Dolmetschen in der Psychotherapie. Mascha Dabić

Dolmetschen in der Psychotherapie - Mascha Dabić


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in Traumazentren als Antrieb dienen: Selbstüberhöhung und Selbstglorifizierung in der Märtyrerrolle und die daraus abgeleitete Überzeugung, etwas Besonderes, Grandioses zu leisten, sind Mechanismen, die eine kompensatorische Funktion für den Seelenhaushalt erfüllen können, also beispielsweise ein mangelndes Selbstwertgefühl ausgleichen (vgl. Pross 2009: 118ff.).

      Diese Mechanismen sind bereits in der Beziehung zwischen Helfer und Patient angelegt: Ein solches Verhältnis ist von vornherein asymmetrisch, zusätzlich neigen Flüchtlinge dazu, die TherapeutInnen zu idealisieren und ihnen magische Fähigkeiten zur Problemlösung zuzuschreiben – aus dem nur allzu verständlichen Wunsch heraus, jemanden zu haben, der einem wirklich helfen kann und will. Problematisch wird es dann, wenn HelferInnen diese Zuschreibungen und Erwartungshaltungen bereitwillig annehmen und sich als RetterInnen oder auch MärtyrerInnen aufspielen.

      Interessant ist, dass Pross einen Vergleich zwischen HelferInnen in Westeuropa und in Schwellenländern zieht und zu dem Schluss kommt, dass der Narzissmus „in unserer behüteten, privilegierten Welt“ (2009: 122) in solchen beruflichen Kontexten signifikant stärker ausgeprägt ist als in den Schwellenländern, in denen Gewalt und Zerstörung zum Alltag gehören, sodass alle Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld davon betroffen sind und mit Überlebenden zu tun haben: „Hilfe für diese ist eine Selbstverständlichkeit, nicht so etwas Außergewöhnliches, Besonderes, und es wird deshalb nicht so viel Aufhebens darum gemacht“ (2009: 122).

      Für DolmetscherInnen gilt die Rolle der „HelferInnen“ nur bedingt: Die Aufgabe der DolmetscherInnen – die Gewährleistung der sprachlichen Verständigung – ist so klar umrissen, dass eigene aktive Hilfsangebote von vornherein eine unzulässige Grenzüberschreitung darstellen, wiewohl die Entscheidung an sich, in einem Traumatherapiezentrum als DolmetscherIn zu arbeiten, durch den Wunsch „zu helfen“ motiviert sein kann. DolmetscherInnen sind also durch die Natur ihrer beruflichen Tätigkeit in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt, zugleich tragen sie weniger Verantwortung für die reale Lebenssituation der KlientInnen, was durchaus als entlastend erlebt werden kann (dieser grundsätzliche Unterschied zwischen der Arbeit der TherapeutInnen und der DolmetscherInnen wurde bereits unter 3.3.2 thematisiert).

      Auch im Hinblick auf das Ansehen innerhalb der eigenen Berufsgruppe unterscheidet sich die Situation der DolmetscherInnen von der der TherapeutInnen: Geht man davon aus, dass es in einzelnen Berufsgruppen so etwas wie eine „Reputationspyramide“ geben könnte, in der bestimmte Tätigkeitsfelder als besonders angesehen gelten, so wären die TraumatherapeutInnen an der Spitze dieser Pyramide angesiedelt: Das Arbeiten mit traumatisierten Überlebenden erfordert hohe Qualifikationen und viel Erfahrung, und TraumatherapeutInnen können sich der Wertschätzung innerhalb ihrer Kollegenschaft sicher sein. Im Unterschied dazu ist das Arbeiten mit Flüchtlingen und AsylwerberInnen für DolmetscherInnen definitiv nicht an der Spitze einer solchen imaginierten Pyramide zu verorten, sondern eher am unteren Ende: Die Arbeit im Asylbereich ist für DolmetscherInnen deutlich schlechter entlohnt als die Arbeit im Konferenzbereich, und in puncto Terminologie und Dolmetschkompetenz sind die Anforderungen an die DolmetscherInnen bei internationalen Konferenzen wesentlich höher. Sehr verkürzt gesagt, ist davon auszugehen, dass ein ausgebildeter und praktizierender Konferenzdolmetscher rein arbeitstechnisch mit den Anforderungen der Gesprächssituation in der Psychotherapie spielend fertig werden könnte, während umgekehrt der durchschnittliche (Laien-)dolmetscher aus dem Asylbereich nicht ohne weiteres einen Platz in der Dolmetschkabine einnehmen kann.

      Somit lassen sich die Überlegungen und Erkenntnisse von Pross im Hinblick auf narzisstische Motive bei der Arbeit mit Traumaopfern nicht von der Berufsgruppe der TherapeutInnen kurzerhand auf die Berufsgruppe der DolmetscherInnen übertragen. Dennoch sind DolmetscherInnen als Teammitglieder ähnlichen Dynamiken wie TherapeutInnen ausgesetzt, und es lohnt sich auch für DolmetscherInnen, sich mit dem Stellenwert von Traumabehandlungszentren in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Darauf soll im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden.

