Seewölfe - Piraten der Weltmeere 93. Fred McMason
geschoben, aber zu jener Zeit hatte der Wind günstig aus Ost geweht und die Wellen waren nicht einmal halb so hoch geworden.
Er schrak aus seinen Gedanken, als der Wind plötzlich mit fürchterlicher Gewalt heranheulte. Wütend fuhr er in die Segel, als wollte er versuchen, die „Isabella“ auf den Kopf zu stellen, um sie in die Tiefe zu drücken.
„Das gibt tatsächlich einen ausgewachsenen Orkan“, sagte Ben Brighton mißmutig. Der Sturm riß ihm die Worte von den Lippen und trug sie fort, so daß Hasard kaum etwas verstand.
Der Seewolf hob die Hände und legte sie trichterförmig vor die Lippen. Er mußte schreien, damit ihn Carberry verstand.
„Runter mit dem Zeug, Ed!“ brüllte er. „Laß nur die Sturmsegel stehen, sonst werden wir kopflastig!“
„Aye, aye!“ brüllte der Profos zurück.
Wieder ging eine Schufterei los, die den Männern das Letzte an Kraft abverlangte.
Die Segel wurden aufgegeit, dichtgeholt und eingebunden, damit der brüllende Sturm keine Angriffsfläche fand.
Brecher über Brecher donnerten über Deck. Die Männer verkrallten sich in den Manntauen, um nicht unversehens von einer gewaltigen See über Bord gewaschen zu werden.
Hasard sah nicht mehr den Horizont, er sah auch nicht mehr das Land, und wieder fluchte er unterdrückt. Wie, zum Teufel, sollten sie bei diesem brüllenden Unwetter jemals die Magellanstraße passieren?
„Halt dich fest, Batuti!“ schrie er durch das Tosen der immer wilder brüllenden Elemente.
2.
Der Gambianeger war einen Moment unaufmerksam gewesen. Er griff nach dem auf Deck gespannten Tau, aber eine schäumende, brüllende See wälzte sich in diesem Augenblick wild und grollend heran, trug Hunderte von Tonnen Wasser mit sich und überflutete Vordeck und Kuhl mit einer Sintflut, die kein Ende nahm.
Batuti wurde fortgerissen, die „Isabella“ legte sich schwer auf die Seite, von der Wucht der Wasserberge niedergedrückt, und richtete sich nur schwerfällig auf.
Batuti raste davon. Der Schrekkensschrei der anderen gellte ihm noch in den Ohren. Unvorstellbare Gewalten trugen ihn fort, hoben ihn hoch empor. Unter sich sah er die Nagelbank, die schäumend überspült wurde, das Wasser erdrückte ihn fast, er kriegte keine Luft mehr, konnte nicht mehr atmen. Seine Lungen füllten sich mit kaltem, salzigem Wasser, und seine unfreiwillige Reise nahm immer noch kein Ende.
„Herrgott“, sagte Carberry laut, der sich in das Strecktau mit aller Kraft verkrallt hatte, „laß ihn nicht über Bord gehen, wir würden ihm nicht helfen können!“
So dachten auch die anderen Männer, denen es gelungen war, sich einen festen Halt zu verschaffen. Wer bei dieser brüllenden See über Bord ging, dem konnte niemand helfen, der war hoffnungslos in der Weite des kochenden Meeres verloren.
Das gischtende Ungetüm schleifte den Neger über Deck, wirbelte ihn hoch empor, und diesmal griff Batuti in seiner Angst blindlings zu.
Als er wieder denken konnte, hing er in den Webleinen der Leewanten und starrte benommen um sich. Vorsichtig enterte er ab.
„Verdammtes Mistwelle“, ächzte er, „tragen Batuti fort, pumpen Wasser in Balg, uuäähhh …“
„Jetzt füttert er auch noch die Fische“, lästerte Matt Davies. Er war erleichtert, daß alles so glimpflich abgelaufen war.
„Nix Fische“, würgte Batuti. „Nur geben wieder großes Welle zurück in Wasser – ah – Batuti viel kotzen!“
Auf den Gesichtern zeigte sich ein erstes erleichtertes Grinsen, als Batutis Magen sich umgekrempelt hatte. Diesmal ließ er die Strecktaue nicht mehr los, und als der nächste gläserne Berg über sie hinwegrauschte, hatte er sich festen Halt verschafft.
Dem Seewolf fiel ein Stein von der Seele, als der Neger wieder fest auf den Beinen stand. Sein Leben wäre keinen Cent mehr wert gewesen, niemand hätte ihn wieder auffischen können, wenn er außenbords gegangen wäre.
