Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
„Das werde ich auch“, stieß der bärtige Pirat hervor. „Und er wird alles ausspucken, was er weiß. Meinst du, daß er weiß, wer dieser schwarzhaarige Teufel ist, der uns zusammengeschossen hat?“
Pierre Servan schüttelte den Kopf.
„Niemals“, sagte er entschieden. „Du hättest ihn und den Korsen mal gegen die Engländer kämpfen sehen sollen, als wir sie im Wald in die Falle gelockt hatten. Nein, der Kerl hat mir alles abgenommen, was ich ihm von den englischen Verrätern, die mit spanischen Spionen zusammenarbeiten, erzählt habe.“
Yves Grammont brummte etwas in seinen Bart. Der Gedanke an den schwarzhaarigen Engländer ließ ihn nicht los. Ein harmloser Kauffahrer war er bestimmt nicht, dafür wollte Grammont seine Seele verwetten. Und wenn es stimmte, was er Saint-Jacques gegenüber geäußert hatte, daß die Engländer ein Kommando losgeschickt hatten, die gegen die französischen Piraten kämpfen sollten, die immer wieder englische Schiffe im Kanal kaperten, dann hatte man bestimmt keinen unbekannten Mann geschickt.
War es vielleicht sogar Drake?
Yves Grammont schüttelte den Kopf. Er hatte Männer von Drake erzählen hören. Er sollte ein mittelgroßer, unscheinbarer Mann sein, der schwarzhaarige Teufel auf dem Achterdeck der „Hornet“ hatte jedoch ausgesehen, als sei er mindestens sechs englische Fuß groß.
Wen gab es noch? Frobisher? Nein, der mußte inzwischen fast sechzig Jahre alt sein. Der schwarzhaarige Teufel war wesentlich jünger gewesen.
Yves Grammont schüttelte die Gedanken ab. Er durfte sich nicht verrückt machen lassen.
Als er das Deck wieder betrat, sah er, daß sich das Wetter innerhalb einer halben Stunde wesentlich verschlechtert hatte. Von der Sonne war nichts mehr zu sehen. Nebelbänke stiegen aus dem Meer auf und verschluckten dann und wann die Verfolger, die in gleichbleibendem Abstand hinter ihnen hersegelten.
Yves Grammont wußte, daß es ein glatter Fehler gewesen wäre, hätte er die Herausforderung der Engländer angenommen. Sie hatten nach dem Bericht Servans beim nächtlichen Angriff durch die sieben Jollen gezeigt, daß sie mächtig auf der Hut waren und sich nicht so leicht überrumpeln ließen.
Er wußte, daß er die „Louise“ und die „Coquille“ auch noch aufs Spiel setzte, wenn er ein zweites Gefecht mit den Engländern wagte.
Nein, dachte er, ich muß mir etwas anderes einfallen lassen. Allein sind wir den Engländern nicht gewachsen. Wir können sie nur packen, wenn wir sie von allen Seiten gleichzeitig angreifen.
Aber wie?
Er hatte nur noch zwei Schiffe, und die Engländer waren ebenfalls zu zweit.
Ich brauche Verstärkung, dachte Yves Grammont.
Wie ein Blitz zuckte der Gedanke durch sein Hirn, und sofort wußte er, was er zu tun hatte.
„Servan!“ brüllte er, obwohl der Kapitän der gesunkenen „Antoine“ nur ein paar Schritte von ihm entfernt stand.
„Was ist los, Kapitän?“ fragte Servan erschrocken.
„Gut, daß wir die beiden Boote haben“, sagte Grammont.
Servan nickte, obwohl er nicht wußte, was Grammont mit dieser Bemerkung bezweckte.
„Du kennst dich bestens mit den Jollen aus, wie?“ fragte der Piratenkapitän grinsend.
„Sicher“, sagte Servan verdutzt.
„Du wirst nämlich gleich wieder einsteigen“, fuhr Grammont fort, „ebenso wie Bauduc.“
Servan begann zu verstehen. Grammont wollte Hilfe holen. Bald waren sie auf der Höhe von Lannion, und wenn sie dichter unter die Küste gingen, war es leicht, eine Nebelbank abzuwarten und mit den Booten an Land zu pullen. Ehe die Engländer es bemerken würden, hätte er, Servan, eine kleine Flotte auf die Beine gestellt, und dann konnten sie die Engländer in die Zange nehmen.
