Unschuldig angeklagt und verurteilt. George Kardinal Pell
genauso enttäuscht wie ich. Andere – zum Beispiel Cait Tobin20 und Greg Smith21 – waren wohlwollender und haben geltend gemacht, dass Brennan doch erkennbare Zweifel an der Verurteilung geäußert habe.
Das Essen ist zu reichlich, große Portionen mit mindestens drei Gemüsesorten in verschiedenen Farben. Ich habe den Gefängnisdirektor getroffen. Ein stattlicher Mann, beeindruckend und direkt. Er hat mir erklärt, dass meine Sicherheit oberste Priorität habe, und von Schwester Mary O’Shannassy, der Seelsorgerin, weiß ich, dass er sich in seiner zweijährigen Amtszeit für bessere Umgangsformen eingesetzt hat.
Ich habe Sehnenschmerzen im Bein (vor allem links), weil das Bett und der Toilettensitz sehr niedrig sind und es keinen Stuhl in meiner Zelle gibt. Deshalb habe ich um einen erhöhten Stuhl gebeten. Der Direktor meinte, er wolle sich nicht vorwerfen lassen, dass er mir einen bequemeren Stuhl zur Verfügung gestellt hätte, und ich habe ihm geantwortet, dass er ja nicht bequemer, sondern nur höher sein müsse! Daraufhin haben sie drei Plastikstühle aufeinandergestapelt, das hat schon geholfen. Einen erhöhten Toilettensitz habe ich auch bekommen.
Schwester Mary O’Shannassy, eine Ordensschwester der »Dienerinnen Christi«, ist eine Schwester von Monica Mackie, einer Schulrektorin, mit der ich im Bistum Ballarat zusammengearbeitet habe, und von Jake O’Shannassy, der vor mir das St Patrick’s [College] in Ballarat besucht hatte und ein guter Football-Spieler war, Position Centre Halfback22, wenn ich mich nicht irre.
Sie erinnerte sich noch daran, dass ich am Weihnachtstag die letzte Messe im Pentridge-Gefängnis gefeiert hatte, bevor es 1996 geschlossen wurde, und dass ich verspätet von dort wegkam, weil ich mit den jüngeren Häftlingen Billard gespielt hatte. Ich erzählte ihr, dass diese einfach nicht glauben konnten, was für ein miserabler Billardspieler ich war.
Gott, unser Vater, hilf all meinen Lieben, diese Zeit mit meinen Problemen und Leiden zu überstehen und etwas Frieden zu finden. Ich danke dir, dass mein Glaube fest bleibt und dass ich über ein gutes Maß an Frieden verfüge, wahrscheinlich eine greifbare Frucht der vielen Gebete, die für mich aufgeopfert werden.
Freitag, 1. März 2019
Meine Einkäufe sind aus der Kantine gekommen, aber die billigen Uhren, die sie verkaufen, waren nicht mehr auf Lager. Ich kann im Fernsehen nachsehen, wie spät es ist, aber meine Uhr fehlt mir immer noch.
Es ist ruhiger heute, weniger Gespräche, die tägliche Routine kehrt ein. Ich habe tief und fest geschlafen, bis die Wärter schließlich um 6.30 Uhr an meine Zellentür kamen, um mich zu wecken. Neben dem Bett ist ein langes vergittertes Fenster mit einer dunkel getönten Scheibe aus Glas oder Plastik. Jalousien oder Vorhänge gibt es natürlich nicht: Man kann erkennen, wie es draußen hell und dunkel wird.
Meine Kleidung ist eingetroffen, vieles davon ist im Gefängnis zu nichts zu gebrauchen, außerdem drei Bücher und ein paar Ausgaben von The Spectator. Meine Jerusalemer Bibel habe ich wieder zurückgesandt, weil Schwester Mary mir schon ein Exemplar besorgt hatte. Ich glaube, dass ich sechs Bücher und sechs Zeitschriften haben darf, und hoffe, anstelle der Bibel Peter Browns Through the Eye of the Needle23 über Geld und die alte Kirche zu bekommen. In der Herald Sun, die ich mir über die Kantine besorgen konnte, habe ich gelesen, dass Richter sich dafür entschuldigen musste, dass er von »Blümchensex« gesprochen hat. Ich hatte das gar nicht mitbekommen.24 Das Urteil der Geschworenen wurde in den meisten Leserbriefen als fragwürdig oder falsch kritisiert, und Paul und Kartya, die mich heute gemeinsam besucht haben, meinten, eine solche Debatte über die Rechtmäßigkeit eines Urteils habe es in Australien seit dem Lindy-Chamberlain-Fall nicht mehr gegeben.25
Es ist seltsam, nicht jeden Tag die Messe zu feiern, obwohl ich sonst keine Pflichten und deshalb reichlich Zeit für meine täglichen Gebete habe. Irgendwo in der Nähe muss ein Muslim inhaftiert sein, denn ich kann ihn abends beten hören. Einige der anderen Untersuchungshäftlinge sind offenbar auf Crystal-Meth-Entzug. Ein paar haben ganz sicher psychische Probleme.
