Seewölfe - Piraten der Weltmeere 287. Davis J.Harbord
Dogge an. Und als sich der Wirt in Marsch setzte, um dem Kläffer das Maul zu stopfen, zog es Albert vor, die Flucht zu ergreifen. Mit seinem wehenden schwarzen Umhang entschwand er in einer der Nebengassen.
Damit fand die eine unrühmliche Tätigkeit Alberts ihren ebenso unrühmlichen Abschluß. Aber das Füchslein hatte ja zwei Eisen im Feuer und verzichtete auch gern auf die Dreckarbeit in der Kneipe und den Liebesnestern im Obergeschoß. Das rege Gehirn des kleinen Füchsleins hatte bereits eine Idee entwikkelt, wie aus dem Spiel der großen Füchse Gewinn zu schlagen sei.
Ganz richtig hatte sich Albert gesagt, daß seine Mittlerrolle zwischen der französischen und der spanischen Seite ein Ende finden mußte, sobald der einen oder anderen Seite bekannt wurde, daß er einen ihrer Treffs verraten hatte. Verräter fanden stets ein sehr schnelles Ende, und davor schauderte es ihm, zumal es ihm nicht an der nötigen Phantasie mangelte, wie dieses plötzliche Ende dann aussehen würde. Er stellte sich dieses Ende als eine Sache vor, die der Meuchler mit dem Messer erledigte. An die Variationen mochte er nicht denken. Der Stich ins Herz war wahrscheinlich noch vorzuziehen.
Albert schüttelte diese trüben Gedanken ab, die ihn bedrängten. Es galt, die neue Idee ernsthaft zu prüfen, bevor man sie in die Tat umsetzte.
So führte ihn sein Fluchtweg in eine Kneipe, die abseits in einer Hintergasse lag. Manchmal hatte er sie schon aufgesucht, um in einer stillen Ecke sein Garn zu spinnen. Man fragte dort nicht viel nach dem Woher und Wohin. Die kleinen Gauner verkehrten dort, auch die Hehler und jene „Geschäftsleute“, die es gewohnt waren, im trüben zu fischen.
Er fand sein stilles Eckchen und ließ sich dort mit einer Karaffe Wein nieder, die ihm helfen sollte, das Problem gründlich zu überdenken.
Er erhielt Besuch.
Nach einer knappen Viertelstunde tauchte plötzlich das „Engelchen“ in der Kneipe und an seinem kleinen Tisch auf und setzte sich schlicht, ohne viel zu fragen, ihm gegenüber auf den Hocker, ein verführerisches Lächeln auf den Kußlippen, den sehr schönen Busen keineswegs verbergend.
Lucille!
„Ich habe dich gesucht“, sagte sie und wischte sich aufatmend eine lange, blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich hab’ genau gehört, wie du es dem Hurenbock gegeben hast. Das hat mir gefallen.“ Sie klimperte mit den großen blauen Augen.
Der „Hurenbock“ war der Wirt, der Albert gefeuert hatte. Und Lucille war eines seiner „Pferdchen“ im Stall der Frauenzimmer, die sich dem ältesten Gewerbe der Welt widmeten.
Er stierte auf ihren Busen und von dort in ihr Gesicht, das hübsch engelhaft war, aber nichts destoweniger dem Kenner deutlich verriet, welchem Lebenswandel sie huldigte. Das Gewerbe hinterläßt eben doch seine Spuren.
„Was willst du?“ fragte er mißtrauisch. Mißtrauisch deswegen, weil er sich nicht denken konnte, daß sie darauf aus war, mit ihm das Bettchen zu teilen, vielleicht sogar ohne Bezahlung. Weil er nur in diese Richtung dachte, war er dann doch ziemlich verblüfft.
Sie sagte: „Ich hab die Schnauze voll! Ich mag nicht mehr, verstehst du? Und du hattest recht, als du dem alten Hurenbock vorwarfst, daß er uns verschachert. Er selbst benutzt uns auch und zahlt keinen Nickel dafür. Was meinst du wohl, wie der es mit uns treibt? Weißt du noch, wie ich vor einem Monat so erkältet war?“
„Ja“, sagte Albert etwas verstört.
„Und warum war ich so erkältet?“ Sie klimperte wieder mit ihren blauen Augen. „Weil er wollte, daß ich nackend um den Brunnen im Hinterhof bei Mondschein einen Reigen tanze! Bei der Kälte! Ich sollte eine Nymphe spielen. Weißt du, was ’ne Nymphe ist?“
„Die hat was mit Wasser zu tun“, sagte Albert noch verstörter und überlegte, ob er noch einmal die Flucht ergreifen sollt.
