Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker

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hatte mit keiner dieser Sprachen auch nur eine entfernte Ähnlichkeit oder ein paar Wörter gemein.

      Babrak tauschte etwas Ziegenmilch gegen ein paar Stoffbahnen, aus denen die Nomaden ein Banner für ihre Hauptjurte schnitten.

      Eine der Frauen sprach Li an. Sie verstand natürlich kein einziges Wort. Die Nomadin war klein, wirkte stämmig und hatte tiefliegende dunkle Augen und eine sehr kurze Nase, die leicht nach oben zeigte.

      Sie gestikulierte mit ihren Armen und strich sich über das Kinn. Dann hielt sie insgesamt sechsmal die auseinandergespreizten zehn Finger hin.

      „Ich habe leider keine Ahnung, was du mir sagen willst“, entgegnete Li freundlich. „Sechs mal zehn Finger sind sechzig. Aber sechzig was?“

      „Vielleicht Männer mit Bärten“, sagte eine tiefe Stimme auf Griechisch. Es war Bruder Anastasius. Li kannte inzwischen genug griechische Worte, um zu verstehen, was er sagte, auch wenn es ihr immer noch große Schwierigkeiten bereitete, selbst die richtigen Formen zu bilden oder die genaue Bedeutung jener Veränderungen zu erfassen, die Wörter in den westlichen Sprachen unterworfen waren. Schon als sie die ersten persischen und uigurischen Wörter gelernt hatte, um damit auf dem Markt gehen zu können, hatte sie oft festgestellt, dass diese Wortveränderungen gar nicht so wesentlich für die Bedeutung dessen was gesagt wurde, waren. Es reichte oft aus, die grundlegenden Bedeutungen zu erfassen. Ob etwas in der Vergangenheit geschah oder erst morgen, ob etwas einfach vorhanden war oder mehrfach, das ergab sich in der Regel aus dem Zusammenhang der Situation.

      Bruder Anastasius trat näher.

      Die Frau wich zurück. Gegenüber dem Mönch schien sie eine gewisse Scheu zu haben. Vielleicht nur deshalb, weil er ein Mann war und es die Männer ihrer Sippe nicht gerne sahen, wenn sie sich mit Fremden unterhielt. Oder sie verband den Anblick eines Mönches wie Bruder Anastasius mit irgendwelchen schlechten Erinnerungen und war deshalb so reserviert.

      Bruder Anastasius hob beschwichtigend die Hände und bekreuzigte sich dann. Anschließend sandte er ein kurzes griechisches Gebet zu seinem Gott, dessen Sinn Li überraschenderweise nicht einmal annähernd verstand, obwohl ihr viele der Wörter bekannt waren. Und doch waren sie in einer Weise miteinander verbunden, die es ihr unmöglich machte, den Sinn zu erfassen. Anscheinend muss ich noch viel lernen, ging es ihr durch den Kopf.

      „Männer mit Bärten – das ist nun wirklich kein besonderes Merkmal“, meinte Bruder Anastasius und deutete dabei auf seinen eigenen. „Das könnten Mönche wie ich sein, aber auch Perser oder Araber.“

      „Zumindest scheint das Tragen von Bärten bei den Männern dieses Stammes kaum üblich zu sein“, hatte Li bereits festgestellt. „Ich nehme an, dass er bei ihnen nicht so stark wächst...“

      „So wie bei den Angehörigen des Han-Volkes?“

      „Ja.“

      Die Frau deutete jetzt auf den hellbraunen Lederriemen, der ihr grob gewebtes Gewand zusammenhielt und deutete anschließend noch einmal auf ihr Kinn. Dazu sprach sie ununterbrochen in ihrer eigenen Sprache auf Li ein.

      „Vielleicht Männer mit hellen Bärten?“, fragte Li. Manche der persischen Händler, die bis Xi Xia gekommen waren, hatten hin und wieder etwas feilgeboten, von dem sie behaupteten, es sei das Haar hellhaariger Frauen aus einem fernen Land.

      Meister Wang hatte immer den Verdacht gehabt, dass es eigentlich von Pferden stammte. Allerdings war es für die Herstellung von Sieben zu fein und rissig gewesen und deswegen hatte der Papiermacher auch schnell das Interesse an diesem Angebot verloren. Im Gegensatz dazu boten jedoch die Perücken- und Pinselmacher Höchstpreise dafür.

