Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
man die Sprache des Koran lernen sollte, um den Glaube zu verstehen und richtig zu beten. Müsste man nicht auch Latein und Griechisch lernen, um die Lehre Eurer Kirche zu begreifen?“
„Da die meisten wichtigen Schriften des Glaubens nur in diesen Sprachen verfügbar sind – ja.“
„Wir haben einen langen Weg vor uns – aber vielleicht reicht er dazu aus, dass ich so viel Latein und Griechisch erlernen könnte, um zu entscheiden, ob Euer Glaube auch für meine Seele Erlösung bringen könnte...“
Bruder Anastasius lächelte und in seinen Augen blitzte es dabei. „Du willst mich dazu bringen, dir die Sprachen beizubringen!“, erkannte er. „Man sagt den persischen Diplomaten nach, ihre Sprache sei so geschliffen wie ein Schwert, sodass sie Kriege durch reden gewinnen könnten. Aber du brächtest das sicher auch mit deinem ungeschliffenen Markt-Persisch fertig.“
„Es ist der Gedanke, der geschliffen sein muss. Nicht die Sprache.“
„Mag sein.“
„So werde ich von Euch Latein und Griechisch lernen?“
„Nur für die vage Aussicht, eine heidnische Seele vor der Verdammnis zu bewahren? Der Glaube ist eine Gnade Gottes und nicht etwas, dass sich kalt erwägen lässt, wenn man ein wenig Griechisch und Latein kann, um die Heilige Schrift zu lesen. Aber nun gut, so sollst du einige Wörter griechisch von mir lernen...“
„Und Latein! Es ist die Sprache Roms!“, beharrte Li.
„Du nimmst dir viel vor!“
„Nicht so viel wie Ihr, Bruder Anastasius.“
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Die Tage gingen einer wie der andere vorbei. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gingen sie neben den Kamelen her. Li hörte irgendwann auf, die Tage zu zählen. Die Landschaft veränderte sich nur langsam. Die flachen, von weit entfernten Gebirgsmassiven eingerahmten Grasländer gingen irgendwann in eine steinige, staubtrockene Wüste über, an deren südlichen Rand die Karawane entlangzog. Babrak der Feilscher und seine Männer machten keinerlei Anstalten, die drei Gefangenen einer besonderen Bewachung zu unterwerfen oder in irgendeiner Weise auf sie zu achten. Sich in diesem kargen Land auf sich allein gestellt durchzuschlagen war wenig aussichtsreich. Schon in ihrem eigenen Interesse mussten Li, Mister Wang und Gao nicht zurückbleiben.
Es vergingen Tage oder Wochen, in denen sie durch eine öde, menschenfeindliche Landschaft zogen, ohne dass ihnen irgendein Mensch begegnet wäre.
Aber Bruder Anastasius hielt sein Versprechen und brachte ihr jeden Tag ein paar neue Wörter in Griechisch und Latein bei. Li stellte fest, dass es sich um Sprachen handelte, bei denen sich die Wörter so stark veränderten, dass man sie manchmal kaum wiedererkennen konnte. So ähnlich war es auch im Persischen und Li fragte sich manchmal, weshalb sich dieselbe einfache Klarheit, die die Sprache des Han-Volkes auszeichnete, in der jedes Wort unveränderlich blieb, nicht auch in den Sprachen des Westens zu finden war. Wie konnten es die Perser, die Römer oder ein Grieche wie Alexander, dessen Name selbst in Xi Xia als großer Eroberer der Vergangenheit bekannt war, je geschafft haben, große Reiche zu gründen und zu erhalten, wenn schon ihre Sprachen so wirr waren! Keine Ordnung der äußeren Dinge ohne eine Ordnung der Gedanken, so war Lis tiefe Überzeugung und wie konnte es keine Klarheit und Harmonie der Gedanken geben, wenn sie ständig durch die Sprache behindert wurde?
