Jenny Marx. Marlene Ambrosi
man das „ältere Fräulein“ mit bedenklichem Vorleben doch noch an einen Mann bringen konnte. Einmal verlobt und entlobt mit einem preußischen Offizier, ein Verhältnis mit einem vier Jahre jüngeren Studenten – das wäre eine schwere Hypothek gewesen. Die Dame war zwar schön und charmant, aber nicht mehr ganz jung und vielleicht in Liebesdingen zu erfahren. Sie kam zwar aus gutem Hause, aber ihre Mitgift war sehr bescheiden, wenn auch interessant, weil mit dem Wappen der Herzöge von Argyll verziert. Bei näherem Kennenlernen konnte zudem die geistige Aufmüpfigkeit der Dame abschrecken. Bei einem passenden Kandidaten hätte Jenny kaum Widerspruchsmöglichkeiten gehabt und selbst bei geschickter Hinhaltetaktik hätte sie sich letztendlich fügen müssen. Hätte sie sich vehement gegen eine Verheiratung gewehrt, wäre ihr Schicksal das eines alternden Fräuleins im Hause der Eltern gewesen.
1 Jacobs, Existenz und Untergang der alten Judengemeinde der Stadt Trier, S.23
2 Blumenberg, Karl Marx mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, S.26
3 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.514
4 Raddatz, Karl Marx, S.41
5 Gemkow, Edgar von Westphalen, S.415/416
6 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 28.12.1836
7 MEGA III,1 Sophie Marx an Karl Marx am 28.12.1836, Anlage zum Brief von Heinrich Marx am 28.12.1836
8 MEGA I,1 Buch der Liebe, Erster Teil, S.487
9 MEGA I,1 Buch der Lieder, S.607
10 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
11 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
12 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
13 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
14 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
Als Verlobte grüßen eine Adlige und ein junger Student
Frühjahr 1837
Jenny von Westphalen zeigte Mut, als sie sich für Karl Marx entschied. Vielleicht gefiel es ihr, der sich so überlegen fühlenden Denkerin, einen gesellschaftlich revolutionären Schritt zu gehen, aber ihre Entscheidung war ausschließlich in ihrer Liebe zu Karl Marx begründet. Um an seiner Seite leben zu können, war sie bereit, gegen alles und alle zu kämpfen. Einwänden bezüglich des Standesunterschiedes und des Verlustes ihrer Standesprivilegien verschloss sie sich. Dieser Mann hatte für sie eine glänzende Zukunft vor sich als Wissenschaftler oder Politiker, an seiner Seite stand ihr die Welt offen. Nur für ihn vollzog sie den radikalen Schnitt: Es war ihre Revolution, die Revolution einer starken, liebenden Frau.
Obwohl sich Jenny nicht zur Trennung von Pannewitz geäußert hat, wird sie den Vergleich angestellt haben: Was hatte Karl Marx, was Pannewitz nicht hatte? Der Leutnant hatte zunächst imponiert durch zackiges Auftreten in schmucker Uniform und gute Manieren. Seine vaterländischen Floskeln hatten sich allerdings mit der Zeit immer schaler angehört. Unerträglich fand Jenny auf die Dauer seine geistige Armut, und verglich sie ihn mit Karl Marx, kam sie zu dem Schluss, dass dieser, obwohl nur halb so alt, über mehr Geist und Argumentationsvermögen verfügte als der Adlige. Der Student Karl war zwar noch ungelenk im gesellschaftlichen Umgang und verhöhnte übertriebene Etikette, aber er war Jenny vertraut seit Kindertagen und wirkte durch seine Gelassenheit beruhigend auf sie. Von ihm fühlte sie sich ernst genommen, er hörte ihr zu, griff ihre Ideen und Argumente auf, machte ihr keine Vorhaltungen, dass politische und soziale Themen ausschließlich Männersache seien. Für ihn war sie kein schmückendes Beiwerk, sondern eine gleichberechtigte Partnerin.
