Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley
absolvieren müssen, bevor ich mich im Priesterseminar hätte einschreiben können. Einer Ordensgemeinschaft hätte ich erst nach meiner Priesterweihe beitreten können. Das hätte alles Jahre dauern können, aber ich war ein Junge, der es eilig hatte. Eine andere Zukunft als [43]das Priestertum konnte ich mir nicht vorstellen, und die Freiheit dieser Entscheidung wollte ich mir, wenn irgend möglich, nicht nehmen lassen. In so mancher Hinsicht war ich ein perfekter Kandidat für die SSM. Sie wurde im neunzehnten Jahrhundert in England gegründet, um Jungen aus der Arbeiterklasse, die nicht nach Oxford oder Cambridge gehen konnten, einen Weg zum Priesteramt zu eröffnen. Von Anfang an bot die SSM eine qualitativ hochwertige Priesterausbildung ohne Universitätsstudium an. Die Priesterausbildung war eines der Ziele der SSM; sie wurde als Ergänzung zu einem möglichen Ordensbeitritt, aber unabhängig davon angeboten. So befanden sich in St. Michael’s House junge Männer, die Priester werden, und einige wenige, die wie ich dem Orden beitreten wollten. Andere anglikanische Orden hätten nicht nur von mir erwartet, dass ich zuerst ein Hochschulstudium und eine theologische Ausbildung abschließe, sondern ließen zum Teil nicht einmal Kandidaten zu, die jünger waren als einundzwanzig. Dagegen nahm mich die SSM mit siebzehn auf.
Als Mitglied der römisch-katholischen Kirche wäre es nichts Außergewöhnliches gewesen, in meinem Alter einem Orden beizutreten. Die anglikanische Kirche vertrat jedoch die Auffassung, dass es unklug sei, Jungen den Beitritt zu gestatten, bevor sie sich emotional etwas abreagiert hatten. Es handelt sich immerhin um ein sehr weitgehendes Engagement, das die lebenslang gültigen Gelübde von Armut, Zölibat und Gehorsam mit sich bringt. Wie bei der britischen Armee, hieß es manchmal, denn auch ihr kann man schon mit sechzehn beitreten und es später vielleicht bereuen, aber dort muss man weiß Gott keinen Zölibat geloben! Ich konnte der Ordensgemeinschaft jedoch gar nicht schnell genug beitreten und wollte keine Zeit verschwenden. Meine Eltern akzeptierten mein Vorhaben. Als Eltern ließen sie jeden von uns seinen eigenen Weg finden und akzeptierten unsere Wahl. Mehrere meiner Geschwister hatten unser Elternhaus mit siebzehn oder achtzehn verlassen und lebten selbstständig. Mein Gemeindepfarrer jedoch war etwas schockiert und gab mir zu verstehen, dass es doch eine gute Idee wäre, noch ein oder zwei Jahre zu warten. Aber ich war ziemlich eigensinnig und ging außerdem mit dem Einverständnis meiner Eltern von zu Hause weg. Ob sie es für voreilig hielten, ist eine andere Frage. Wenn ja, sagten sie jedenfalls nichts. Ich bin auch heute noch froh, damals diese Entscheidung getroffen zu haben, stimme im Nachhinein aber zu, dass es wahrscheinlich besser ist, wenn Bewerber mehr Lebenserfahrung haben, bevor sie einem Orden beitreten.
So erschien ich also in St. Michael’s House, dem Hauptsitz der SSM, der auf den Hügeln in der Nähe von Adelaide gelegen war. Ich war siebzehn Jahre alt, und meine erste Anfrage lag genau vier Jahre zurück. Ich war für die Priesterausbildung angenommen worden, ohne die Verpflichtung, dem Orden beizutreten. Nun war ich da und hatte Neuseeland, mein Heimatland, zum ersten Mal verlassen. Die Umstellung fiel mir nicht leicht. Ich musste [44]mich daran gewöhnen, mit siebzig anderen Menschen in einem Haus zu wohnen. Außerdem hatte ich mehr gelesen und war vielleicht auch öfter in die Kirche gegangen als die meisten anderen Jungen, von denen viele schon über zwanzig waren. Ich nehme an, dass ich ein naiver Siebzehnjähriger war. Ich erwartete im Priesterseminar und in der Gemeinschaft eine Glaubenstiefe, die dort nicht immer vorhanden war. Die anderen betrachteten mich ihrerseits als kleinen, übertrieben religiösen Streber.
Ich war immer noch fest entschlossen, einem Orden beizutreten, und so versuchte ich es am Ende meines ersten Jahres dort mit einem „Deal“. Ich würde dem Orden als Novize beitreten, unter der Bedingung, dass ich nach Neuseeland zurückkehren und dort eine neue Ordensgemeinschaft gründen dürfte. Obwohl ich Heimweh hatte, waren meine Beweggründe kaum oder gar nicht darauf zurückzuführen. Vielmehr sah ich mich als Brückenkopf für die Gründung einer neuen anglikanischen Gemeinde. Ich war nun ganze achtzehn Jahre alt, hatte das erste Jahr meiner Priesterausbildung hinter mir und verfügte, um einen sehr anschaulichen jiddischen Ausdruck zu verwenden, über ein gehöriges Maß an Chuzpe – also ein für mein Alter sehr ausgeprägtes Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten. Die Mächtigen in der SSM lehnten meinen Vorschlag ab, was wohl nicht weiter verwunderlich war. Ich durfte mich als Novize bewerben, aber ohne jegliche Bedingungen. Also bewarb ich mich und wurde angenommen. Das war 1968, ich begann das zweite Jahr meiner theologischen Ausbildung und war zum Novizen der SSM-Gemeinschaft geworden.
