Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
oder Tonkrüge. Beides ließ sich nicht verwenden. Holz gab es kaum – und das wenige, das vorhanden war, wurde in erster Linie als Brennmaterial gebraucht.
Wang hob schließlich eine Grube im Erdreich aus – so breit wie die ausgestreckten Arme eines erwachsenen Mannes und ebenso lang. Die Grube war zwei Handbreit tief und wurde mit gegerbten Tierhäuten auf ähnliche Weise ausgelegt wie er es in den Jurten gesehen hatte.
Sie sollte das Schöpfbecken werden.
Zweimal musste Li beim Älteren Toruk vorsprechen, um ihn davon zu überzeugen, dass man zumindest einen von ihnen fortließ, um einen Baum zu suchen, aus dessen Rinde man genug Harz gewinnen konnte, um diese Grube wasserdicht zu machen.
Außerdem brauchte man geeignete Pflanzen, die den Lumpen beigemengt werden sollten, damit das Papier geschmeidiger wurde. Zerschlagener Bambus verlieh ihm eine größere Festigkeit, aber die Hoffnung, in dieser Gegend irgendwo Bambus zu finden, hatte Li von vorn herein aufgegeben.
„Außerdem brauchen wir Rosshaar und Flechtwerk zur Herstellung von Sieben“, erklärte sie dem Stammesführer. Zwar hatte Meister Wang sein Sieb mit in die Gefangenschaft genommen, aber ein einziges Sieb reichte natürlich nicht aus. Schließlich sollte das Buch ohne Zeichen möglichst schnell erstellt werden. „Die Satteldecken deiner Männer scheinen mir gut geeignet zu ein, um die Feuchtigkeit aufzunehmen, wenn die Blätter gepresst und getrocknet werden“, fuhr Li fort.
Der alte Mann nickte langsam und mit einer Bedächtigkeit, wie sie dem Alter vorbehalten war.
Da der Ältere Toruk Li gegenüber ganz offensichtlich nicht ungewogen war, war es zu ihrer Aufgabe geworden, die Anliegen der Papiermacher vorbringen. Ihr Vater hatte es jedenfalls nicht geschafft, das Ohr des Anführers zu finden. Li hatte den Verdacht, dass er manchmal auch gar nicht verstand, was eigentlich alles zur Herstellung des herbeigesehnte Buches notwendig war. Für den Älteren Toruk grenzte dieses Handwerk an Magie und so gab sich Li große Mühe, ihm die Zusammenhänge zu erklären. Sie beschrieb ihm, was sie beabsichtigten. Dass die zerschlagenen Lumpen mit bestimmten Gräsern, Baumrinde, Holz oder anderen Pflanzen zusammengemischt wurde, dass man es in Kesseln aufkochte, erneut zerschlug, bis nur noch ein Brei übrigblieb, aus dem dann mit einem Sieb die Blätter herausgelöst wurden. „Wenn man sie vollkommen glatt haben will und von beiden Seiten beschreiben möchte, dann kann man sie mit Leim bestreichen, der sich aus Knochen und Harz gewinnen lässt“, fügte sie noch hinzu. „Dann bekommt das Papier Glätte, wie sie sonst nur die Haut von Säuglingen besitzt, sodass kein Federstrich stockt und ein Kalligraph sich nur noch ganz seiner Kunst und nicht dem Material zu widmen braucht!“
„Wenn du das sagst, dann klingt das so leicht und schön wie die Poesie der Straßendichter von Samarkand“, erwiderte der Ältere Toruk und seine Stimme hatte dabei einen fast melancholischen, weichen Klang, wie man ihn in diesem weiten Niemandsland zwischen dem Reich der Mitte im Osten und dem sagenhaften Römischen Reich der Mitte im Westen nur selten zu hören bekam. „Ich sehe es schon vor mir, dieses Buch... Auch wenn so viel mehr dafür notwendig ist, als ich zunächst geglaubt habe!“ Er seufzte. Und dann blitzte es in seinen Augen auf eine Art und Weise, die Li sehr stark an den Sohn erinnerte. „So höre, was ich entscheide: Mein Sohn wird dir sein bestes Pferd geben und dich dabei begleiten, Han-Frau.“
„Mir steht es nicht zu, mich dazu zu äußern“, sagte Li daraufhin, die ihr Entsetzen nur schwer zu verbergen vermochte.