Pierre Servan konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen, als Yves Grammont ihm seine Vermutung nun fast wörtlich vortrug. Er war froh, die Schnauze gehalten zu haben, denn von Saint-Jacques wußte er, daß Grammont nicht vertrug, wenn auch andere nachdenken konnten.
„Was sagst du dazu?“ fragte der bärtige Pirat.
„Genial!“ sagte Servan mit Begeisterung in der Stimme.
„Deshalb bin ich euer Anführer“, sagte Grammont im Brustton der Überzeugung. Allerdings war er der Grausamste von allen, und darum wagte niemand, ihm den Rang streitig zu machen. Aber er sah das anders. Er war stolz auf seine Intelligenz, und wer sie nicht anerkannte, dem schlug er eben den Schädel ein.
Sie bereiteten alles für den Landgang vor. Pierre Servan und Jean Bauduc durften sich jeder acht Männer als Rudergasten aussuchen. Von ihren eigenen Leuten durften sie niemanden mitnehmen.
„Sie brauchen nach den harten Strapazen ein bißchen Ruhe“, hatte Yves Grammont grinsend gesagt aber Pierre Servan und Jean Bauduc hatten genau gemerkt, daß Grammont ihnen nicht so recht traute und sie von seinen Männern überwachen lassen wollte.
Servan wunderte sich, daß Grammont nicht einen seiner Vertrauten, den kleinen, mageren Ferret oder den dicken Jules Arzot, mitschickte. Aber wahrscheinlich waren sie auf der „Louise“ unentbehrlich.
Sie warteten, bis eine dichte Nebelwand vor ihnen auftauchte. Sie fuhren mitten hinein, und nach einer Weile ließ Yves Grammont den Kurs ändern und hielt auf die Küste zu. Es schien ihm nicht sehr gefährlich, da der Wind immer noch von Südosten blies und daher keine Gefahr bestand, daß die Schiffe vom Wind auf die Küste gedrückt wurden.
Pierre Servan und Jean Bauduc waren mit ihren Männern schon in die Boote umgestiegen. Sie warteten, bis sie das Rauschen der Brandung vernahmen, das der Wind weit aufs Meer hinaustrug. Dann lösten sie die Leinen und begannen zu pullen.
Der Nebel hatte sich immer noch nicht verzogen, und so waren die Konturen der „Louise“ und der „Coquille“ schon nach Minuten nicht mehr zu sehen.
Pierre Servan wünschte, er hätte Jean Bauduc bei sich an Bord des Bootes. Dann hätte er jemanden gehabt, mit dem er hätte reden können. Die Rudergasten in seinem Boot konnten alle Spione sein, die jedes Wort, das er sagte, später Grammont zutragen würden.
Servan verstand das Mißtrauen Grammonts nicht und war ein wenig gekränkt. Schließlich hatte er bewiesen, daß er kein Feigling war, als er die Engländer mit den Fischerbooten angegriffen hatte. Oder war er nur zu empfindlich? Hatte Grammont es ernst gemeint, als er gesagt hatte, daß seine Männer Ruhe brauchten?
Er entschied sich, keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden. Grammont konnte ruhig jedes Wort hören, das er aussprach. Er war schließlich kein Verräter.
Er starrte nach Süden, wo das Geräusch der Brandung immer stärker wurde, und hoffte, daß sie die Bucht von Lannion bald erreichten, denn es war wichtig, daß die Engländer nicht zu weit entwischten.
Yves Grammont wollte im Nebel mit ihnen Katz und Maus spielen und dafür sorgen, daß die Engländer in der Nähe blieben.
Hoffentlich spielt der Nebel mit, dachte Pierre Servan.
6.
„Da sind sie wieder!“ rief Dan O’Flynn und reichte dem Seewolf den Kieker.
Hasard blickte durch das Spektiv und sah die Galeone und die Karavelle, die für eine Stunde im Nebel unter Land verschwunden gewesen waren, wie Geisterschiffe aus einer Nebelbank auftauchen.
Er stutzte einen Augenblick, als er die Galeone sah. Irgend etwas schien ihm anders. Und dann wußte er, was es war!
Die beiden Boote, die die Galeone im Schlepp gehabt hatte, waren verschwunden.
Der Seewolf brauchte nicht lange nachzudenken, was das zu bedeuten hatte. Jetzt war auch klar, warum die Piraten bei diesem dichten Nebel so weit unter Land gegangen waren.