Seewölfe Paket 10. Roy Palmer

Seewölfe Paket 10 - Roy Palmer


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      Ein letzter Ruck mit vereinten Kräften beförderte die Jolle vollends ins Wasser. Alewa stieß einen Laut des Entsetzens aus, wurde dann aber von Dan O’Flynn in das Boot gehievt. Carberry, Ferris Tucker, Shane und Batuti enterten auf die Duchten und griffen fluchend nach den Riémen. Hasard stieg als letzter zu. Er hob das linke Bein, schwang es über die Heckducht, verlieh der Jolle mit dem rechten Bein Schub und kletterte dann auf die Ducht.

      Blei und Eisen hagelte in den Ufersand und ließ kleine Fontänen aufsteigen. Die Piraten schrien und stießen Verwünschungen aus, liefen noch ein Stück näher und schossen wieder. Diesmal stoben ihre Kugeln und das gehackte Blei und Eisen gleich hinter dem Bootsheck ins Wasser.

      Der Seewolf und seine Begleiter duckten sich.

      „Pullt!“ schrie Hasard. „Pullt wie die Teufel, sonst kriegen sie uns doch noch!“

      Er drehte sich um, hatte die Reiterpistole, die er inzwischen nachgeladen hatte, in der Faust und zielte, so gut es in dem schwankenden Boot ging, auf die Feinde.

      Er feuerte beide Läufe kurz hintereinander ab. Die Franzosen waren jetzt fast bis ans Wasser gelangt, zückten ihre Pistolen, weil sie die Langwaffen leer geschossen hatten, und legten von neuem auf die Männer der „Isabella“ und das Mädchen an. Hasard sah im Aufblitzen des Mündungsfeuers seiner Doppelläufigen, wie einer von ihnen zusammenbrach.

      Die anderen quittierten es mit haßerfülltem Geschrei.

      Ihre Pistolen krachten, und plötzlich stöhnte Big Old Shane auf. Hasard fuhr zu ihm herum, sah, wie der Riese sich krümmte und fast von der Ducht rutschte. Der Stoff seines linken Hemdsärmeln begann sich dunkel zu färben.

      „Shane!“ rief Ferris Tucker.

      „Himmel, Shane, mach bloß keinen Mist!“ stieß der Profos entsetzt aus.

      Alewa kroch ein Stück weiter nach vorn und stützte Shane. Der Schmied von Arwenack murmelte einen saftigen Fluch, richtete sich wieder etwas auf und tat dann genau das, was typisch für einen Kerl seines Formats war: Er packte den Riemen mit der rechten, gesunden Hand und pullte weiter.

      „Ferris!“ schrie der Seewolf im Donnern der Brandung. „Wirf ihnen eine Flasche zwischen die Beine, diesen Hunden!“

      Ferris überließ den Riemen, den er bedient hatte, Batuti. Der Gambia-Mann packte zu und pullte mit zwei Riemen weiter. Ferris drehte sich zu Dan O’Flynn um, und dieser ließ für eine Weile auch von dem Riemen ab, holte Feuerstein und Feuerstahl aus seinen Jackentaschen hervor und schlug sie aneinander, als der Schiffszimmermann ihm die eine Flaschenbombe entgegenhielt.

      Der Funke sprang auf die trockene Lunte über und entfachte sie. Ferris Tucker hob die Höllenflasche mit einem grimmigen Laut, stand von seiner Ducht auf, balancierte die heftigen Bewegungen des Bootes durch geschickte Beinarbeit aus, zählte noch bis fünf – und schleuderte die mit Pulver, Blei, Eisen und Glasscherben gefüllte Flasche zu den lärmenden Franzosen hinüber.

      Eine Pike, von Marcel geworfen, flog der Jolle nach. Sie war für den Seewolf bestimmt. Alewa, Ferris, der Profos und Dan O’Flynn stießen gleichzeitig einen Warnruf aus. Der Seewolf beugte sich vor und zog den Kopf ein. Aber die Pike erreichte das Bootsheck nicht mehr. Wirkungslos schlug sie ins Wasser.

      Ferris und Dan hatten wieder die Riemen gepackt und halfen mit, das Boot durch die wogende Brandung zu befördern.

      „Die Flasche“, sagte Dan O’Flynn. „Sie ist mitten zwischen ihnen gelandet und rollt über den Strand.“

      „Sie geht gleich hoch“, sagte Ferris Tucker mit einem Ausdruck der Genugtuung auf den Zügen. „Geschieht ihnen recht, diesen elenden Hunden.“

      „Was sagt ihr?“ brüllte der Profos.

      „Die Flasche fliegt ihnen gleich um die Ohren!“ schrie der Zimmermann der „Isabella“.

