Siana. Jasmin Windfeder
Herz laut pocht. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, ob er noch alle Tassen im Schrank hat.
»Sorry, wusste nicht, dass du schreckhaft bist.« Er schaut mir entschuldigend ins Gesicht und zieht dabei die Schultern hoch.
»Du hättest dich wenigstens bemerkbar machen können«, murmle ich ruhiger und versuche, bei Verstand zu bleiben, was sich als Herausforderung entpuppt.
»Es tut mir leid«, raunt er, streicht mir dabei über die Wange.
Ohne es wirklich zu wollen, schmiege ich mich an seine Hand. Was hat der Typ nur an sich, dass ich jeglichen Verstand verliere, kaum bin ich in seiner Nähe? Seitdem er auf dem Hof aufgetaucht ist, ist mein Leben irgendwie komplizierter geworden.
»Hast du mich vermisst?«, flüstert er und ohne auf meine Antwort abzuwarten, drückt er frech die Lippen auf meine. Die Berührung ist sanft, sodass meine Knie augenblicklich zu Pudding werden.
»Du gehst mir seit gestern nicht mehr aus dem Kopf, als hättest du mich mit einem Zauber belegt.« Er lacht auf, bevor er mir noch einen Kuss gibt.
»Und was ist mit Kathleen?«, will ich frei heraus wissen, was bewirkt, dass er mich mit hochgezogenen Brauen überrascht anstarrt.
»Was soll mit ihr sein?«
»Gestern in der Reiterstube sah es so aus, als seid ihr ein Paar.«
Er schweigt. Täuscht es mich, oder fühlt er sich ertappt? Er öffnet den Mund, will etwas sagen, doch dann hören wir Richards Stimme im Stall, die nicht gerade freundlich klingt.
›Shit! Wenn der uns hier vor der Hallentür sieht, wird er eins und eins zusammen rechnen können. Das kann nur ein Donnerwetter geben.‹
»Am besten, wir verschwinden von hier«, sage ich leise zu Kay, packe ihn am Arm und ziehe ihn mit mir. Wohin sollen wir?
Plötzlich übernimmt Kay die Führung und eilt mit mir in Richtung Reiterstube. Als wir dort ankommen, schließt er lachend hinter uns die Tür, während ich mich mit schnell pochendem Herzen auf dem ersten Stuhl niederlasse. Obwohl ich es gewohnt bin, von Richard zurechtgewiesen zu werden, hatte ich soeben Bammel, dass er uns erwischen könnte. Er hasst es, wenn man Lärm macht, während er in der Halle ist. Einen darauffolgenden Anschiss habe ich bis jetzt nur einmal miterlebt, als eine Reitschülerin die Hallentür zuknallte, nachdem sie wütend aus der Halle gestampft war. Richard hatte man bis zum Waldrand gehört, so erzählten es mir Reitschüler, die soeben auf dem Heimritt waren. Die Nervensäge, wie Richard sie genannt hatte, habe ich danach nie wieder hier gesehen. Seit diesem Zeitpunkt habe ich deutlich aufgepasst, wie ich die Tür schließe.
»Freut mich, dass du es amüsant findest«, knurre ich.
»Ach, komm schon! Es ist doch lustig, wie wir gerade vor meinem Vater davon gerannt sind. Wie zwei Lausbuben, während eines Klingelstreichs.« Kay prustet los und bei seinem Anblick muss ich automatisch ebenfalls grinsen.
Nachdem er sich wieder beruhigt hat, kommt er zu mir und will soeben setzen, als die Tür geöffnet wird. Erstarrt sehe ich zum Eingang. Hat Richard herausgefunden, dass ich die Schuldige bin? Eine Frauenstimme erklingt jedoch, die jemandem etwas zuruft, deshalb entspanne ich mich.
›Glück gehabt.‹
Hörbar atme ich aus. Vor Schreck hatte ich die Luft angehalten, was ich nun bemerke. Gleichzeitig verdrehe ich die Augen, während mir bewusst wird, dass die Stimme zu Kathleen gehört.
›Muss die echt jeden Tag hier aufkreuzen?‹
»Kay«, bringt sie freudig heraus, stürmt auf ihn zu und schlingt die Arme um seine Taille.
Mit verengten Augen beobachte ich das Szenario. Als Kays Blick meinen kreuzt, sieht er mich entschuldigend an, macht aber keine Anstalten, sich aus der Umarmung zu lösen. Mir stockt der Atem, als er stattdessen einen Arm um sie legt und Kathleen leicht an sich drückt. Ich versuche, mich zu beruhigen, indem ich mir einrede, dass sie nur eine gute Freundin ist und die beiden sich nun einmal schon lange kennen. Dadurch ist es ihm nicht aufgefallen, dass sie auf ihn steht, obwohl das ein Blinder erkennt. Oder aber, er spielt mir etwas vor.
