Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
Kamelen her, die völlig überladen waren, aber ihren Weg trotzdem mit einer großen Gelassenheit gingen, so als könnte sie nichts erschüttern. Ganz gleich, was auch hinter dem nächsten Gebirge auf sie warten würde.
„Wir werden uns blutige Füße holen“, glaubte Gao.
„Schlimmer, als das, was wir hinter uns haben, kann das Kommende auch nicht mehr werden“, entgegnete Li.
„Deine Worte sind nur ein Zeichen mangelnder Erfahrung“, wandte sich Meister Wang an seine Tochter. „Aber wir werden sehen. Alles Klagen wird uns nicht helfen.“
Nach einer Weile war nichts mehr vom Lager der Uiguren zu sehen und seltsamerweise fühlte sich Li in jenem Moment wie befreit, obwohl das eigentlich absurd war, schließlich hatte sie nur die eine Gefangenschaft gegen eine andere getauscht.
Und doch war ihr jetzt sehr viel wohler ums Herz. Die Welt, die sie in Xi Xia gekannt hatte, war wohl für immer für sie versunken und vielleicht war es das Beste, sich frühzeitig mit diesem Verlust abzufinden und sich vom alten zu verabschieden. Wer weiß, dachte sie, vielleicht entgehe ich der Seuche, die dort jetzt zu wüten scheint, nur deshalb, weil ich verschleppt wurde.
Die Füße begannen irgendwann zu schmerzen, aber schließlich spürte sie die schon gar nicht mehr. Li interessierte sich besonders für den christlichen Mönch, der die Karawane begleitete. Er ging wie die Gefangenen und die Kameltreiber zu Fuß, während Babrak der Feilscher und seine gleichermaßen berittenen wie bewaffneten Begleiter sich manchmal eine ganze Meile oder mehr von der eigentlichen Karawane entfernten, um die Gegend zu erkunden und zu sehen, ob es irgendwo in der Umgebung vielleicht etwas gab, dem man lieber auswich. Ein sumpfiges Gelände zählte ebenso dazu wie bestimmte Nomadenstämme, die als räuberisch bekannt waren.
In der Ferne ragte ragten schroffe Gebirge auf, aber während sich die Stunden zu Tagen sammelten, hatte Li manchmal das Gefühl, immer wieder denselben Weg zu gehen, da sich die Lage dieser Berge kaum zu verändern schien.
Abends wurde ein Feuer gemacht und ein einfaches Lager errichtet. Man schlief draußen. Zwar war Li aufgefallen, dass auf den Kamelen auch das Gestänge einer Jurte mitgeführt wurde, aber der Aufwand, sie aufzubauen, lehnte Babrak der Feilscher offenbar ab. Die Nächte waren zwar manchmal bitterkalt, aber kurz, denn das Lager wurde wurde erst spät errichtet und der Aufbruch erfolgte morgens kurz nach dem ersten Strahl der Sonne. Das Ziel des Karawanenführers war es offensichtlich, so schnell wie möglich gen Westen zu gelangen.
Li war aufgefallen, dass der Mönch sich mit den Kameltreibern auf Persisch unterhalte hatte.
Als sie am Feuer saßen, sprach Li ihn daher an.
„Seid Ihr ein Gefangener?“, fragte sie.
Der Mönch wandte ihr sein bärtiges und von Wind und Wetter zerfurchtes Gesicht zu. Seine Haut glich dunkelbraunem, abgegriffenem Leder und war von einem Relief von Falten gezeichnet. Die Augen waren so blau wie der Himmel über Xi Xia an einem schönen, klaren Frühlingstag.
„Nein, ich bin kein Gefangener“, sagte er. „Ich war auf einer Reise in die Länder des Ostens und ich habe Babrak dem Feilscher einige Silberstücke dafür bezahlt, dass er mich mitnimmt.“
„So seid Ihr doch ein vermögender Mann, obwohl ich gehört habe, dass die Mönche der Christen sich zur Armut verpflichtet haben, wie es auch die Mönche tun, die in der Lehre Buddhas ihr Heil suchen.“
Li musste den Satz dreimal wiederholen, bis der Mönch sie verstand. Die persische Zunge war für sie beide fremd und es war eben doch etwas anderes, ob man nur Rosshaar für ein Sieb auf dem Markt kaufte, oder sich richtig unterhalten wollte. Dann lächelte der Mönch. Er schien verstanden zu haben, was sie meinte. „Es ist nicht mein Geld, das ich Babrak gab, sondern das der Heiligen Kirche von Konstantinopel...“
„So hat Euch Eure Kirche in den Osten geschickt? So seid Ihr ein Missionar, der seinen Glauben verbreiten will?“
„Durch sein gutes Beispiel sollte jeder Christ ein Missionar sein“, sagte der Mönch.
