Seewölfe - Piraten der Weltmeere 93. Fred McMason
Der wild blasende Sturm – jetzt aus Westen – trieb sie zurück, immer weiter von der Küste fort, bis sie als Strich am Horizont verschwand.
Alle seemännischen Tricks, Künste und Erfahrungen halfen nichts, sie schafften es nicht, näher heranzukommen. Da halfen keine kurzen Kreuzschläge, da halfen auch keine langen Kreuzschläge gegen den Wind, es trieb sie nur immer weiter fort.
Das Gewitter hatte sich gelegt, nur der Sturm und die wilde See waren unverändert geblieben.
Ben Brighton sah von seinen Berechnungen auf. Er schüttelte ärgerlich den Kopf, als er Hasard ansah. Selbst hier, im Ruderhaus, mußte er laut brüllen, um verstanden zu werden.
„Wir geraten immer weiter nach Südosten!“ schrie er. „Der Sturm versetzt uns!“
Hasard kannte die untere Ecke dieses Kontinents nur vom Hörensagen. Was weiter südlich der Magellanstraße lag, war für ihn und die anderen Neuland. Auf den Karten war es eingezeichnet, doch so schlecht, daß ihn schon jetzt davor graute, jemals mit diesem letzten südlichen Zipfel Bekanntschaft zu schließen.
Dort unten gab es Eis, wie er gehört hatte, erbarmungslose Kälte, Einsamkeit, eine Hölle, wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen konnte.
Eine gigantische Woge hob die „Isabella“ in diesem Augenblick hoch empor, versetzte das Schiff um die halbe Längsachse und warf es wie ein Stück Treibholz in einen schaumigen, brüllenden Abgrund hinunter, in einen Kessel, in dem es kochte und brodelte.
Ein harter Ruck ließ das Schiff erzittern. Eine Sekunde lang stand es völlig still, dann schob sich eine gläserne Wand über die Galeone, schmetternde Schläge erklangen, als flögen alle Planken einzeln davon.
Der Brecher überrannte das Ruderhaus, warf die Männer durcheinander und zersplitterte die Bleiglasscheibe, deren Scherben nach allen Seiten flogen.
Die Seekarten schwammen im Ruderhaus, das Wasser lief nur sehr langsam ab, und Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, kam mühsam auf die Beine.
„Verdammt“, sagte er wütend, „das hat uns einiges gekostet.“
Zwischen zwei heranrollenden Wellenbergen sah er zum Besan. Die Gaffelrute war zersplittert, das aufgegeite Lateinersegel hing in Fetzen daran. Es sah aus wie ein alter Lappen.
Aber zu seiner großen Verwunderung standen die beiden Sturmsegel noch, wie er ungläubig feststellte.
Hasard klaubte die nassen Seekarten zusammen, legte sie auf den kleinen, von Tucker gezimmerten Tisch und strich sie glatt.
„So geht es nicht weiter“, sagte er ruhig, während er sich bei den wild rollenden Bewegungen des Schiffes einen festen Halt verschaffte. „Wir treiben weiter und weiter vom Land weg und werden dabei immer südlicher versetzt. Und während wir dahintreiben, zertrümmert die See unser Schiff zu einem Wrack.“
„Was sollen wir dann tun?“ fragte Ben Brighton. Er wischte sich mit einer fahrigen Bewegung das Salzwasser aus dem Gesicht. „In spätestens einer Stunde wissen wir nicht mehr, wo wir sind. Es wird schwerfallen, die Einfahrt zur Magellanstraße wiederzufinden.“
„Schiff drei Strich Backbord voraus!“ brüllte Dan O’Flynn aus Leibeskräften aus dem Großmars. Er war klatschnaß, die rollende wilde See, die über das Schiff hinweggedonnert war, hatte ihn fast verschlungen.
„Enter ab!“ schrie der Seewolf zurück. „Sieh zu, daß du an Deck kletterst. Der nächste Brecher nimmt den Mast mit, dann kann dir niemand mehr helfen!“
Dan nickte zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Aber er wollte eine bessere Gelegenheit abwarten, um abzuentern.
Jetzt erst sah sich Hasard nach dem anderen Schiff um. „Eiliger Drache über den Wassern“ konnte es nicht sein, sonst hätte Dan es gleich gemeldet.
Auf dem höchsten Punkt einer Woge sahen sie es dann. Eine dickbauchige kleine Galeone, ein Spanier war es, dessen Masten über Bord gegangen waren, an dessen Deck das Chaos herrschte und der vor Topp und Takel lenzte, seiner letzten Reise entgegen.