Das Jahr 1971 war für mich von zwei Ereignissen geprägt: Ich wurde Vollmitglied der SSM, und ich wurde zum Diakon geweiht. Vollmitglieder widmen ihr Leben dem Dienst Gottes, binden sich für ihr ganzes Leben an den Orden und leisten die Gelübde der Armut, des Zölibats und des Gehorsams. In der Praxis bedeutet dies, dass Einkommen und Besitz der Gemeinschaft gehören, die Mitglieder nicht heiraten und lebenswichtige Entscheidungen nur im Einvernehmen mit der Gemeinschaft getroffen werden. Ich war erst zweiundzwanzig Jahre alt, aber ich war bereit. Diese Entscheidung habe ich nie bereut.
Noch im selben Jahr wurde ich zum Diakon geweiht. Nach dem Kirchenrecht muss man vierundzwanzig Jahre alt sein, um zum Priester geweiht zu werden, und normalerweise dreiundzwanzig, um Diakon zu werden. Es gab jedoch eine Ausnahme, nach der man auch früher Diakon werden konnte, und so wurde ich unter dieser Ausnahmeregelung geweiht. Ich war zwar in Australien ausgebildet worden, doch dank einer besonderen Vereinbarung zwischen dem Bischof von Canberra und dem Bischof von Waiapu in Neuseeland fand die Ordinierung in meiner Heimatkirche in Hastings statt, wo ich aufgewachsen war. Das Schöne daran war, dass meine ganze Familie, sogar meine hochbetagte Großmutter mütterlicherseits, anwesend sein konnten. Paul Reeves, der Bischof von Waiapu, der mich zum Diakon weihte, [45]wurde übrigens später Generalgouverneur von Neuseeland. Er besuchte mich im Krankenhaus in Australien, und als ich nach dem Anschlag nach Neuseeland zurückkehrte, wohnte ich bei ihm in seinem Amtssitz.
Die drastischen Anforderungen des Lebens in einer Ordensgemeinschaft sind nicht jedermanns Sache. Für mich ist der Glaube eine Suche nach dem, was es heißt, Mensch zu sein. Einem Orden beizutreten ist für einen Christen ein möglicher Weg – nicht unbedingt der beste und bestimmt nicht der einzige – dieser Suche Sinn zu verleihen. Die Gelübde der Armut, des Zölibats und des Gehorsams zu leisten, gibt uns die Freiheit, unbeschwert die Welt zu bereisen, frei von Besitz und Familienverantwortung, und uns bei wichtigen Entscheidungen auf die Weisheit der Gemeinschaft verlassen zu können. Was den Zölibat angeht, habe ich meine eigene Entwicklung durchgemacht und anderen Menschen zugehört und bin zu dem Schluss gekommen, dass die meisten Menschen Schwierigkeiten mit ihrer Sexualität haben, wie immer diese auch aussehen mag. Ich denke, sie führt immer zu Versuchungen, innerem Ringen und Spannungen.
Sogar in meinem Orden haben einige eine Midlife-Crisis durchgemacht und ihren Zölibat hinterfragt. Einige sind aus dem Orden ausgetreten, um zu heiraten. Zwei davon waren zu meinem Erstaunen über achtzig. Solche Krisen gehören zum Menschenleben und sind manchmal weniger auf Sexualität als auf Einsamkeit und das Bedürfnis nach einem Partner zurückzuführen. Wenn man heiratet, entscheidet man sich dafür, jeden Tag verheiratet zu sein. Genauso ist es mit dem Zölibat. Die meisten von uns leben mit der Tatsache, das wir irgendwo tief im Innern unseren Lebensweg allein zurücklegen und am Ende allein sterben. Dadurch verbirgt sich in unserem Innern eine existentielle Einsamkeit, ganz gleich wie innig verbunden und nah wir unserem Ehepartner sind. Diese Realität bedeutet andererseits, dass man als Zölibatär die brüderliche Unterstützung und Zuwendung seiner Gemeinschaft genießt. „Und wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird’s hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben“, lautet eine Passage in Matthäus 19. Selbst wenn man also seine natürliche Familie verlassen hat, wird man Teil einer anderen Familie. In meinem Leben ist der Kreis dieser Familie von Jahr zu Jahr größer geworden, sodass sie nun aus der ganzen Menschheit besteht.
Nach meiner Ordinierung als Diakon kehrte ich nach Australien zurück und wurde als eine Art Hilfspfarrer in Canberra eingesetzt. Plötzlich teilte ich mit nur drei Brüdern ein kleines Haus auf der anderen Seite der Stadt. Die zwei Jahre, die ich dort verbrachte, glichen einer verlängerten Hochzeitsreise. Ich genoss es richtig, jung zu sein – vielleicht zum ersten Mal. Das war in den frühen Siebzigern und in der Zeit der Flower-Power-Bewegung. Ich war jung und frisch geweiht. Ich fuhr mit einem kleinen Motorrad zur Gemeinde, meine langen Haare guckten unter dem blumenverzierten Helm hervor, und [46]mein Habit