Jenny von Westphalen
Im Frühjahr 1837 reiste Karl Marx nach Trier. Sein Vater feierte am 15. April seinen 60. Geburtstag, und Sohn Karl überreichte persönlich sein Geschenk „Gedichte, meinem Vater zu seinem Geburtstag 1837“. Er hatte sich in allen Sparten der Literatur versucht, in Sonetten, Epigrammen, im Trauerspiel und im Roman. Während dieses Aufenthaltes machte der knapp 19-Jährige seine Aufwartung bei Ludwig von Westphalen, vielleicht am 30. April, dem Tage der Silbernen Hochzeit von Jennys Eltern. Mit welchen Worten er um die Hand der Geliebten anhielt, ist nicht überliefert, aber Vater von Westphalen freute sich bei Ferdinand über den „herrlichen, herrlichen, vierten Sohn“, den „bewunderswerthen Sohn“ 1, der seine Tochter glücklich mache. Er schätze sich „u. uns alle unaussprechlich glücklich ..., daß sie mir und uns allen einen so treflichen, edelen, seltenen Sohn u. Bruder als ihr Eigenthum zu erwerben wusste – ein Kleinod, worauf sie stolz seyn kann und was auch die edlere Welt, nur nie und nimmer die gemeine, kleinstädtische Triersche, worin wir leben, billigen und keineswegs tadeln würde.“ 2 Das Kleinliche traf nicht nur auf die Kleinstädter, die einfachen Gemüter zu, sondern auch auf die adlige Verwandtschaft und die eigene Familie. Der Vater hatte für seine „Person nicht den geringsten Zweifel mehr an der Güte ihrer Wahl, da ich Beide für einander geschaffen erachte, u. daß sie ein sehr, sehr glückliches Ehepaar, wenn auch erst nach 5 ja nach mehr Jahren u. per pot discrimina rerum, die seiner Seits noch zu überwältigen bleiben werden – dem wahren Segen unsres Hauses noch die Krone aufsetzend.“ 3 Dass aufgrund dieser Heirat die Familie von Westphalen in die Annalen der Geschichte einging, sie durch Karl Marx die Krone aufgesetzt bekam, lag damals nicht einmal im Bereich des Vorstellbaren. Trotz aller Freudebeteuerung seinem ältesten Sohn gegenüber gab Ludwig von Westphalen mit gemischten Gefühlen seine Einwilligung. Die zukünftigen Schwiegereltern liebten Karl Marx durchaus, kannten seine Begabungen und Fähigkeiten und konnten die Faszination, die dieser junge, gut aussehende Mann mit den dunklen Augen und schwarzen Locken auf ihre Tochter ausübte, nachvollziehen; aber Karls oppositionelle Haltung, seine Kompromisslosigkeit und seine Weigerung, sich anzupassen und sich gegen seine überzeugung verbiegen zu lassen, war zumindest Ludwig von Westphalen nicht verborgen geblieben. Er wusste um Karls kritische Einstellung, hatte er doch über Jahre hinweg als Mentor diese Entwicklung gewollt-ungewollt gefördert. Belastend war, dass der Bräutigam noch studierte und Bruder Ferdinand von dem „ewigen Studenten“ sprach, der keine Ambitionen zeige, sich auf ein Amt im Staatsdienst vorzubereiten, die einzig akzeptable Zukunftsperspektive aus seiner Sicht. Jenny war überglücklich, dass die Eltern ihr Einverständnis gegeben hatten. Endlich konnte sie sich mit ihrem Traummann Karl präsentieren und stolz ihren Verlobungsring zeigen. Ein großes Verlobungsfest wird man nicht gefeiert haben. Die Eltern haben die sehr ungewöhnliche Verbindung vermutlich nicht offiziell verkündet. Das hätten Ferdinand und die in Trier ansässigen Florencourts als höchst unpassend empfunden. „Ueber ihr Verhältnis erfahre ich von ihr selbst nichts, da ich mit ihr darüber nicht spreche, u. sie auch keine Veranlassung dazu giebt“