Operation Terra 2.0. Andrea Ross

Operation Terra 2.0 - Andrea Ross


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lassen, dass die erste bemannte Marsmission derart spektakulär verlaufen könnte. Zuerst die Gesteinsund Strahlungsanomalie in der CydoniaRegion, die ein Marsrover vor drei Jahren entdeckt hatte, dann vorgestern die zufällige Sichtung einer massiven Metalltür am Ende einer mutmaßlichen Lavaröhre … und nun das.

      Wer jetzt noch allen Ernstes behaupten wollte, es habe auf dem Mars nie höher entwickelte Lebensformen gegeben, konnte wohl nicht ganz bei Trost sein. Und doch würden garantiert wieder abgedrehte Verschwörungstheoretiker wie Pilze aus dem Boden schießen, die frech mutmaßten, die ganze Mission sei getürkt und in Wirklichkeit wie ein lausiges Trashmovie im irdischen Death Valley, Nevada, gefilmt worden.

      Maier und seine Kollegen waren hinund hergerissen. Liebend gern hätten sie die sechs Astronauten der AuroraMission kreuz und quer über den Roten Planeten gejagt, um die vielen Geheimnisse und Hinterlassenschaften aufzuspüren, die hier geduldig auf Entdeckung warteten. Niemand wusste schließlich zu sagen, wann der nächste Marsflug stattfinden könnte. 248 Tage für die einfache Strecke waren kein Pappenstiel, eine gewaltige Belastung für Mensch und Material, von den Kosten ganz zu schweigen. Da konnte man nicht eben mal hinreisen, versunkene Zivilisation hin oder her.

      Andererseits war Marscontrol für die Sicherheit der Missionscrew verantwortlich. Ein klitzekleiner Fehler reichte aus, um deren unbeschadete Rückkehr zu gefährden, wenn sie an Ort und Stelle Untersuchungen vornahm. Unwägbare Risiken galt es tunlichst zu vermeiden.

      Drittens, und diesen Umstand hatte Thomas Maier in der gestrigen Besprechung mehrfach betont, hatte auch die Erdbevölkerung ein Recht darauf, nicht kontaminiert zu werden. Sobald fremde Substanzen, Genmaterial, Bakterien oder Ähnliches wie blinde Passagiere im Raumschiff mit zur Erde reisen würden, wären die Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna unabsehbar – wenn nicht katastrophal.

      Maier plädierte deswegen darauf, LaSalle die Öffnung der im luftdicht versiegelten Alkoven aufgefundenen Kapsel gleich an Ort und Stelle zu genehmigen – selbstverständlich erst nach Durchführung üblicher Sicherheitschecks mithilfe der hochempfindlichen technischen Gerätschaften, über die Aurora verfügte. Für gefährliche Herausforderungen dieser Art waren die Astronauten jahrelang ausgebildet worden und Pierre brannte bereits ungeduldig darauf, dem außerirdischen Gegenstand zu Leibe rücken zu dürfen.

      »Besser wir setzen ein paar Astronauten der Gefahr aus, als gleich die ganze Menschheit in Mitleidenschaft zu ziehen. Da es sich um unsere geschätzten Kollegen handelt, deren Schicksal auch mir selbstverständlich nicht gleichgültig sein kann, will die exakte Vorgehensweise wohlüberlegt sein. Insbesondere müsste man zunächst sichergehen, dass dieses Ding keine schädliche Strahlung absondert und keinen Sprengsatz enthält«, hatte Maier zum Amüsement einiger Kollegen vorgeschlagen.

      Seit dieser Bemerkung kursierten dämliche Witze über fiese

      ›Marsterroristen‹, die seinen weiteren Vortrag gestern Abend empfindlich gestört hatten. Hochintelligente Wissenschaftler konnten ja so unangemessen kindisch sein! Und nun starrte Thomas Maier wieder unbeweglich auf die verzerrte Übertragung vom Mars, wie LaSalle und seine Mitstreiter am Fuße des Vulkans Bodenproben von der Marsoberfläche kratzten. Allmählich schloss sich das Zeitfenster für eine gründliche Erforschung der Lavaröhre, und das machte ihn nervös.

      »Bärchen, es ist endlich soweit! Die Entscheidung ist gefallen. Du sollst dich sofort in Campbells Büro melden!«, brüllte Maiers langjährige Kollegin Sheila, die seit einem halben Jahr neben dem gemeinsamen Projekt auch Wohnung und Bett mit ihm teilte, quer durch den Raum. In ihrer Aufregung hatte sie ganz vergessen, dass sie während der Arbeitszeit keine albernen Kosenamen für ihren Herzallerliebsten verwenden sollte. Zum Glück hatte er den Fauxpas in seiner Erregung überhört.

      Maier nahm seinen Blick vom Monitor, sprang mit leuchtenden Augen auf, flitzte wie ein Derwisch den langen Korridor zu Campbells Büro entlang, wo er ins Schlittern kam und unsanft gegen den Türrahmen prallte. Die verdammte Raumpflegerin hatte den Linoleumbelag gewischt und hinterher wieder mal vergessen, das gelbschwarze Warnschild Caution – wet floor! aufzustellen.