Genervt von der Szene erhebe ich mich, beachte die beiden nicht weiter und stapfe aus dem Raum. Draußen atme ich hastig durch. Wie kann mir Kay was vormachen? Erst küsst er mich, um dann keine fünf Minuten später eine andere im Arm zu halten!
In der Hoffnung, dass ich mich täusche, sehe ich zur Tür, doch sie bleibt verschlossen. Stampfend mache ich mich auf in Richtung meiner Wohnung, doch auf dem Weg begegnet mir Phelan.
›Der hat mir gerade noch gefehlt!‹
»Wie lief es heute mit River?«, fragt er, wobei er mich wenigsten zuvor hätte begrüßen können.
Ohne anzuhalten, antworte ich nur:
»Keine Ahnung, habe heute frei!« Ihm keine weitere Aufmerksamkeit schenkend, marschiere ich in meine Wohnung und bleibe erst stehen, nachdem die Tür ins Schloss fällt.
Wie konnte ich mich nur von einem Typ küssen lassen, den ich vor drei Tagen nicht einmal gekannt habe? Entweder ist der Schlafmangel schuld oder ich habe zu viel Pferdemist inhaliert!
Wütend auf mich selbst, werfe ich meine Schuhe in eine Ecke und stiefle in die Küche. Ich brauche einen starken Kaffee, um das zu überleben. Mit dem heißen Getränk ziehe ich mich ins Wohnzimmer zurück, werfe mich auf die Couch und starre den schwarzen Bildschirm vom Fernseher an.
Wie konnte es nur soweit kommen? Ich hätte doch aus meinen Fehlern lernen sollen, nachdem mich Scott vor der ganzen Schulklasse blamiert hatte, nur weil ich auf ihn reinfiel! Immerhin stand ich damals auf den heißesten Typ der Schule, der zudem einer der besten Surfer Sydneys gewesen war. Leider fand er heraus, dass ich auf ihn stand und ich war natürlich überglücklich, als er mich sah. Während der Dates, die wir hatten, schwebte ich jedes Mal auf Wolke 7 und, als er mich bei der vierten Verabredung am Strand küsste, war jeglicher Verstand aus meinem Kopf radiert. Ich könnte noch heute schwören, dass ich beim Küssen Herzchen um mich herumschwirren sah.
Ich seufze, trinke einen Schluck aus meiner Tasse, bevor mich die Gedanken erneut zu dem Erlebten damals tragen. Das Glück mit Scott dauerte genau zehn Minuten. Während wir knutschten, konnte er seine Hände nicht bei sich behalten und wollte mehr. Da es jedoch mein erster Kuss war, den ich erlebte, ließ ich ihn danach überfordert sitzen.
In der Hoffnung, dass ich am nächsten Tag mit ihm reden könnte und meine Situation klären, ging ich guten Mutes zur Schule. Ich dachte tatsächlich, dass man sich mit ihm unterhalten kann. Dort erwartete mich allerdings eine böse Überraschung. Kaum traf ich im Klassenzimmer ein, applaudierten die Jungs, während mir die Mädels böse Blicke zuwarfen. Es stellte sich schnell heraus, dass Scott in der Schule rumerzählt hatte, dass am Vorabend mehr gelaufen wäre, als knutschen und es eine Jungfrau weniger an der Schule geben würde. Für mich brach eine Welt zusammen. Geschockt, enttäuscht, traurig und wütend zugleich, rannte ich nachhause, weg von Scott, fort von diesem Gerücht. Tagelang stellte ich mich krank, um nicht in die Schule zu müssen, bis Nicola, meine damalige beste und einzige Freundin, meinte, ich wäre ein alter Hut, und man hätte ein neues Lästerthema gefunden.
Ich nippe nochmals an der Tasse. Seit Scott habe ich keinen Typ mehr in meine Nähe gelassen ... bis Kay kam. Ich verstehe nur nicht, warum ich so schnell schwach wurde.
Die mittlerweile geleerte Tasse stelle ich auf den Boden neben die Couch. Ich sollte vermutlich doch einen kleinen Tisch oder Ähnliches kaufen, damit ich nicht immer alles auf dem Boden aufreihen muss. Gedankenversunken lehne ich mich zurück und, obwohl ich soeben einen starken Muntermacher getrunken habe, merke ich, wie mir die Augen zufallen.
***
Ein lautes Klopfen lässt mich aufschrecken. Ich blinzle ein paar Mal, um klar sehen zu können, und erhebe mich schwerfällig. Es scheint, ich habe einen größeren Schlafmangel, als ich bis jetzt angenommen habe. Womöglich sollte ich doch mal über einen Urlaub nachdenken. Aber erst nach dem abgeschlossenen Training mit River, wenn wir sie überhaupt so weit