Ich hatte zweimal eine halbe Stunde lang Hofgang in der Nachmittagshitze, das zweite Mal in einem neuen Außenbereich, der ein bisschen sauberer und heller war als der erste. Nachdem ich 25 Minuten lang mit meinem Stock auf und ab gegangen bin – vorwärts, zurück, seitwärts … –, bin ich froh, dass ich mich wieder ein bisschen ausruhen kann.
Während des zweiten Hofgangs kam der energische Segs-Chef26 – derselbe, der mich in Handschellen hergebracht hatte – zu mir, um mir zu erklären, dass seine Abteilung jeden Monat meine Zelle durchsuchen und dass er mich zur Urteilsverkündung bringen würde. Ich zeigte auf die leichten Quetschungen an meinem linken Handgelenk und fragte ihn, ob die Handschellen beim nächsten Mal weniger eng sein würden. Natürlich, antwortete er, aber die Handschellen würden an einem Gürtel befestigt und der Transporter würde anders aussehen! Und das alles, weil sie mich in irgendeine Sonderkategorie eingestuft haben. Ein korrekter Mann, aber nicht gerade ein Ausbund an Herzlichkeit.
Ich habe mir vorgenommen, immer abends Tagebuch zu führen und eine Routine zu entwickeln: zuerst das Stundengebet, dann, später am Morgen, eine Betrachtung – am Hebräerbrief entlang, einem meiner Lieblingstexte. Absolut christozentrisch: Paulus (oder sein Schüler oder Nachahmer) zeigt, dass Christus die Verheißung der jüdischen Schriften verkörpert.
Meine drei Plastikstühle sind durch einen prächtigen erhöhten Gesundheitsstuhl ersetzt worden, wie er mir im Krankenhaus in der Vergangenheit schon empfohlen worden ist.
Bei den Besuchszeiten ist etwas durcheinandergeraten. Nicht Samstag und Sonntag, wie auf den Listen, sondern Montag und Donnerstag. Ich habe einen Termin für drei Personen am Montag, 4. März, um 13 Uhr. Bin nicht sicher, ob David das einrichten kann.
Interessanterweise haben mir einige Leute – von Ruth bis hin zu Angehörigen des Gefängnispersonals – erklärt, dass mein Glaube in dieser Zeit eine große Hilfe sein werde. Mein erster Impuls war, ihnen trocken zu antworten, dass ich das bereits wüsste. Aber sie haben es gut gemeint, und es war interessant und sogar ein bisschen rührend, so etwas von Menschen gesagt zu bekommen, die selbst nicht gläubig sind. Sie haben recht.
Gott, unser Vater, ich bete für die Menschen, die von den Buschbränden in Gippsland betroffen sind, und für alle Häftlinge in diesem Gefängnis: Manche von ihnen sind hoffnungslos unglücklich, andere haben keinen Glauben und keine Hoffnung. Ich bete auch für das gesamte Gefängnispersonal: dass die Höflichkeit und der Anstand, den sie mir gegenüber an den Tag legen, die Norm sind und dass sie sich nicht von der Gewalttätigkeit, dem Zorn und dem Hass der schlimmsten der Häftlinge anstecken lassen.
Samstag, 2. März 2019
Die erste Lesung im heutigen Brevier (7. Woche) stammt aus dem Buch Kohelet: anspruchsvoll, pessimistisch und das heidnischste Buch im Alten Testament. »Dann wird das Licht süß sein und den Augen wird es wohltun, die Sonne zu sehen« (Koh 11,7). Weder in meiner Zelle noch auf den Fluren des Hochsicherheitsgefängnisses gibt es helle Fensterscheiben. Mein Zellenfenster befindet sich hinter einem schmiedeeisernen Fenstergitter, und sogar die obere Hälfte ist irgendwie blickdicht. Ich vermisse die Sonne und die Silhouette der Stadt und die Landschaft. Nur im Hof kann ich durch die Gitterstäbe hindurch ein kleines Stück Himmel sehen. Heute Morgen hat die Sonne gegen Ende meines halbstündigen Hofgangs einmal kurz in eine Ecke geschienen.
Jahrelang habe ich etwas die Nase gerümpft über den Schöpfungsbericht im Buch Genesis, wo Licht und Dunkelheit lange vor der Sonne erschaffen wurden. Doch das war wahrscheinlich gegen diejenigen gerichtet, die die Sonne für einen Gott oder sogar für den höchsten Gott hielten. Ich kann mir vorstellen, wie sich die Sinnoder Wahrheitssuchenden der alten Zeiten in diese Richtung vorangetastet und die Sonne vergöttlicht haben.
Das Gefängnis ist ein Ort der Bestrafung, auch wenn es von anständigen Menschen geführt wird. Gesuche werden immer verspätet beantwortet und Verwechslungen gibt es reichlich. Mehrtägige Verzögerungen sind üblich und die spartanischen Bedingungen in der Zelle und das schlechte Licht sind Teil des Systems. Wo Licht ist, ist auch Schatten, doch auch das Gegenteil ist wahr: Wir können zwar keine Fenster öffnen, aber wir