. Allzu lange würde es ohnehin nicht dauern, obwohl es eine höllische Knochenarbeit war.
„Nein, wir müssen sie auswechseln“, sagte Hasard. „Wenn der Wind hart einfällt, reißt er uns alles zusammen. Wir beginnen mit dem Großmars und lassen vorläufig nur die Sturmsegel stehen, falls es böig wird.“
„Nicht vor Topp und Takel?“ fragte der alte Segelmacher.
Hasard entschied sich nach kurzem Nachdenken.
Topp und Takel bezeichnet den Zustand eines Schiffes, das in einem schweren Sturm ohne Segel treibt, das nicht beigedreht, sondern vor dem Wind lenzt. Dazu legt man Trossen aus, die wie ein Treibanker wirken und das Schiff halten.
„Nein, wir laufen normal weiter, es wird sowieso nicht mehr als ein vorläufiges Dahindümpeln.“
Thorne grinste leicht, denn der Seewolf untertrieb beträchtlich. Das sogenannte Dahindümpeln bestand immer noch aus haushohen Wellenbergen, vor denen sich so mancher, der sie nicht gewöhnt war, bekreuzigt hätte.
Aber die einmalige Gelegenheit mußte genutzt werden, und so gab Hasard den Befehl an Carberry, die Großmarsrah abzufieren, das Segel zu bergen und das Schlechtwettersegel anzuschlagen.
An Deck ging es augenblicklich los. Carberry war wieder in seinem Element und stemmte die Arme in die Hüften.
„Hopp, hopp, ihr triefäugigen Walfische!“ schrie er. „Brassen klar zum Laufen, ’runter mit dem Zahnstocher! Wo, zum Teufel, bleibt das Schlechtwettersegel, ihr Kerle, was, wie?“
Vier Männer schleppten es unter Aufbietung all ihrer Kräfte. Der riesenhafte Batuti, Big Old Shane, Ferris Tucker und Smoky, der Decksälteste.
Die Großrah wurde abgefiert. Die Männer arbeiteten schnell und geschickt mit flinken Fingern. Daher dauerte es auch nicht lange, bis das neue Segel angeschlagen war und die Großmarsrah bald wieder in luftiger Höhe hing.
Einmal briste es kurz auf, doch etwas später herrschte wieder der alte Zustand. Kein Wind, dafür hohe Wellen, und am verschwommenen Horizont eine graue Bank aus Dunst, Nebel und Fetzen, die sich unheilverkündend heranschob.
Carberry runzelte die Brauen. Sein Rammkinn war vorgeschoben, er „roch“ den Wind und peitschte die Männer zu artistischen Leistungen an.
„Schlaft nicht, ihr schwangeren Kakerlaken!“ schrie er und packte auch selbst überall mit an. „So ein kleines Schiffchen ist doch im Nu auf andere Segel umgerüstet. Früher hat das mein Moses ganz allein hingekriegt, in der halben Zeit, und dabei hatte er noch hohes Fieber und war todkrank! Hopp, ihr müden Säcke, fiert weg den Besan, belege das!“
So ging es weiter. Carberrys saftig gewürzte Kommandos sorgten dafür, daß die Arbeit nur halb so schwerfiel. Trotz der Kälte lief den Seewölfen der Schweiß über die Gesichter.
Zuletzt wurde die Blinde angeschlagen, und da fielen bereits die ersten Böen ein.
Leichter, schralender Wind kam auf, dem eine totale Flaute folgte, dann eine wilde Bö, die Gischt über die See trieb wie lange spinnige Arme, und die heulend und fauchend in die Schwerwettersegel fuhr, sie blähte, bis sie aus den Lieken zu reißen drohten, dann wieder, bei der nächsten Bö, ein knatterndes Killen.
