Das Audit. Anne Buscha
mit den europäischen Institutionen.“ Michael Bär wendete seine Augen von Marga Engels ab und unterstützte die Aussagen seiner Frau, der wiederum die Blicke ihres Mannes auf ihr Mode-Double nicht entgangen waren, mit einem kurzen, kräftigen Nicken. Dann prostete er Urs Friedhelm munter zu. Das war nach seinen Erfahrungen immer eine gute Geste, wenn man nicht richtig zugehört hatte. Der Videokünstler hatte sich gerade ein Stückchen Brot gegönnt, sah sich aber genötigt, sofort und mit halbvollem Mund zu antworten. „Und man kann in Belgien wirklich gut essen … und trinken natürlich. Wenn ich an all die wunderbaren Biersorten denke.“
„Sie sagen es. Das burgundische Leben hat doch viel für sich.“ Jetzt nippte auch Frau Müller-Bär gekonnt an ihrem Weinglas und war kurz abgelenkt, als Leni den Raum betrat, ihn aber gleich wieder verließ, weil auf dem Tisch, im Gegensatz zu den Tellern, nichts Essbares mehr zu sehen war.
Ihr Hunger war nach dem Unterricht so groß, dass Leni sich auf dem Heimweg beim Albert Heijn am Bahnhof einen eingeschweißten Salat inklusive Dressing-Tüte und ein Sandwich besorgte. Das belegte Brot verzehrte sie gleich unterwegs. Sie war sehr müde, als sie die Wohnung betrat und Kathrin in der Mitte des Wohnzimmers in der Stellung des herabschauenden Hundes vorfand.
„Ist was passiert?“, fragte sie in Anbetracht der Yogaübung zu dieser späten Stunde.
„Ich muss mich ein bisschen abreagieren. Wir haben jetzt an der Hochschule einen neuen Manager. So einen jungen, dynamischen, der alles umkrempeln will. Ich bin mir noch nicht sicher, ob zum Guten oder zum Schlechten. Der war vorher Manager im Bereich Baukunde und ist nach anderthalb Jahren zu uns in die Deutschlehrerausbildung versetzt worden. Da kann doch was nicht stimmen. Meiner Meinung nach sieht das nach einer Strafversetzung aus.“
„Warte es doch erst mal ab. Vielleicht bewegt der ja was, macht mehr Werbung für euch, damit eure Studentenzahlen steigen.“ Leni mischte das Dressing unter den Salat, nahm eine Gabel aus dem Besteckfach und stopfte den Inhalt des Plastikbehälters in sich hinein.
„Ich habe übrigens auch einen neuen Job“, ließ sie nebenbei fallen. Kathrin hatte gerade den Lotussitz eingenommen und sah ihre Mitbewohnerin interessiert an.
„Toll. Wo denn?“
„Klaus Dieter hat mich heute gefragt, ob ich die Aufgaben von Beate übernehme, übergangsweise, bis die Stelle neu ausgeschrieben wird.“
Kathrins Begeisterung hielt sich, anders als von Leni erwartet, in Grenzen. Es folgten eine weitere Yoga-Figur und die Frage: „Arbeitest du da mit Beates Computer?“
„Ja.“
„Kommst du an alle Dateien ran? Ich meine, kannst du alles lesen?“
Da war sie wieder, die Frage nach den Dateien in Beates Computer. Merkwürdig. Leni selbst hätte sich ohne ihre neuen Aufgaben nicht im Geringsten für den Inhalt dieses Accounts interessiert. Aber womöglich lauerte dort noch die eine oder andere Überraschung.
„Ich glaube schon, aber ich habe gar keine Zeit, mich mit all den Dokumenten zu befassen. Das Audit hat oberste Priorität und dann sind da noch die ganzen Mails, die ich beantworten muss und mein Unterricht … Aber warum fragst du? Soll ich was Bestimmtes für dich suchen?“
„Nein, nein, das war nur so eine ganz allgemeine Frage.“ Kathrin bemühte sich um Beiläufigkeit, ohne Erfolg. „Wieso hat Klaus Dieter eigentlich dich gefragt? Er hätte doch auch jemand anderen fragen können.“
„Dich zum Beispiel?“, jetzt klang auch Leni gereizt.
„Na ja, bei mir wäre es sicher schwierig geworden, ich habe ja schon eine Teilzeitstelle an der Hochschule. Aber natürlich hätte er mich erst mal fragen können.“
„Es geht meiner Ansicht nach darum, dass es irgendwie weitergeht und jemand die Rolle des Rettungsassistenten übernimmt. Dafür war ich nun mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wärst du zu Hause gewesen und nach Klaus Dieters Anruf gleich ins Institut gerannt, hätte er bestimmt dich gefragt. Aber ich muss mich jetzt hier nicht vor dir rechtfertigen.“ Leni stürmte aus dem Raum und schloss sich auf dem Klo ein.
Dort blieb sie ziemlich lange, während Kathrin ihre Yoga-Einheit beendete, eine Flasche Wein öffnete und sich mit zwei vollen Gläsern vor der Toilettentür aufbaute. „Tut mir leid, Leni.“
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