„Dann halte dich an das, was du als richtig erkannt hast“, erwiderte der Ältere Toruk. „Und sei unbesorgt – mein Sohn Toruk wird dich zu jedem Baum begleiten, den du für richtig hältst und dich dabei beschützen, als wärst du seine Schwester.“
„Er verabscheut mich.“
„Er wird seine Abscheu bezähmen und vor allem wird er den Herzenswunsch seines Vaters genau so erfüllen, wie es ihm gesagt wurde. Glaub mir, er wird nicht einmal ein böses Wort dir gegenüber laut werden lassen.“
Als der Stammesführer den Blick abgewandt hatte, sah Li in dessen Gesichtszüge. Der Blick seiner müde gewordenen Augen war in fernes Nichts gerichtet. Li verstand plötzlich, weshalb der Ältere Toruk seinem Sohn diese Pflicht aufgebürdet hatte, die eigentlich jeder seiner Wächter hätte erfüllen können. Ja, es wäre sogar möglich gewesen, Li einfach auf sich gestellt losziehen zu lassen, um einen geeigneten Baum zu suchen, denn es wäre aus mehreren Gründen unmöglich für sie gewesen zu fliehen. Schon die Tatsache, dass ihr Vater und Gao sich noch in Gefangenschaft befanden hätte sie daran gehindert. Aber da sie sich in diesem Land nicht ein bisschen auskannte und es auch durch ihre Erziehung keineswegs gewohnt war, allein durch eine Wildnis zu streifen, hätten sie die schnellen Reiter jederzeit einholen und zurückbringen können. Für sie waren die endlosen Weiten ebenso vertraut, wie für andere Menschen die engen Gassen einer Stadt.
Aber der Ältere Toruk bezweckte offensichtlich etwas damit.
Er wollte seinen Sohn demütigen und ihm zeigen, dass der Vater immer noch über dem Sohn stand.
Genau dieser Umstand gefiel Li an der Sache am wenigsten.
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Li bekam ein gutes Pferd. Außer dem Jüngeren Toruk wurde sie noch von zwei Männern begleitet, die Li eigentlich stets immer nur in der Nähe des Älteren Toruk gesehen hatte. Ihre Gesichter waren wettergegerbt und von einem Mosaik aus Falten überzogen und die Haare von grauen Strähnen durchwirkt. Offensichtlich waren sie Vertraute des Vaters und es war dem Jüngeren Toruk anzumerken, welchen Vorbehalt er ihnen gegenüber empfand. Stundenlang mussten sie durch die Wildnis reiten, um auf kleinere Ansammlungen von Bäumen zu stoßen. Und das Harz, das man dann entnehmen konnte, war zumeist minderwertig, wie Li schnell feststellte. Manche dieser Bäume waren bereits vor Monaten angeritzt worden. Es war genug Harz in die an den Stamm gebundenen Beutel aus gegerbten Rinderhäuten gelaufen, aus dem die Uiguren wohl Pech und Lampenöl herauskochten. Um Papier damit zu bestreichen war dieser Harz nur bedingt geeignet. Papier, das damit bestrichen war, hätte in Xi Xia vielleicht gerade noch zum verpacken von getrockneten Früchten Verwendung gefunden, aber kein Beamter oder gar ein hoher Würdenträger hätte darauf sein Zeichen oder gar sein Siegel gesetzt. Aber Li konnte nicht wählerisch sein. Und das, was im Reich der Mitte vielleicht nur minderwertiger Abfall war, mochte für den älteren Toruk dennoch die Kraft einer ganz besonderen Magie haben. Einer Magie, die als einzige, den Tod zu überwinden vermochte, denn genau das wollte der alte Stammesführer letztlich erreichen, indem er seine Taten aufschreiben ließ. Der Jüngere Toruk gab Li ein Messer geben und damit ritzte sie die Rinde auf, um das Harz in einen mitgebrachten Beutel laufen zu lassen.
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Die neuen Siebe für Li und Gao zu flechten, ließ Meister Wang sich nicht nehmen. Allerdings war auch hier das Machtwort des Älteren Toruk notwendig, um das nötige Rosshaar dafür zu bekommen. Für den Rahmen nahm man ein paar Hölzer, die eigentlich Bestandteil von ein paar Fässern waren, die auf verschlungenen Pfaden hier her gelangten und wohl die unterschiedlichsten Dinge beherbergt hatten. Li hoffte nur, dass der faulige Geruch des Holzes nicht auf das Papier überging.
„Unseren Auftraggeber wird das am wenigsten stören“, meinte Gao zuversichtlich.
Gepresst wurden die Blätter mit schweren Steinen. Die anderen Gefangenen mussten sie von weit her heranschleppen oder, wenn sie zu schwer waren, über den Boden schleifen. Um die Feuchtigkeit aus den mühsam geschöpften Blättern herauszubekommen, wurden dicht gewebte und sehr saugfähige Satteldecken zwischen die einzelnen Papierlagen gelegt.
Aber die ersten fertigen, beschnittenen Blätter bekam der Ältere