„Lascht euch am Ruder an, Pete und Gary!“ befahl er den beiden Männern, die am Ruder standen und deren Fäuste in die großen Spaken griffen und kraftvoll drehten, um das Schiff auf dem Kurs zu halten. Bei jeder schlingernden Bewegung wurden die Rudergasten hin und her gewirbelt.
Sie laschten sich fest, und Hasard befahl weiter, daß von nun an jede halbe Stunde die Rudergasten abgelöst werden sollten.
Ein Ende des Unwetters war nicht abzusehen. Es nahm noch an Heftigkeit zu. Finstere Wolkenbänke waren aufgezogen, die sich jetzt über dem Schiff entluden.
Die Sicht war gleich Null, als der erste Regen niederging. Die „Isabella“ segelte in einem lebensfeindlichen Element, das sie von unten, von oben und von den Seiten bedrohte.
Hart begann es zu prasseln. Der Wind trieb den kalten Regen in langen Schleiern vor sich her, nahm ihnen die Luft, vermischte sich mit den überkommenden Seen und hüllte alles ein. Man sah nicht mehr vom Achterkastell zur Back.
Zusehends wurde es finsterer. Gleich darauf zuckten auch schon die ersten Blitze aus der Hölle von Finsternis, die grell aufgerissen wurde, aus der es wild blitzte und grollte, die knatternde Schläge austeilte.
Wer jetzt nichts an Deck zu suchen hatte, verzog sich nach unten oder erklomm die Stufen zum Achterdeck, das noch einigen Schutz vor den entfesselten Elementen bot.
Carberry fluchte pausenlos. Außer Gary Andrews und Pete Ballie gab es niemanden, der noch trockene Klamotten trug.
Am übelsten war Dan O’Flynn dran. Er ließ sich durch nichts bewegen, seinen Ausguck zu verlassen, und jetzt war es ohnehin dazu zu spät. So hatte er sich ebenfalls angebunden, um beim starken Überholen des Schiffes nicht davongeschleudert zu werden.
Der Himmel wurde noch dunkler. Die See – jetzt einem brüllenden schwarzen Ungeheuer ähnlich – rollte pausenlos mit riesigen Bergen heran, die sich himmelhoch auftürmten und donnernd und krachend über das Schiff herfielen.
Unter der Crew gab es besorgte Gesichter. Sie hatten schon so manchen harten Sturm abgeritten und waren mit heiler Haut davongekommen, aber heute schien sich alles gegen sie verschworen zu haben. Immer größere Berge türmten sich auf, immer wieder knatterten grelle Blitze aus dem Dunkel, der Regen prasselte herunter, als wolle er alles ersticken. Die „Isabella“ wurde zum Spielball entfesselter Naturgewalten. Ächzend und stöhnend hob sie sich, wurde in tiefe Täler geschleudert, als sollte sie auf dem Grund des Meeres stranden, und dann überrollte sie auch schon wieder der nächste Brecher mit elementarer Gewalt.
Vom Vorschiff erscholl ein lauter Knall, der das Donnern des Unwetters noch übertönte.
Das Focksegel hielt der Belastung nicht mehr stand. Es wurde als Sturmsegel gefahren, doch der hart einfallende Wind zerriß es mit unheimlicher Gewalt.
Fetzen flogen davon, der Rest des schweren Tuches flatterte wie wild hin und her, bis der Sturm die Lappen mitriß und meilenweit mit sich forttrug.
Hasard preßte die Lippen zusammen. Carberry sagte kein Wort, er starrte nur grimmig auf das, was jetzt noch wie ein trauriger Rest von der Rah flatterte.
Jetzt standen nur noch zwei vom Wind prall gefüllte Sturmsegel. Unter dem unbändigen Druck bogen sich die Masten durch, als wollten sie jeden Moment zerbersten.
Wehe, wenn der Rest auch noch davonfliegt, dachte der Seewolf. Dann mußten sie vor Topp und Takel lenzen, und das war gleichbedeutend mit dem Untergang des Schiffes, denn das hielt selbst die sturmerprobte „Isabella“ nicht durch, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen. Hatten die riesigen Wogen sie dann erst einmal auf die Seite gedrückt, gab es keine Hoffnung mehr.
Hasard fragte sich, wie es der Roten Korsarin ergehen mochte. Der schwarze Segler war ein stabiles, überaus kräftiges Schiff, doch bei diesem Wetter würde auch er es nicht leicht haben und um seine Existenz kämpfen müssen.