Dolmetschen in der Psychotherapie. Mascha Dabić
Psychotherapeutin, als auch im Hinblick auf die Aussagen eines Klienten. Zwar hielt sie sich auf der Wortebene jeweils an das Original, aber ihre Körpersprache und die unwillkürliche Modulation ihrer Stimme verrieten ihre emotionalen Reaktionen auf das Geschehen. Sie war also trotz ihres rationalen Wissens um die Notwendigkeit, sich distanziert und zurückhaltend zu verhalten, nicht in der Lage, ihre Emotionen ganz zu verbergen, was ihrer Meinung nach reale Auswirkungen auf den weiteren Gesprächsverlauf hatte, indem ihre eigene Haltung sich auf ihr Gegenüber übertrug. Pinzker zieht daraus die Schlussfolgerung, dass es eine vielschichtigere und flexiblere Ethik des Dolmetschens braucht, eine, die nicht auf dem Mythos der Neutralität beruht, sondern „auf dem Anerkennen des Mensch-Seins, Beteiligtseins und der daraus erwachsenden Notwendigkeit der Reflexion“ (2015: 66). Daraus leitet sie die Forderung ab, die Rolle der DolmetscherInnen in den entsprechenden Einrichtungen aufzuwerten und Schulungen anzubieten, die auch Inhalte umfassen, die über das Dolmetschen hinausgehen, wie etwa Psychotherapiemethoden, Trauma und Traumatherapie, Lebensbedingungen von AsylwerberInnen, Asylgesetzgebung etc.
Auch Tribe & Sanders vertreten die Meinung, dass sowohl das medizinische Personal (clinicians) als auch DolmetscherInnen eigens geschult werden sollen, um die PatientInnen optimal versorgen zu können, insbesondere im Bezug auf psychische Gesundheitsversorgung (mental health). Diesbezüglich orten sie fehlendes Bewusstsein bei einigen MedizinerInnen, die das Dolmetschen als eine reine Hilfstätigkeit betrachten, die unbezahlt verrichtet werden sollte: „Some of the clinicians (paid) felt that it should remain a ‚Cinderella‘ service, with the interpreters undertaking their work on a voluntary basis or being paid a minimum amount. The reasons given were that they were not professionals and had no recognised training“ (2003: 57). DolmetscherInnen sollten zwischen Psychiatern, Psychologen, Psychotherapeuten und psychosozialen Beratern differenzieren können, außerdem Bescheid wissen über posttraumatische und somatische Reaktionen, Depressionen etc. Zudem sollten DolmetscherInnen laut Tribe & Sanders bereits im Vorfeld auf schwierige Situationen vorbereitet werden, wie etwa darauf, dass KlientInnen auf sie zukommen könnten mit der Bitte, gewisse Informationen nicht an den Psychotherapeuten weiterzugeben, oder auch darauf, dass KlientInnen psychotische Reaktionen an den Tag legen könnten. Die Grundzüge der Rolle der DolmetscherIn sollte ebenfalls bei solchen Fortbildungen vermittelt werden, beispielsweise an Hand von Rollenspielen. Andere wichtige Punkte sind ethische Überlegungen, die Bedeutung absoluter Verschwiegenheit und die Bedeutung des exakten Dolmetschens, also das Bestreben, möglichst nahe an der Wortwahl der KlientIn zu bleiben (2003: 58ff.). Tribe & Sanders präsentieren außerdem eine Liste von Richtlinien für die Arbeit mit DolmetscherInnen und plädieren insgesamt dafür, dem Dolmetschen als Tätigkeit und der DolmetscherIn als Person genügend Zeit und Raum einzuräumen (2003: 61ff.).
Der Familientherapeut Maxwell Magondo Mudarikiri berichtet von einer Episode, die anschaulich zeigt, was passieren kann, wenn die Präsenz der DolmetscherIn und ihre aktive Teilnahme am Gespräch nicht ausreichend Berücksichtigung finden (2003: 189): Eine Patientin vertraute sich der Dolmetscherin an, und diese gab die Informationen nicht an den Therapeuten weiter, sondern unterhielt sich mit der Patientin und ging auf ihre Sorgen ein. Erst auf Nachfrage des Therapeuten erzählte sie, dass sie die Klientin um Erlaubnis gebeten hatte, die Informationen an den Therapeuten weiterzugeben. Selbstkritisch stellt Mudarikiri fest, dass er es verabsäumt hatte, die Dolmetscherin über ihre Rolle aufzuklären, da er davon ausgegangen war, dass die Dolmetscherin wissen würde, was zu tun war – dies war allerdings offenbar nicht der Fall.
With hindsight I would have benefited from making adequate time available prior to the start of this session in order to build up a working relationship with the interpreter, and to clarify the roles that each of us would take in the work. I had not created the space to empower the interpreter to make an equal contribution to the work before it was started. The interpreter may not have had a context from which to make sense of the questions that I was asking, and what theoretical ideas were underpinning my questions (2013: 190).
Die von Mudarikiri berichtete Episode zeigt anschaulich, dass man in der gemeinsamen Arbeit in der Regel aus den „Fehlern“ lernt, beziehungsweise durch die Bereitschaft, über solche Fehler zu reflektieren.
Aus den in diesem Abschnitt angeführten Aussagen geht hervor, dass eine Ethik des Dolmetschens – unabhängig von der Ausbildung der DolmetscherInnen – auch denjenigen, die mit DolmetscherInnen arbeiten, ein Anliegen sein muss. Ein ethisches Verhalten kann von DolmetscherInnen allerdings nur dann eingefordert werden, wenn zugleich die DolmetscherIn als eine Person betrachtet wird (und nicht als eine Un-Person). Mudarikiri nimmt diesbezüglich auch die Seite der MedizinerIn in die Pflicht:
There is no active observer to an interaction who does not influence what he or she observes. Therefore, the notion that interpreters can carry out their work as if they have no prior cultural or familial context, or views and opinions is unhelpful. At worst it can be a dangerous view to hold as it generates a model of work where interpreters are seen as having no more than a mechanical translating role in the work. The interpreter will bring their personhood, life experience, and work experience into an encounter with the clinician and service user. Embracing the personal qualities of the interpreter into the work can have an enhancing effect, rather than becoming a problem that has to be overcome. To utilise the interpreter effectively requires training on the part of the clinician. (2003: 190)
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.