„Scheint niemand mehr an Bord zu sein“, sagte der Seewolf nach einem langen Blick durch das Spektiv. Zu sehen war die Galeone schlecht, dazu war die See zu bewegt, und die Schlingerbewegungen des Schiffes verhinderten es, ruhig das Glas zu halten.
Aber ab und zu sah er sie doch. Das war dann der Fall, wenn die „Isabella“ einen Wogenkamm erreicht hatte und ins Tal geschleudert wurde.
An Deck war wirklich niemand zu sehen, und Hasard berichtigte sich auch gleich selbst. Das Schiff lenzte nicht vor Topp und Takel, es war zum Spielball entfesselter Naturgewalten geworden, die es hin und her warfen. Das einzige Beiboot bestand nur aus zerfetzten Planken, von den Masten waren noch die Stümpfe zu erkennen, und es krängte so stark nach Steuerbord, daß es jeden Augenblick die See schlucken würde.
Der Kolderstock schwang hin und her, ein Zeichen, daß die Galeone auch kein Ruderblatt mehr hatte. Die Wellen hatten die Mannschaft allem Anschein nach über Bord gewaschen.
Die nächste Woge rollte heran, hob die stark krängende Galeone hoch und setzte sie dann so laut ins Wasser zurück, daß man das Krachen und Bersten bis hierher hören konnte.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann ihr Schicksal besiegelt war und sie unterging.
„Keine Überlebenden“, sagte Hasard im Selbstgespräch. „Und wenn es doch einige gibt, die in der See treiben, können wir ihnen auch nicht helfen.“
Die Männer nickten schweigend. Hier hatte die See erbarmungslos zugeschlagen und viele Männer den Tod gefunden.
Was machte es da schon für einen Unterschied, ob es Spanier oder Engländer waren? Geholfen hätten sich die Todfeinde gegenseitig, in solchen Augenblicken war der Haß vergessen, da zählte nur der Seemann, das war ungeschriebenes Gesetz, auch wenn es ab und zu Ausnahmen gab.
Nein, sie sahen in der aufgewühlten See keinen einzigen treibenden Mann, man hätte ihn zwischen den hochgehenden Wogen auch ohnehin nicht entdeckt.
Jetzt tauchte das zerschlagene Schiff ein zweites Mal auf.
Die Blinde, Bugspriet und Galionsfigur fehlten, im Rumpf klaffte ein großes Loch, in das Seewasser in riesigem Schwall hineinschoß.
Es drückte den Spanier immer mehr zur Seite, bis er wie ein wundes Tier auf der Seite lag und sein zerfetzter Rumpf sich in ungleichen Zügen hob und senkte.
Ferris Tucker ging der Untergang eines Schiffes immer ganz besonders an die Nerven. Vielleicht, weil er mit dem Holz, aus dem sie gebaut waren, verwachsen war, vielleicht aber erinnerte ihn der Anblick auch an einen sterbenden Menschen.
Das Deck war jetzt überspült, es neigte sich der Wasserfläche zu, die Maststümpfe berührten die Oberfläche.
Die nächste See brachte den müden, voll Wasser gelaufenen Schiffsrumpf nicht mehr nach oben. Sie überrollte den Spanier, drückte ihn weg und riß ihm noch ein paar Planken aus dem Leib.
Hasard setzte das Spektiv ab und suchte nach einem Halt, denn jetzt setzte ihnen das Meer wieder höllisch zu.
„Die Galeone ist gesunken“, sagte er.
Niemand sprach ein Wort. Durch das zerschlagene Fenster sahen sie zu, wie Dan O’Flynn geschickt aus den Wanten abenterte und die nächste Gelegenheit nutzte, um an Deck zu springen. Gischt hüllte ihn ein, er war durchgefroren und klamm, als er sich an den Strecktauen mühsam seinen Weg nach achtern bahnte.
Am Niedergang zum Achterkastell riß ihn fast eine Woge fort. Dan verkrümmte seinen Körper, bis er ganz flach wurde, hielt die Luft an und wartete, bis das Inferno aus salzigem kalten Wasser über ihn hinweggerauscht war. Klatschnaß erschien er im Ruderhaus.
„Ist das ein Wetter“, murmelte er. „Da ist mir ja fast die grüne Hölle am Amazonas lieber.“
„Hör bloß auf damit“, brummte Tucker. „Das eine ist so schlecht wie das andere.“