„Die Schoten dichter holen!“ schrie Ed mit Donnerstimme. „Sonst killen die Segel, und dann haben wir den ganzen Krempel an Deck liegen. Noch dichter holen, Mann!“ schrie er den schwitzenden Matt Davies an, der die Schoten um seine Hakenprothese schlang und mit aller Kraft daran zerrte.
„Die Blinde bleibt im Gei hängen!“ brüllte er zum Vordeck. „Den Lappen brauchen wir nicht! Und haltet euch, verdammt, bereit, weil wir gleich auf den anderen Bug gehen werden!“
Bisher war die „Isabella“ über Backbordbug gesegelt, aber jetzt begann der Wind aus einer anderen Richtung zu blasen, und der Profos hatte sofort das richtige Gespür dafür.
Er sah den Seewolf an, der ihm lächelnd zunickte.
„Ganz richtig, Ed“, sagte Hasard. „Hier unten, in dieser lausigen Ecke, gibt es eine Regel, die schon Francis Drake kannte. Hier wird bei südwestlichen Winden über Backbordbug gesegelt, bei nördlichen Winden über Steuerbordbug, selbst wenn man dabei weit nach Süden versetzt wird. Davon darf man sich nicht beirren lassen. Aber warte noch ab, es kann sein, daß der Wind noch einmal dreht, dann sparen wir uns das Manöver.“
Der unberechenbare Wind dachte nicht daran, den Männern einen Gefallen zu tun. Er drehte nur um ein Minimum, aber das reichte völlig. Es blieb ihnen nichts anders übrig, als auf den anderen Bug zu gehen.
Jetzt kamen auch die ersten Seen über, und die gespannten Strecktaue erwiesen sich als nützlich.
„Klar zum Wenden!“ erfolgte Hasards Befehl.
Die „Isabella“ ging über Stag. Eine neue Schufterei begann. Die Männer fanden keine Ruhe.
Die Brassen waren klar zum Laufen, das Kommando Luv zum Wenden erfolgte, das Schiff ging langsam zwölf Strich durch den jetzt immer stärker heulenden Wind.
Der Besan wurde mittschiffs geholt, die Vorschoten auf der Back gefiert, den Fockbrassen wurde Lose gegeben.
Nach „Ruder in Lee“ und „achtern rund“ schwenkten die Achtertoppen von selbst herum, bis die „Isabella“ achtern vollen Druck auf das Ruderblatt kriegte.
Anschließend wurden die Brassen blitzschnell durchgeholt, der Besan gefiert, und bei „rund vorn“ die Vorrahen gegen den Wind geholt. Als dann der Vortopp herumgebraßt wurde, lag das Schiff schon wieder beim Wind und auf dem neuen Bug. Jetzt wurde bei südöstlichen Winden über Steuerbordbug gesegelt.
Die See begann zu schäumen, der Bug tauchte wild ein und hob sich wie ein zorniger Gott aus dem nassen Element wieder hervor.
Oben, im Großmars, wurde Dan O’Flynn gehörig durchgeschüttelt, als das Schiff stark zu krängen begann, als Brecher über Brecher über Deck tobten und nur schwerfällig durch die Speigatten abflossen.
Hasard schätzte die Zeit, bis sie die Magellanstraße erreichten, noch auf etwa zwei Stunden.
Er wollte dichter an Land heran, so nah, daß man die Küste auch mit bloßen Augen erkennen konnte, doch nach kurzer Überlegung verwarf er den Gedanken wieder. Es hatte keinen Zweck, das wildzerklüftete Land erwies sich im Küstenbereich als äußerst tückisch und gefährlich. Überall gab es tiefe Einschnitte, vorgeschobene Felsen und unsichtbare Riffe. Dazu kam die Drift, die das Schiff ständig leicht versetzte.
Nein, es war besser, nicht zu nahe an der Küste zu segeln, andererseits durfte es nicht passieren, daß sie auf ihrem Kurs, von den Falklandinseln kommend, die Einfahrt in die Magellanstraße bei Kap de la Virgines verfehlten.
Hasard erinnerte sich an die Zeit