„Richtig.“ Ihre Zunge erschien im Kußmund und verschwand wieder. „Er wollte mit mir in dem Brunnen baden, dieser Molch.“
„Und habt ihr gebadet?“
„Ja.“ Sie wurde wütend. „Darum war ich ja so erkältet.“
„Aha.“ Albert peilte zur Tür. „Du hättest ja wegrennen können, nicht?“ Er wäre jetzt auch gern weggerannt.
„Er ließ mich ja nicht, dieser Wüstling. Im Brunnen schon gar nicht. Fast wäre ich ertrunken. Heute nachmittag sagte er, ich sollte nach Mitternacht für ihn wieder die Nymphe spielen. Ich könnte das so gut. Darum bin ich vorhin weggelaufen und hab dich gesucht. Ich spiel’ keine Nymphe mehr. Ich hab’ das satt – bis hierher!“ Sie zeigte Albert, bis wohin sie es satt hatte. Bis zum Hals war das. Es war ein sehr schöner Hals über einem sehr schönen Busen.
„Warum hast du mich gesucht?“ fragte er mit zusammengekniffenen Augen.
Sie zierte sich ein bißchen – oder tat so. Dann sagte sie: „Die Engländer hatten nach dir gefragt. Und dann hab ich gelauscht. Da hab ich gehört, was du ihnen erzählt hast. Du bist auch gar kein Krüppel.“ Sie kicherte. „Aber schlau bist du. Und weil ich auch nicht dumm bin, finde ich, daß wir uns zusammentun sollten. Ich weiß jetzt, daß du für Grammont, den bretonischen Seeräuber, arbeitest. Darum bist du auch manchmal in der Nacht heimlich verschwunden.“ Sie dämpfte ihre Stimme. „Ich will dir bei deinen Geschäften helfen. Bei manchen Sachen erreicht eine Frau mehr als ein Mann.“
Da war etwas Wahres dran. Albert nippte von seinem Wein und dachte nach. Eins stimmte: Lucille hatte mehr Verstand in ihrem hübschen Köpfchen als die anderen Huren, die für den verdammten Wirt arbeiteten. Eigentlich hätte sie sich längst einen Mann angeln und einwickeln können. Aber vielleicht wollte sie ungebunden sein.
„Hm“, murmelte er. „Du warst unten in der Kneipe, als die Engländer auftauchten. Weißt du, wie der Mann hieß, der sie führte?“
„Der schwarzhaarige Riese mit der Narbe im Gesicht und den eisblauen Augen?“
Albert nickte. „Ja, genau der.“
Sie reckte den Busen heraus. „Ich hab mich sogar auf seinen Schoß gesetzt. Natürlich weiß ich, wie er heißt. Sie nannten ihn Hasard, und der Franzose mit dem dünnen Oberlippenbärtchen redete ihn einmal mit ‚Monsieur Killigrew‘ an. Die anderen sagten auch ‚Sir‘ zu ihm.“ In ihre Augen trat ein eigenartiges Glitzern. „Ein sehr aufregender Mann ist das – und gefährlich, das merkt man sofort. Warum fragst du nach ihm?“
„Ich war mir nicht sicher, ob ich seinen Namen richtig verstanden hatte. Jetzt weiß ich, daß er stimmt: Philip Hasard Killigrew, von seiner Königin zum Ritter geschlagen und mit einem Kaperbrief ausgestattet. Ich war vor einigen Jahren in Südengland und habe über diesen Mann allerlei gehört. Man nennt ihn auch den Seewolf. Als Korsar soll er von den Spaniern sagenhafte Schätze erbeutet haben.“ Er trank wieder einen Schluck Wein.
„Sagenhafte Schätze erbeutet haben“, wiederholte Lucille andächtig. Ihre Augen glitzerten wieder, aber anders als zuvor. Ihr Busen hob und senkte sich, weil sie heftiger atmete. „Wo er die Schätze wohl hat?“
„Natürlich bei sich an Bord“, erwiderte Albert.
„Bist du sicher?“
„Völlig sicher. Würdest du einen Schatz irgendwo verstecken oder vergraben und dabei riskieren, daß ihn ein Fremder zufällig findet? Außerdem: wenn du ihn versteckst oder vergräbst, kann dir auch passieren, daß du dabei beobachtet wirst. Dann bist du den Schatz garantiert los. Nein, so dumm ist dieser Killigrew nicht. Der ist viel zu gerissen. Er hat ihn an Bord, weil er ihn dort am besten bewachen kann.“
„Und wenn sein Schiff untergeht?“
Albert runzelte die Stirn. „Wenn er mit untergeht, hat er sowieso nichts mehr davon.“
Der Einwand war richtig, aber Lucille blieb zäh beim Thema.
„Er braucht ja nicht mit unterzugehen“, sagte sie. „Und dann ärgert er sich, daß sein Schatz futsch ist.“
Albert starrte sie an und sagte wütend: „Was würdest du