Dolmetschen in der Psychotherapie. Mascha Dabić

Dolmetschen in der Psychotherapie - Mascha Dabić


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      Tribe & Morrissey weisen auf einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingsstatus (also erzwungener Fluchterfahrung) und psychiatrischen Problemen hin (2003: 202). Kulturschock oder reaktivierte Inhalte und der Verlust von Identität und kulturellen Werten werden als Erklärungen für diese Korrelation herangezogen. Dank des Einsatzes von DolmetscherInnen ist es möglich, dass diese Menschen Zugang zu psychiatrischer und psychotherapeutischer Versorgung erhalten: „(…) interpreters may play an indispensable role in mental health assessments and in ensuring that access to mental health services is possible“ (2003: 204). Dabei ist zu bedenken, dass es fast überall in der Welt ein Stigma ist, psychische oder emotionale Probleme zu haben, dass aber die Idee eines Fachmanns oder einer Fachfrau, der/die für diesen Bereich zuständig ist, nicht überall verankert ist; stattdessen kann es ein älteres Familienmitglied, ein traditioneller Heiler, der Gemeinschaftsälteste oder ein Alternativmediziner sein, an den man sich in solchen Fällen wendet. Die Idee, dass man seine Gedanken und Gefühle einem Fremden anvertraut, ist Teil eines westlichen Konzepts von Psychotherapie und kann anderswo als befremdlich wahrgenommen werden und dazu führen, dass fremdsprachige PatientInnen es vorziehen, über körperliche Schmerzen und Symptome zu klagen, anstatt sich über ihre Ängste zu unterhalten (2003: 206). Vor diesem Hintergrund kann die Präsenz einer DolmetscherIn eine zusätzliche Aufwertung erfahren, denn die DolmetscherIn ist zumindest mit der Sprache der KlientIn vertraut und stellt somit einen Anknüpfungspunkt an Vertrautes dar.

      Köllmann führt zwei wesentliche Punkte ins Treffen, in denen sich die Tätigkeit im psychotherapeutischen Setting von anderen Einsatzbereichen für DolmetscherInnen unterscheidet: Zum einen begleitet die DolmetscherIn in der Regel einen Therapieprozess über einen längeren Zeitraum hinweg, sodass eine vertrauensvolle Beziehung zwischen DolmetscherIn und PatientIn entsteht. Zum anderen sind die Themen, die in Therapiesitzungen zur Sprache kommen, häufig emotional sehr belastend, was in anderen Bereichen für gewöhnlich nicht der Fall ist, oder wovon zumindest nicht von vornherein auszugehen ist (2011: 55).

      Bot beschreibt das Dilemma, mit dem eine ausgebildete und praktizierende Psychotherapeutin konfrontiert ist, wenn die gewohnte Dyade zu einer Triade erweitert werden muss:

      As a psychotherapist I have been taught to word my interventions very carefully – the choice of words, tenses and mood each infuence the effect of the intervention. At the same time I have no idea what the interpreter is doing to my words – does he retain the therapeutic intention that I put in them or does he turn them into something completely different? Likewise, what happens to the words used by the patient? Pasychotherapists have also been taught of the importance of a therapeutic relationship. It has to be built up carefully between therapist and patient. At the same time I needed to deal with the situation that the interpreter could be ‚anyone‘ – so one session with a patient I would have one interpreter to assist us, whereas in the next session witht the same patient there would be another interpreter. How could I explain and justify this? (2005: 5)

      Der Aufbau einer therapeutischen Beziehung – die Hauptaufgabe einer TherapeutIn – muss in diesem Fall also in enger Zusammenarbeit mit einer dritten Person erfolgen, von der nicht a priori davon ausgegangen werden kann, dass sie die Bereitschaft und/oder die Fähigkeit mitbringt, das Konzept einer therapeutischen Beziehung intellektuell und emotional nachzuvollziehen und in weiterer Folge aktiv mitzugestalten. Bot vergleicht die Arbeitsweise von DolmetscherInnen in der Psychotherapie mit anderen Kontexten: Polizeieinvernahmen, Gespräche mit Bewährungshelfern, Gespräche in der Notaufnahme, bei Gericht etc. Bei Konferenzen gäbe es allerdings wenig Interaktion zwischen DolmetscherIn, SprecherIn und dem Publikum. „Each of these situations is in some way similar and in other ways different from the situation that I studied“ (Bot 2005: 27).