      „Das will ich aber auch hoffen!“ brüllte Ed Carberry. „Wenn nicht, helfe ich dir auf die Sprünge, du verdammter alter Holzwurm!“

      Verblüfft blickten die Piraten auf die Flasche aus grünlichem Glas, die mitten zwischen ihnen auf den Sand gefallen war und jetzt allmählich ausrollte. Sie blieb dicht vor den nackten Füßen eines glatzköpfigen Bretonen liegen, der sich verwundert darüberbeugte und nicht wußte, was er von der Sache halten sollte.

      „Verdammt!“ rief Marcel. „Die Flasche hat eine Lunte!“

      „Die Lunte brennt!“ sagte der Bretone.

      „Tretet die Glut aus!“ brüllte Marcel. „Los, schnell!“

      „Nein!“ schrie Louis. „Laßt die Finger von dem Ding! Lauft lieber weg, los, nichts wie weg!“

      Sie standen da und blickten sich untereinander unschlüssig an. Marcel bückte sich schließlich mit einem Fluch nach der Flasche, hob sie auf und schickte sich an, sie zur Jolle zurückzuschleudern. Die Lunte ließ sich jetzt nicht mehr löschen, sie war schon bis durch den Korken hindurch ins Innere der Flasche abgebrannt.

      Louis drehte sich um und begann zu laufen.

      Die meisten anderen folgten sofort seinem Beispiel und glaubten zu wissen, was jetzt passierte. Sie hatten nichts Eiligeres zu tun, als soviel Distanz wie irgend möglich zwischen sich und Marcel zu legen. Nur der Bretone stand immer noch wie angewurzelt auf seinem Platz und beobachtete entgeistert, was Marcel tat.

      Marcel hatte die Flasche hoch über den Kopf gehoben.

      Er wollte seine Hand vorschnellen lassen, um die Flasche zur Jolle zurückzubefördern, aber die Zeit reichte nicht mehr aus, sie war abgelaufen. Mit einem grellen Feuerblitz zerplatzte die Bombe in Marcels Hand.

      Marcel sah noch das grelle Licht und hörte das Donnern der Explosion, aber dann versagten seine Sinne. Nur eine heiße Welle fühlte er noch durch seinen Körper rasen, und der Himmel, der sich blutrot färbte, schien auf ihn niederzustürzen.

      Der Bretone fühlte sich hochgehoben und von einem glühenden Sturm mitgerissen, weit weg, über die See hinaus und dann in einen schwarzen Strudel, der direkt ins Jenseits führte und mit seiner Finsternis alles auslöschte.

      Louis stoppte abrupt und blickte über die Schulter zurück. Er sah alles bis ins Detail, und ein kehliger Laut löste sich von seinen Lippen. Marcel und der Bretone waren durch die Explosion der Flasche zerfetzt worden, die anderen sieben Piraten hatten sich auf den Strand geworfen und schienen unverletzt zu sein.

      Die Druckwelle wehte heran und warf auch Louis aus dem Gleichgewicht. Er stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf und torkelte benommen und verwirrt auf das Dickicht zu. Er wankte zwischen die Büsche, ziellos, und wußte nicht mehr, was er tun sollte.

      Wer seid ihr Teufel, fragte er sich, wer nur, wer? Was ist los, was geht hier vor?

      Marcel und der Bretone hatten nicht einmal mehr einen Schrei ausgestoßen, so schnell war alles gegangen.

      Teufel, dachte Louis, die Hölle hat euch ausgespuckt. Schwarzhaariger Bastard, wer bist du?

      „Ich – werde dich töten“, keuchte er.

      Dann blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Er war mit seinen bloßen Füßen gegen die Beine eines Mannes gestoßen. Er schaute in die blicklosen, gebrochenen Augen und erkannte Jean, den Kumpan, der mit Luc zusammen das Pfahldorf und die Bucht bewacht hatte – für den Fall, daß die flüchtigen Insulaner mit der Absicht zurückkehrten, eins oder mehrere Auslegerboote flottzumachen.

      „Jean“, würgte Louis entsetzt hervor.

      Übelkeit stieg in ihm auf, er fühlte seine Knie weich werden. Ein Tosen war mit einemmal in seinen Ohren, ihm wurde schwindlig. Er sank auf die Knie und stammelte Unverständliches.

      Dann war es vorbei. Er konnte sich wieder erheben, hatte sich gefaßt, konnte das Dickicht verlassen und zu seinen Männern zurückkehren. Er trat vor sie hin und sagte: „Verscharrt das, was von Marcel und dem Bretonen übriggeblieben ist. Hier im Gebüsch liegt Jean. Sie haben auch ihn umgebracht.


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