      »Eines Tages breche ich mir in diesem Irrenhaus noch den Hals«, brummte der Wissenschaftler beim Betreten des Raumes kopfschüttelnd. Er rieb sich die schmerzende Schulter.

      Campbell sah missbilligend drein, weil der unkonventionellste seiner ihm unterstellten Mitarbeiter wieder einmal das Anklopfen vergessen hatte.

      »Maier, ich muss Ihnen wohl nicht erst erklären, dass die ESA hier und jetzt Geschichte schreibt, Ihnen somit keinesfalls Fehler unterlaufen dürfen. Sie haben grünes Licht für eine Öffnung des Metallbehälters, war eine einstimmige Entscheidung. Suchen Sie sich umgehend ein Team zusammen und erteilen Sie LaSalle die entsprechenden Anweisungen. Die anderen Astronauten sollen sich derweil in sicherem Abstand zum Fundort aufhalten. Schließlich muss im Falle des Falles jemand die Prozedur zum Rückflug durchführen können.

      Ich hasse es, für diesen Wahnsinn die Verantwortung übernehmen zu müssen, das will ich gar nicht verhehlen. Aber die Weltöffentlichkeit würde jahrelang mit abertausenden Fingern auf uns zeigen, würden wir diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen lassen«, stöhnte Campbell und blickte resigniert gen Zimmerdecke. Seine Gesichtsfarbe wirkte fahl, wahrscheinlich hatte auch er seit vielen Stunden nicht geschlafen.

      »Klar, ich bin mir der Tragweite vollständig bewusst. Danke für das Vertrauen! Bin schon unterwegs«, stieß Maier hervor und trat den Rückweg in seinen Kontrollraum an.

      Er musste sehr aufpassen, dass er vor lauter Euphorie nicht zu hyperventilieren anfing. Freudentränen standen in seinen braunen Augen. Heute ging einer seiner sehnlichsten Träume in Erfüllung. Eine der vagen, aber ständig präsenten Hoffnungen, derentwegen er einst Astrophysik studiert hatte.

      *

      Zwei Stunden später waren die Sicherheitstests beendet. LaSalle hatte keinerlei bedenkliche Stoffe am Metallgehäuse der Kapsel feststellen können. Sie bestand aus Edelstahl, wie man es von der Erde kannte; ein weiterer Hinweis darauf, dass sich, zumindest vorübergehend, eine zivilisierte Gesellschaft dort aufgehalten haben musste.

      Die Durchleuchtung hatte ergeben, dass sich im Inneren ein länglicher, runder Gegenstand befand. Wäre ein und dieselbe Kapsel irgendwo auf dem blauen Planeten gefunden worden, hätte man am ehesten mit einem zusammengerollten Schriftstück gerechnet. Aber auf dem Mars, war das möglich?

      Maier blieb skeptisch. Voreilige Schlüsse konnten leicht das Leben Pierres kosten, sogar die gesamte Mission vorzeitig beenden. Man musste die Neugier bezwingen und weiterhin in alle Richtungen denken. Soeben hob der erfahrene Astronaut seinen riesigen Handschuh mit dem Daumen nach oben, was bedeuten sollte: Alles in schönster Ordnung!

      »Hier Marscontrol! Pierre, eine letzte Frage noch, bevor wir loslegen: kannst du an der Kapsel einen Öffnungsmechanismus erkennen oder müssen wir das Behältnis gewaltsam öffnen? Marscontrol Ende!«

      Nach etwa vierzehn Minuten Funkverzögerung, die aufgrund der erheblichen Entfernung zwischen den beiden Planeten die Kommunikation lähmte, antwortete LaSalle:

      »Verstehe euch laut und deutlich, Kameraden. Ja, hier läuft tatsächlich eine feine Linie über die Mitte der Kapsel, mit dem bloßen Auge ist sie kaum zu erkennen. Könnte sich um eine Nahtstelle handeln. Soll ich jetzt vorsichtig versuchen, die Alien-Blechbüchse aufzukriegen? LaSalle Ende

      Maier beriet sich kurz mit seinem Team, das aus Sheila und dem erfahrenen Astronom Dr. Hendrik-Jan Wendler bestand, die ihn links und rechts flankierten.

      Sporadisch stieß auch Eric Campbell hinzu, der erstens ebenfalls vor Neugier fast platzte und zweitens sichergehen wollte, dass die Funkdisziplin einigermaßen eingehalten wurde. Eine allzu saloppe Ausdrucksweise der Missionsakteure würde sich in späteren Fernsehübertragungen gar nicht gut machen, wenn Bild und Ton live zur Verfügung gestellt werden mussten. Ein bisschen durfte es ruhig menscheln, aber auch hierfür gab es Grenzen. An der Art, wie Maier LaSalle grünes Licht zum Öffnen des glänzenden Behälters erteilte, fand er glücklicherweise nichts auszusetzen.

      Vierzehn


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