Vielleicht war das der tiefere Grund dafür, dass das Reich der Römer zerfallen war. Bruder Anastasius erklärte ihr, dass derzeit im Westen zwei Kaiser für sich beanspruchten, Erbe des römischen Imperiums zu sein. „Aber nur einen davon kann man ernst nehmen. Er herrscht in Konstantinopel.“
„Und was ist mit dem anderen?“
„Er herrscht von einem kalten, barbarischen Land aus, das jenseits eines großen Gebirges mit dem Name 'die Alpen' liegt.“
„Ein Barbarenkaiser“, schloss Li. „So etwas hat es auch im Reich der Mitte des Ostens schon gegeben. Im Krieg wird sich erweisen, welcher Kaiser das Erbe antreten darf.“
„Sie kämpfen zurzeit nicht gegeneinander. Stattdessen tauschen sie Prinzessinnen.“
„Das ist fast so klug, wie Kriege durch das Gerede von Diplomaten zu gewinnen!“
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Die Abstände zwischen den Oasen, an denen die Trinkwasservorräte an den Brunnen aufgefüllt werden konnten, wurden Lis Gefühl nach immer größer. Sie blieben selten länger als eine Nacht. Die Treiber sorgten dafür, dass die Kamele so viel Wasser soffen, wie sie aufnehmen konnten und es wurden ein paar Vorräte gekauft, die in der Zwischenzeit ausgegangen waren. Dörrfleisch und getrocknete Früchte, manchmal auch Trockenfisch, der aus einigen weit entfernten, völlig von Land umgebenen Meeren stammte und den Weg bis hier her gefunden hatte, waren besonders beliebt, da sie sich gut hielten. Die Märkte waren klein. Trotzdem wurden Abgaben verlangt. Es schien entlang des Weges, den die Seide nach Westen nahm, keine großen Reiche mehr zu geben. Zumindest nicht auf diesem Stück. Und so musste Babrak der Feilscher immer wieder Tribut für den angeblich sicheren Durchzug entrichten. Allerdings war stark zu bezweifeln, dass in dieser Gegend jemand die Macht hatte, eine solchen sicheren Durchzug überhaupt zu garantieren.
Li hörte, wie Babrak darüber fluchte, anstatt der nördlich der Wüste verlaufenden Route, die südliche genommen zu haben, die zwar als die schnellere, aber auch als die unsichere galt.
In einem kleinen Marktflecken wurden sie Zeuge, wie der Schädelknochen eines unbekannten Tieres mitten auf dem Brunnenplatz ausgestellt wurde. Der Schädel war so groß, wie Li es noch zuvor bei keinem anderen Tier gesehen hatte. Er war fast so lang wie der Bauch eines Pferdes und erinnerte an den Kopf einer riesenhaften Schlange – oder eines Drachen. Li hörte, was die Leute darüber redeten. Auch wenn das Uigurische, das hier gesprochen wurde, von der Sprache der Märkte in Xi Xia deutlich abwich, konnte sie doch einiges aufschnappen.
Der Staub der Wüste hatte diesen Drachenkopf freigegeben.
„Er ist ein Vermögen wert“, meinte Gao dazu. „Ich nehme an, dass man ihn zu Medizin zerkleinern wird.“
„Auf jeden Fall scheint es ein Zeichen des Glücks zu sein, dass uns der Kopf eines Drachen begegnet“, glaubte Meister Wang. „Es ist ein Zeichen des Himmels, dass sich für uns doch noch alles zum Guten wenden wird!“
Der Großteil der Bevölkerung des kleinen Fleckens hatte sich um diesen Drachenschädel versammelt und ein Schreiber verzeichnete auf einem Pergament die Namen aller Anwesenden, die bereit waren, zu bezeugen, dass sie erstens den Drachenschädel gesehen hatten und zweitens auch Zeuge davon geworden waren, wie man ihn zu einem weißen Pulver zerkleinert hatte.
Zwei kräftige Männer machten sich bereits mit großen Feilen daran, den Schädel langsam zu zerkleinern.
„Es würde mich nicht wundern, wenn sie das Drachenknochenpulver auch noch mit zerriebenen Steinen oder Wüstensand vermischen würden“, glaubte Gao. „Und am Ende wird man sich sich darüber wundern, wie viel Pulver man aus einem einzigen Drachenschädel machen kann, dem sogar noch der Unterkiefer fehlt!“
„Ein einziger Zahn davon ist mehr wert, als die Arbeitskraft von drei Papiermachern wie uns“, meinte Meister Wang.
Li fiel auf, dass Bruder Anastasius sich bekreuzigte, eine Geste, die sie schon bei anderen Gelegenheiten bei ihm und anderen Christen bemerkt hatte.
„Die Schlange ist das Zeichen des Teufels“, stieß er hervor. „Ein Beweis