Das Versagen der Kleinfamilie. Mariam Irene Tazi-Preve

Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve


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leben. Die Elternpaare sind größtenteils verheiratet (68 bzw. 69 %), 17 bzw. 10 % leben unverheiratet zusammen. Die Zahl der Dreigenerationenhaushalte ist gering. Das Phänomen der Patchworkfamilien ist relativ neu und statistisch nicht durchgängig erfassbar, weil deren Mitglieder selten vollständig im selben Haushalt leben. So haben z.B. die neuen Partner/innen der Eltern einen eigenen Wohnsitz.

      Die Familien-Definitionen reichen vom engen Verständnis der Vater-Mutter-Kind-Beziehung bis zur Anerkennung vielfältiger Familienformen wie Patchwork, Getrennt-Zusammenlebend etc. Auch die Generationen- und Geschwisterbeziehungen werden berücksichtigt sowie Ahnen/Ahninnen und Herkunft, zum Beispiel in der Forschung zu Familienstammbäumen. Stets wird aber daran festgehalten, dass Mutter und Vater die wichtigsten Bezugspersonen für das Kind seien, und das Ideal der lebenslangen Paarbeziehung propagiert, insbesondere dann, wenn aus ihr Kinder hervorgehen. Diese Vorstellungen sind nicht nur Teil der Rhetorik populärwissenschaftlicher und [24] medialer Darstellungen von Familie. Sie finden auch Eingang in die Gestaltung familienpolitischer Maßnahmen.

      Es wird zwar Forschung zu Großeltern und Geschwistern betrieben, „Untersuchungen zu Verwandten, Tanten und Onkel etc. findet man aber so gut wie gar keine“, wie Ecarius (2007, 222) feststellt. Dem liegt die „These von der Bedeutungslosigkeit der Verwandten“ seit Beginn der industriellen Gesellschaft (Ecarius 2007, 222) zugrunde. Damit trägt die Familienforschung selbst zur Perpetuierung eines bestimmten Verständnisses von Familie bei.

      Erstmals kritisch zur Familie äußerte sich die Frankfurter Schule in den 1930er Jahren in ihren Studien über Autorität und Familie (Wiggershaus 1991). Im Mittelpunkt des Interesses stand der Zusammenhang von sozialer Struktur, also Klasse, dem Staat und der Familie, die die autoritätsgläubige Persönlichkeitsstruktur produzieren. Der autoritäre Staat sei sowohl Folge als auch Produkt des in der Kleinfamilie erzeugten „sado-masochistischen“ Charakters. Die Vertreter der Kritischen Theorie, die unter dem Eindruck der ersten Schriften zum Matriarchat standen (Bachofen, Engels u.a.), sahen den Niedergang der patriarchalen Autorität in der Familie, meinten aber, dass die erstarkende ,matrizentrische“ Stellung der Mutter ohne positive Folgen bliebe, weil Frauen über keine ökonomische Macht verfügen.

      Familie hat, laut Rendtorff (2007), Funktionen in drei voneinander zu unterscheidenden Feldern. Da sei einmal das materielle Aufgabenfeld, das den Haushalt umfasst. Ein weiteres Aufgabenfeld sei die „Sorge“, die Rendtorff das „Denken vom Anderen aus“ nennt – heute wird von der Care-Ethik gesprochen. Das „edukative“, erzieherische, Aufgabenfeld wiederum mache Familie zum Ort der Kindererziehung. Die Familienforscherin Nave-Herz (2004) beschreibt die Familie erstens als Ort der „biologischen Reproduktionsfunktion“ und der Nachkommenschaft; zweitens als Ort der „sozialen Reproduktionsfunktion“, also als Ort der Regeneration; drittens als Ort der „Sozialisationsfunktion“ für Kinder, an dem sie zu Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden; viertens als Ort der „Plazierungsfunktion“ in der sozialen Hierarchie für die Kinder, an dem sich entscheidet, ob Kinder der Ober-, Mittel- oder Unterschicht angehören werden; sowie zuletzt als Ort der Freizeitfunktion sowie der „Spannungsausgleichsfunktion“.

      Diese Vorstellungen davon, was Familie zu leisten habe, gelten in Form der Ehe als institutionalisiert und rechtmäßig. Namhafte – meist männliche – Familienforscher halten weiter an der Rede von Ehe und Familie als „Keimzelle“ des Staates fest (vgl. z.B. Wingen 1997) und trotz der Vervielfältigung [25] der Lebensformen bleibt die institutionalisierte Form der Familie einer der wesentlichen staatspolitischen Grundpfeiler. So arbeiten Forschung, Rechtsprechung und Politik zusammen, um die Kleinfamilie als politisches und individuelles Leitbild zu stabilisieren.