„Erzählt mir von Konstantinopel“, sagte Li, denn sie hatte den Namen dieser Stadt schon gehört. Die Legende von ihrem sagenhaften Reichtum und dem Gold ihrer Kuppeln war weit nach Osten gedrungen. „Sie soll die neue Hauptstadt des Römischen Reiches sein und prächtiger als alle anderen Städte...“
„Das Römische Reich ist schon vor langer Zeit untergegangen“, sagte der Mönch.
„Das höre ich mit Bedauern. Aber es wird von neuem erstehen“, erwiderte Li. „Das ist sicher.“
„Woher nimmst du deine Zuversicht?“
„Auch das Reich der Mitte des Ostens hatte Zeiten der widerstreitenden Herrscher und der Uneinigkeit gehabt. Aber das wird vorübergehen und auch im Westen wird es ein neues Rom geben.“
„Du sagst das, als wäre es ein Gesetz der Natur“, wunderte sich der Mönch.
„Ist es das nicht? Strebt nicht alles in der Welt zurück in ein Gleichgewicht?“
Der Mönch lächelte verhalten. „Die Lehre des Dao... Ich war lange genug im Osten, um davon gehört zu haben. Aber ich kann deine Sicht keinesfalls teilen. Die Erde ist vielmehr ein Ort des Jammers und der Gewalt – und erst wenn das Reich Gottes anbricht, wird es Harmonie und Einklang geben.“
„Ich verstehe nicht alles, was Ihr sagt“, erklärte Li zurückhaltend. „Aber das mag daran liegen, dass mir vieles fremd ist, was Euren Glauben betrifft.“
„Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass wir beide schlecht Persisch sprechen.“
Li deutete auf das kleine Buch, das sie bei dem Mönch bemerkt hatte. Er las des öfteren darin. Es war keine besonders feine Arbeit. Auf dem ledernen Einband war mit goldfarbenem Faden ein Kreuz eingestickt worden. „Ist das eine Bibel?“, fragte sie, denn sie hatte von dem heiligen Buch der Christen gehört, allerdings noch nie ein Exemplar davon zu Gesicht bekommen. Abschriften des Koran dagegen waren auf den Märkten von Xi Xia häufiger zu haben.
„Nein, das sind nur ein paar Gebete und die zehn Gebote“, antwortete der Mönch. „Bibeln sind selten. Und Menschen, die sie lesen könnten, noch seltener...“
„Aber wie soll sich ein Glaube verbreiten können, wenn es so wenig Bücher gibt, in denen er erklärt wird?“
„Ja, vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich die Lehre Mohammeds in den Ländern des Ostens viel schneller verbreitet als das Wort von Jesus Christus.“
Li streckte die Hand aus und der Mönch verstand sofort, was ihr Begehr war. Er gab ihr das kleine Buch.
„Du bist eine Papiermacherin, wie ich mitbekommen habe“, sagte der Mönch.
„Mein Name ist Li, ich bin die Tochter von Meister Wang.“
„Mich nennt man Bruder Anastasius.“
Li blätterte in dem Buch herum und sah sich die Schriftzeichen an. „Die Seiten sind aus Pergament nicht aus Papier“, stellte sie fest.
„Im ganzen Abendland ist Papier so gut wie unbekannt“, sagte Bruder Anastasius.
„Selbst in einer Stadt wie Konstantinopel?“
„Selbst dort ist es selten. Meistens schreibt man auf Pergament.“
„Sind dies lateinische Zeichen?“
„Nein, es sind griechische.“
„Aber Latein ist doch die Sprache Roms und seiner Kirche – oder nicht?“
„Ja, das stimmt.“
„Angeblich versteht man sie überall im Westen!“
„Das trifft leider nur auf Männer der Kirche, Gelehrte und hohe Herrschaften zu, denen das Glück zuteil wurde, in dieser Sprache unterrichtet zu werden.“
„Und ist es richtig, dass