Gesunde Lehrkräfte in gesunden Schulen. Silvio Herzog
der Arbeit entfremdet fühlen, gehen engagierte Personen in ihrer Arbeit auf und fühlen sich voller Energie (Bakker, Schaufeli, Leiter & Taris, 2008, S. 188). Sie arbeiten intensiv und sind bereit, viel Einsatz zu zeigen (Elan), weil sie ihre Arbeit als sinnvoll und als inspirierende Herausforderung empfinden (Hingabe) und sich gänzlich auf die Arbeit konzentrieren können (Vertiefung). Diese drei Dimensionen – Elan als hohes Level an Energie und mentaler Resilienz, Hingabe als das Erleben von Sinn, Inspiration, Stolz und Herausforderung und Vertiefung als ›Flow‹ und als Involviertheit in die Arbeit – sind somit charakteristisch für Arbeitsengagement.
Genauso wie sich im Erschöpfungsprozess ein »Teufelskreis« entwickeln kann, lässt sich im Motivationsprozess oftmals eine positive Spirale beobachten. Es zeigt sich, dass engagierte Personen ihre beruflichen Anforderungen und ihre sozialen Ressourcen positiv mitgestalten: Sie suchen sich aktiv Anforderungen, die ihren Interessen entsprechen, aktivieren und nutzen soziale Ressourcen, indem sie im Team um Hilfe bitten, erleben das Arbeitsklima positiv und erhalten mehr positives Feedback. Die sozialen Ressourcen beeinflussen folglich nicht nur das Arbeitsengagement einer Person, sondern diese wirkt selbst wiederum auf ihr Umfeld zurück und schafft sich durch sogenanntes Job Crafting neue Ressourcen (Bakker & Demerouti, 2014). Diese Wechselwirkungen sind grundlegend, um verstehen zu können, wie berufliche Belastungen die Gesundheit beeinflussen können. Des Weiteren zeigen sie auf, wo Ansatzpunkte für die Gesundheitsförderung bestehen.
2.3 Kernaussagen des Kapitels
Die theoretischen Ausführungen des Kapitels Gesundheit – Begriffe und Modelle lassen sich in den folgenden zehn Kernaussagen zusammenfassen:
1. Gesundheit ist kein Zustand, sondern ein vielschichtiger, dynamischer Prozess, in dem sich kontextuelle und individuelle Faktoren gegenseitig beeinflussen.
2. Belastungen sind grundsätzlich objektiv beschreibbar und neutral, was ihre Auswirkungen anbelangt. Ob und welche subjektive Beanspruchung sie zur Folge haben, ist demgegenüber abhängig von der Interpretation des Individuums.
3. Positive Beanspruchung zeigt sich durch Freude, Wohlbefinden, Zufriedenheit und Motivation. Negative Beanspruchung hingegen äußert sich kurzfristig durch Stress, Frustration und Ermüdung und langfristig in Erschöpfung, Schlafstörungen, körperlichen Erkrankungen und Burnout.
4. Ressourcen können im Kontext liegen (z. B. Unterstützung, Feedback, Anerkennung) oder beim Individuum (z. B. Selbstwirksamkeitserwartung, Kompetenzen). Sie sind zentral dafür, ob eine Belastung als herausfordernd oder als überfordernd bewertet wird, und helfen bei der Bewältigung von Belastungen.
5. Im Gesundheitsgefährdungsprozess führt ein Ungleichgewicht zwischen wahrgenommenen Belastungen und vorhandenen Ressourcen zu negativer Beanspruchung.
6. Negative Beanspruchung im Sinne von Stress kann problemfokussiert oder emotionsfokussiert bewältigt werden.
7. Gesundheitsbedrohlich wird Stress erst, wenn es über längere Zeit nicht gelingt, bedeutsame Anforderungen zu bewältigen, das heißt, wenn eine langfristige Überforderung entsteht. Ein Burnout kann sich als Folge von lange andauernden Überforderungen entwickeln (Teufelskreis).
8. Ressourcen führen über den Motivationsprozess zu positiver Beanspruchung, da sie dazu beitragen, dass drei grundlegende menschliche Bedürfnisse befriedigt werden können: Kompetenz, Autonomie und Verbundenheit mit anderen.
9. Positiv beanspruchte Menschen nehmen ihren Kontext positiver wahr, gestalten ihn proaktiv und schaffen sich mehr soziale Ressourcen als negativ beanspruchte Personen.
10. Der berufliche Kontext sollte so gestaltet sein, dass Ressourcen und Belastungen ausbalanciert sind und die Befriedigung der Bedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und Verbundenheit ermöglichen.
2.4 Reflexionsfragen
Für (zukünftige) Lehrkräfte, Schulleitungen, Leitungspersonen des Lehramtsstudiums sowie Fachpersonen der Fort- und Weiterbildung und Beratung:
• Was bedeuten die Begriffe »Gesundheit«, »Belastungen« und »Ressourcen« für mich? Deckt sich mein Verständnis mit den wissenschaftlichen Definitionen aus Kapitel 2.1 (
• Wie spreche ich im Alltag über die Thematik?
• Kann ich eigene Arbeitserfahrungen anhand der drei in Kapitel 2.2 (
Für Lehrkräfteteams:
• Was bedeuten die Begriffe »Gesundheit«, »Belastungen« und »Ressourcen« für uns? Deckt sich unser Verständnis?
• Sprechen wir die »gleiche Sprache«, wenn wir im Alltag darüber sprechen?
Literaturverzeichnis zu Kapitel 2
Affolter, B. (2019). Engagement und Beanspruchung von Lehrpersonen in der Phase des Berufseintritts: Die Bedeutung von Zielorientierungen, Selbstwirksamkeitserwartungen und Persönlichkeitsmerkmalen im JD-R Modell. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Baeriswyl, S., Krause, A. & Kunz Heim, D. (2014). Arbeitsbelastungen, Selbstgefährdung und Gesundheit bei Lehrpersonen - eine Erweiterung des Job Demands-Resources Modells. Empirische Pädagogik, 28 (2), S. 128–146.
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Bakker, A. B., Schaufeli, W. B., Leiter, M. P. & Taris, T. W. (2008). Work engagement: An emerging concept in occupational health psychology. Work & Stress, 22 (3), pp. 187–200.
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