      Vorausgesetzt, dass es sich wirklich um Frauenhaar gehandelt hatte, dann war es eigentlich naheliegend, dass es auch Männer mit dieser Haarfarbe gab.

      „Männer mit hellen Bärten – so weit im Osten...“, murmelte Bruder Anastasius. „Das ist kein gutes Zeichen!“

      „Was sind das für Männer?“

      „Nordmänner. Die wildesten Krieger und die gerissensten Händler, die man sich denken kann! Raub und Handel sind für sie dasselbe. Und der Kaiser von Konstantinopel hat eine Leibgarde von mehreren tausend Mann angeworben, die nur aus solchen Männern besteht! Waräger nennt man sie.“

      „Dann sind wir schon so nahe an Konstantinopel?“, fragte Li.

      Aber Bruder Anastasius schüttelte den Kopf. „Nein leider nicht. Und diese Nordmänner sind auch ganz sicher keine Gardisten des Kaisers. Was mich nur wundert ist, dass sie in einem so gebirgigen Land unterwegs sind.“

      „Weshalb?“

      „Weil sie normalerweise die Reise auf Schiffen bevorzugen. Sie folgen den Wasserläufen und fahren über die Meere.“

      „Dann muss es einen besonderen Grund dafür geben, dass sie hier waren. Sind sie Christen oder Muslime?“

      „Manche sind Christen, manche glauben an ihre eigenen alten kriegerischen Götter. Aber ich habe noch nie einen Nordmann getroffen, der Muslim war.“ Der Mönch lächelte nachsichtig. „Das ist auch nicht verwunderlich.“

      „Warum?“

      „Weil der Koran die berauschenden Getränke verbietet und die hellbärtigen Nordmänner gelten als unmäßige Trinker!“

      „Haben wir etwas von ihnen zu befürchten oder zu erhoffen?“

      „Das kann man vorher nie sagen. Ich persönlich traue nur den Nordmännern, die in der Garde des Kaisers dienen. Denn deren Loyalität ist über jeden Zweifel erhaben.“

      ––––––––

      Bruder Anastasius wandte sich wenig später an Babrak, um ihm von den Zeichen und Gesten zu berichten, die die Frau gemacht und wie der Mönch sie verstanden hatte.

      Babrak schien ziemlich beunruhigt zu sein. Er rief alle bewaffneten Begleiter der Karawane zusammen, aber von dem was sie untereinander sprachen, bekam Li nichts mit.

      ––––––––

      Weitere Tage gingen dahin. Einige der Nomaden begleiteten sie bis zu den Grenzen jenes Gebietes, das sie offenbar für sich beanspruchten. Sie waren mit Speeren und Pfeil und Bogen bewaffnet und waren die meiste Zeit über vollkommen schweigsam. Allerdings kannten sie einige günstige Schleichwege, auf denen sich ein paar aus der Entfernung recht schroff und unwegsam wirkende Höhenzüge leichter überwinden ließen.

      Die Grenze ihres Gebietes wurde durch einen schmalen, aber reißenden Fluss markiert. Aber auch hier kannten die Nomaden eine flache Stelle, über die Babrak mit seinen Tieren gefahrlos übersetzen konnte.

      Das klare Wasser war eisig. Li hatte schon nach wenigen Schritten, die sie durch den Wasserlauf watete, das Gefühl ihre Beine nicht mehr zu spüren.

      Erst am Abend, als sie am Feuer saßen, bekam sie ihre Kleidung wieder einigermaßen trocken.

      Das Land, in das sie jetzt gelangten, war nicht mehr ganz so zerklüftet. Es gab weitere, zumeist mit Gras bewachsene Flächen, die das Fortkommen erleichterten und vor allem die Möglichkeiten zu einem Hinterhalt einschränkten.

      „Das Schlimmste haben wir geschafft!“, hörte sie Babrak den Feilscher zu seinen Männern am Feuer sagen. „Und dann warten die Kuppeln und Minarette von Samarkand auf uns... Gepriesen sei Allah!“

      „Gepriesen sei Allah!“, fielen die anderen in diesen Ausdruck tiefer Dankbarkeit ein.


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