      Pinzker plädiert dafür, die triadische psychotherapeutische Gesprächssituation als ein eigenständiges Setting innerhalb der Psychotherapie zu betrachten und darauf zu verzichten, Vergleiche zur Dyade zu ziehen oder die Unsichtbarkeit der DolmetscherIn anzustreben. Maschinelle oder technische Modelle für die Rolle der DolmetscherIn sollten als Mythen entlarvt werden und einer offenen (auch ergebnisoffenen) personenbezogenen Grundhaltung gegenüber dem psychotherapeutischen Setting Platz machen (2015: 35ff.). Pinzker empfiehlt daher gerade NeueinsteigerInnen, „‚alten‘ Leitfäden“ kritisch zu begegnen, sich ganz bewusst auf die neue Konstellation Psychotherapeutin-Dolmetscherin-Klientin einzulassen und sich zunächst einzugestehen, dass man eben (noch) nicht weiß, „wie es geht“, in diesem Setting zu arbeiten:

      Dies gilt es vielleicht zunächst einmal „nur auszuhalten“, ohne sofort nach „Leitfäden“ zu rufen oder sich an einen Dyade-Vergleich zu klammern. Es gibt keinen Vergleich. Es handelt sich um etwas Neues, sozusagen Beispielloses. Die Triade mit dem Einzelsetting ohne Dolmetscherin zu vergleichen oder aus ihm für die Arbeit in der Triade etwas „ableiten“ zu wollen, erscheint mir nicht zielführend, im Gegenteil, mit Blick auf das Datenmaterial, vielmehr hinderlich. (2015: 46)

      Pinzkers Ansatz mag aus psychotherapeutischer Sicht geradezu radikal anmuten, es ist aber gerade eine solche Haltung, die sich als produktiv erweisen kann – offen für noch unbekannte Dynamiken, frei von Zwängen, sich an „alte Leitfäden“ zu halten, die den aus der triadischen Konstellation erwachsenden Komplikationen nicht ausreichend Rechnung tragen können.

      Aus translationswissenschaftlicher Sicht ist die Präsenz der DolmetscherIn in einer triadischen Gesprächssituation so selbstverständlich, dass sie im Grunde keiner weiteren Erwähnung bedarf: Überall dort, wo eine DolmetscherIn anwesend ist und ihre Sprach- und Dolmetschkompetenz den GesprächspartnerInnen zur Verfügung stellt, findet eben ein dolmetschgestütztes Gespräch statt und ist somit für die Translationswissenschaft von Relevanz und von Interesse. Aus der Sicht der psychotherapeutischen Tradition und also der Psychotherapieforschung jedoch ist die Präsenz einer dritten Person geradezu ein revolutionärer Akt, in dem Sinn, dass eine solche Arbeitsweise Altbekanntes außer Kraft setzt und neue Denkweisen auf den Plan ruft. Diese Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des triadischen psychotherapeutischen Settings aus der Perspektive der Translationswissenschaft einerseits und der Psychotherapieforschung andererseits gilt es bei der Beschreibung und Bewertung der Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Settings zu bedenken.

      4.2.1 „Bühne“ und „Rolle“

      Berufsgruppen agieren permanent in gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen – das trifft auch auf wenig professionalisierte und stark heterogene und fragmentierte Berufsgruppen zu.

      Der kanadische Soziologe Erving Goffman vergleicht das soziale Leben mit einer komplexen Bühne, auf der ein Ensemble von DarstellerInnen vor einem Publikum auftritt und in bereits vorgegebene Rollen schlüpft, stets darauf bedacht, die Fassade aufrechtzuerhalten, die Rolle glaubhaft zu verkörpern und gegebenenfalls den vom Publikum an den Darsteller herangetragenen Idealisierungen und Mystifikationen Rechnung zu tragen (vgl. Goffman 1969/2003). Das glaubhafte Verkörpern der Rolle der DolmetscherIn ist in einer gegebenen Situation eng verknüpft mit der Dolmetschkompetenz, die zu dem jeweiligen Zeitpunkt und im jeweiligen Kontext abgerufen werden kann, allerdings ist der Faktor der Präsentation ein nicht zu vernachlässigender: Eine Verdolmetschung kann fehlerhaft und/oder unvollständig sein, und dennoch kann es der DolmetscherIn gelingen, durch ein selbstsicheres Auftreten und eine gelungene Präsentation einen positiven Eindruck beim Publikum zu hinterlassen, d.h. bei der Zuhörerschaft das Gefühl hinterlassen, man habe „alles verstanden“; umgekehrt kann eine vollständige, korrekte Verdolmetschung durch eine mangelhafte Präsentation unglaubwürdig klingen. Goffman beschreibt die Anforderungen an eine Rolle folgendermaßen:

      Denn wenn die Tätigkeit des Einzelnen Bedeutung für andere gewinnen soll, muß er sie so gestalten, daß sie während der Interaktion das ausdrückt, was er mitteilen will. Es kann in der Tat vorkommen, daß von dem Darsteller Beweise seiner Fähigkeit nicht nur im gesamten Verlauf der Interaktion, sondern auch innerhalb eines Sekundenbruchteils verlangt werden. Wenn etwa der Schiedsrichter beim Baseballspiel den Eindruck erwecken will, er sei sicher in seinen Entscheidungen, so muß er auf den Augenblick der Reflexion verzichten, der ihm gerade die Sicherheit geben könnte. Er muß sofort eine Entscheidung fällen, damit das Publikum sicher sein kann, dass sein


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