      3.4 Trauma und Gesellschaft: Abwehrreaktionen

      Die oben beschriebenen Größenphantasien der HelferInnen sind in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext eingebettet: MitarbeiterInnen von Traumazentren machen etwas Außergewöhnliches, das andere, „normale“ Menschen nicht machen können und auch nicht machen wollen:

      Das lobende und bewundernde Auf-die-Schulter-Klopfen der Mitmenschen, dass man was ganz ‚Tolles‘ mache, ist im Grunde genommen eine Abwehr, die deren eigenem Schutz dient. Sie möchten mit diesen angstbesetzten Abgründen möglichst wenig zu tun haben und sind froh, dass es Leute gibt, die diese unangenehme Arbeit machen, die sonst keiner machen will. Die Gesellschaft delegiert gewissermaßen die Aufräumarbeit aus den Trümmern, die sie selbst mit Kriegen, Armut und Flüchtlingselend angerichtet hat, an die Traumahelfer, welche die seelischen und körperlichen Folgeschäden beheben sollen. Die Helfer werden im allgemeinen schlechter bezahlt und erfahren weniger Wertschätzung als andere Berufe. Dafür bekommen sie hin und wieder einen Menschenrechtspreis, oder ein Unternehmen überreicht ihnen bei einer Gala einen Scheck. (Pross 2009: 120)

      Die Aussage, wonach die Helfer „weniger Wertschätzung als andere Berufe“ erfahren, bezieht sich auf die gesamtgesellschaftliche Realität, genauer gesagt auf den Umstand, dass Wertschätzung vordergründig durch Bezahlung ausgedrückt wird, denn TraumatherapeutInnen genießen unabhängig von der Bezahlung sehr wohl viel Anerkennung im Umkreis ihrer KollegInnen aus anderen Sparten, wie bereits im vorigen Abschnitt festgestellt wurde. Zentral an diesem Zitat ist jedoch der Begriff Abwehr: Mit Inhalten, die Grauen erregend und bedrohlich sind, möchte man sich normalerweise nicht auseinandersetzen (müssen), und schon gar nicht mit jenen Menschen, die als Erzählende direkte Betroffene, Zeugen und Boten dieser Inhalte sind.

      Ottomeyer widmet sich ausführlich der Abwehr des Traumas und der Verfolgung der Opfer durch die Gesellschaft und bemängelt, dass manche Gutachter und Asylbeamte „Meister der Verleugnung und der Entwertung der Opfer“ seien (2011: 82), und betont, dass die Abwehr des Schreckens dazu führt, dass Opfer als unglaubwürdig dargestellt und in die Isolation getrieben würden: „Wenn aber die Opfer unseren Wohnstuben und unserem Nahraum zu nahe kommen, droht der Einbruch des mit verschiedenen Techniken auf Distanz gehaltenen Wahnsinns in die geschützte Welt“ (2011: 89).

      Zu diesen „verschiedenen Techniken“ gehöre unter anderem auch der Neid auf die Opfer, der sich in einer „tief sitzenden Konkurrenzangst im Ringen um soziale Zuwendung und Aufmerksamkeit“ äußert, und zwar im Kontext gesellschaftlicher Zustände, in denen die Ressourcen zunehmend knapp werden und (mehr oder weniger berechtigte) Abstiegsängste sich breit machen. Als medial transportierte Beispiele in der jüngsten Vergangenheit Österreichs, bei denen die anfängliche Empathie mit den Opfern rasch in Neid und Missgunst kippte, nennt Ottomeyer die beiden prominenten Jugendlichen Arigona Zogaj und Natascha Kampusch (vgl. Ottomeyer 2011: 91f.).

      Der Autor macht auch auf einen weiteren gesellschaftlich relevanten Aspekt aufmerksam: „Zu viel Mitgefühl mit den Opfern stört einfach den Konsum und die oberflächliche Lebensfreude, an welche wir uns im (mittlerweile bedrohten) hedonistischen Kapitalismus der letzten Jahrzehnte gewöhnt haben und gewöhnen sollten“ (S. 97). Im Zeitalter des postmodernen Kapitalismus sind es allenfalls einzelne Schrecksekunden, die zum Innehalten zwingen, ansonsten wähnt man sich aber in den westeuropäischen Gesellschaften auf der sicheren Seite und möchte mit dem Elend der Opfer lieber nicht behelligt werden. Die Helfer der Opfer (PsychotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, VertreterInnen von Kirchen und NGOs) müssen damit rechnen, als „Gutmenschen“ diffamiert zu werden (2011: 98f.). Unter der Überschrift „Ein Europa der Menschenjagden?“ (2011: 119) führt Ottomeyer drastische Beispiele der europäischen Abschottungspolitik an, die den Verlust von Menschenleben in Kauf nimmt und schließt mit einer Aussage, die umgelegt auf die derzeitige politische Lage aktuell anmutet: „Anderen Menschen Angst machen hilft manchen Leuten dabei, die Angst, die sie haben, nicht spüren zu müssen“ (2011: 134).

      3.5 Abschließende Bemerkungen

      Wie bereits erwähnt, ist das Dolmetschen kein klassischer „Helferberuf“ und somit zählen die DolmetscherInnen im Kontext der Psychotherapie nicht zu den klassischen „HelferInnen“,


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