      Oft geht die Wissenschaft vermeintlich objektiv an ihren Gegenstand heran. Das heißt, sie beschreibt, analysiert, katalogisiert. Sie ist aber normativ, wenn sie beschreibt, dass Menschen sich innerhalb der Familie regenerieren sollen, dass die gesamte Kindererziehung und -betreuung sowie die empathische Beziehung zu den Eltern in ihrem Rahmen stattfinden sollen. Auffällig sind die Auslassungen: Was ist mit dem Wohl der Eltern? Und wo bleibt die Geschlechterperspektive? Für Frauen gilt so manches nicht im gleichen Maße wie für Männer. Aus der Geschlechterperspektive betrachtet, hat die Kleinfamilie höchst unterschiedliche Bedeutungen. Statistiken und Studien bestätigen (z.B. Neuwirth 2007), dass für Frauen „Familie“ primär einen Arbeitsplatz und Ort der Verantwortung für Kinder darstellt. Frauen regenerieren sich selten im familialen Raum. Für Männer steht „Familie“ dagegen oft für Erholung und Freizeit. Und Familie dient ihnen als Rückhalt und Energieressource, damit sie kontinuierlich erwerbstätig sein können. Wie Beck-Gernsheim (1985) bereits in den 1980er-Jahren festgestellt hat, setzt der Arbeitsmarkt eineinhalb Personen voraus, nämlich den Arbeitenden selbst plus eine halbe Kraft, die Haushalt und Kinder betreut. So wird die „männliche Normalbiographie“ der Berufstätigkeit bei lebenslanger Freistellung von Familien- und Hausarbeit ermöglicht.

      Aus den zu Ende gegangenen Beziehungen lernen wir, woran sie scheitern. Kinder, ökonomische Schwierigkeiten und generell Stress bzw. mangelnde Kompetenzen zur Konfliktlösung sind laut Scheidungsforschung die Hauptauslöser (z.B. Bodenmann 2005). Amerikanische Langzeitstudien (Kurdek 1998) fanden heraus, dass nach 10 Jahren praktisch jede Ehe in einer Scheidung endet oder emotional am Ende sei. Für Männer zeigen Gesundheitsdaten, dass sich der Ehestand als gesundheitsfördernd erweist und die Lebenserwartung erhöht, für Frauen dagegen ist eine solche Wirkung nicht feststellbar.

      In der Familienforschung gibt es daher Stimmen, die erkannt haben, dass es sich beim Familienbild um „Vorstellungsmythen“ (Böhnisch/Lenz 1996) handelt. Fuhs (2007) spricht von einem dreifachen Mythos: dem „Harmoniemythos“, also die Vorstellung einer – auch historisch – verklärten harmonischen Familie; auch die Größe der Familie sei ein Mythos, da es in der [26] Vergangenheit die angeblich verbreitete Dreigenerationenfamilie kaum gegeben habe; „Konstanzmythos“ nennt Fuhs wiederum die Vorstellung, dass es sich bei der Familie um eine Art Naturkonstante handle.

      Historisches zur Ehe

      Hilfreich ist der Blick auf die historischen Anfänge dessen, was wir unter Familie verstehen. Im hellenischen Griechenland war mit „Oikos“ die Haushaltsgemeinschaft des freien Mannes, die die Ehefrau, die Kinder und die Bediensteten umfasste, gemeint und die auch die Wirtschaftsgemeinschaft umfasste. Die Ehe diente der Sicherstellung der leiblichen Nachkommenschaft, die für die Weitergabe des Erbes wichtig war.

      Die historische Bezeichnung „Familia“ bedeutete im antiken Rom zum einen Haus, Hausstand, Vermögen und Besitz, zum zweiten Geschlecht und Familie und zum dritten Dienerschaft, Leibeigene und Hörige (Petschenig 1971). Das römische Patriarchat, gleichbedeutend mit „Herrschaft des Vaters“, unterwarf die Ehefrau, die Kinder und Sklaven dem Willen des „pater familias“. Dies schloss historisch seine sexuelle, rechtliche und ökonomische Verfügungsgewalt über die gesamte Haushaltsgemeinschaft ein. Der römische Mann heiratete, um sich die Mitgift der Frau zu sichern – ein beliebtes Mittel, um wohlhabend zu werden – und um in „rechtmäßiger Ehe“ Nachkommen zu zeugen, die als legitime Kinder das Erbe antraten (Veyne 1989). Es galt, für den Fortbestand des Staates zu sorgen; Kinder zu zeugen war „staatsbürgerliche Pflicht“.

      Während die Vorstellung von der ehelichen Liebe später durch die christliche Doktrin eingeführt wurde, machte man sich im antiken Rom keine Illusionen über die Partnerliebe, wie das folgende Zitat zeigt:

      Um das Jahr 100 v.u.Z. äußerte ein Zensor vor einer Versammlung von Bürgern: „Die Ehe ist, wie wir alle wissen, eine Quelle des Verdrusses; dennoch muss man heiraten, und zwar aus Bürgersinn.“ (Veyne 1989, 49)

      Die Griechen verordneten dem antiken Oikos nicht nur die Ab- und Unterordnung unter das Gemeinwesen, sondern machten die Privatheit zum Ort der Bewahrung von Sittlichkeit. Auch kirchliche Theoretiker verbanden von Anfang an die Familie mit der christlichen Moral. Die Ehe wurde zum einzigen Ort der erlaubten Ausübung von Sexualität erklärt, was unzählige Probleme [27] verursacht hat. Darüber hinaus wurde sie als heilig erklärt und damit gefeit gegen alle rationalen Gegenargumente.

      Kennzeichen von Familie in vorindustrieller Zeit war die Haushaltsgemeinschaft, zu der auch nichtverwandte Personen gehörten, da sich die Familie


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