Dolmetschen in der Psychotherapie. Mascha Dabić
Völkern und Reichen“ fast immer „durch die Kraftprobe des Krieges entschieden“ (2007: 169), was zu Beraubung, voller Unterwerfung oder Eroberung des einen Teils führt.
Um dieses Phänomen zu erklären, führt Freud die Triebe des Menschen ins Treffen, die „nur von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen – wir heißen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposion Platos (…) – und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen.“ (2007: 171). Freud enthält sich jedoch einer Wertung von Gut und Böse und postuliert: „Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor.“ Utopischen Vorstellungen eines friedlichen, aggressionsfreien Zusammenlebens von Menschen, sei es in simplen Gesellschaftsformen als Naturvölker oder in ideologischen, beispielsweise bolschewistischen Zusammenhängen, erteilt Freud eine klare Absage und spricht in diesen Fällen von Illusionen. Es könne nicht darum gehen, die menschliche Aggressionsneigung völlig zu beseitigen, sondern man könne nur versuchen, sie so weit abzulenken, dass sie nicht ihren Ausdruck im Kriege finden müsse.
Freud formuliert an einigen Stellen prägnant seine Überlegungen zum Krieg, die an Aktualität nichts eingebüßt haben, und es erscheint sinnvoll, diese Abschnitte ebenfalls im Originalwortlaut wiederzugeben, angesichts des Umstands, dass in der vorliegenden Arbeit mit kriegstraumatisierten Menschen sowohl den PsychotherapeutInnen als auch den DolmetscherInnen eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Krieges nicht erspart bleibt und Freuds einschlägige Überlegungen eine wertvolle Kontextualisierung bieten, zumal jegliches Arbeit mit Flüchtlingen eine grundsätzlich pazifistische Weltanschauung voraussetzt, oder jedenfalls eine Haltung, die sich der Kriegslogik, die manchen Menschen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe das Existenzrecht abspricht, widersetzt.
Warum empören wir uns so sehr gegen den Krieg, Sie und ich und so viele andere, warum nehmen wir ihn nicht hin wie eine andere der vielen peinlichen Notlagen des Lebens? Er scheint doch naturgemäß, biologisch wohlbegründet, praktisch kaum vermeidbar. Entsetzen Sie sich nicht über meine Fragestellung. (…) Die Antwort wird lauten, weil jeder Mensch ein Recht auf sein eigenes Leben hat, weil der Krieg hoffnungsvolle Menschenleben vernichtet, den einzelnen Menschen in Lagen bringt, die ihn entwürdigen, ihn zwingt, andere zu morden, was er nicht will, kostbare materielle Werte, Ergebnis von Menschenarbeit, zerstört und anderes mehr. Auch daß der Krieg in seiner gegenwärtigen Gestaltung keine Gelegenheit mehr gibt, das alte heldische Ideal zu erfüllen, und daß ein zukünftiger Krieg infolge der Vervollkommnung der Zerstörungsmittel die Ausrottung eines oder vielleicht beider Gegner bedeuten würde. (Freud 2007: 175)
Die Erklärung, die Freud schließlich für die Empörung gegen den Krieg liefert, ist von verblüffender Schlichtheit: „Ich glaube, der Hauptgrund, weshalb wir uns gegen den Krieg empören, ist, daß wir nicht anders können. Wir sind Pazifisten, weil wir es aus organischen Gründen sein müssen.“ (2007: 176). Mit „organischen Gründen“ meint er den Umstand, dass der Prozess der Kulturentwicklung zu psychischen Veränderungen führt, indem eine fortschreitende Verschiebung der Triebziele und Einschränkungen der Triebregungen stattfinden. Es komme zu einer Erstarkung des Intellekts, die wiederum zu einer stärkeren Beherrschung des Trieblebens führt, sowie zu einer Verinnerlichung der Aggressionsneigung. Weiter führt Freud aus:
Den psychischen Einstellungen, die uns der Kulturprozeß aufnötigt, widerspricht nun der Krieg in der grellsten Weise, darum müssen wir uns gegen ihn empören, wir vertragen ihn einfach nicht mehr, es ist nicht bloß eine intellektuelle und affektive Ablehnung, es ist bei uns Pazifisten eine konstitutionelle Intoleranz, eine Idiosynkrasie gleichsam in äußerster Vergrößerung. (…)
Wie lange müssen wir nun warten, bis auch die anderen Pazifisten werden? Es ist nicht zu sagen, aber vielleicht ist es keine utopische Hoffnung, daß der Einfluß dieser beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird. Auf welchen Wegen oder Umwegen, können wir nicht erraten. Unterdes dürfen wir uns sagen: Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg. (Freud 2007: 176f.)
Gegen den Krieg arbeiten, besser gesagt gegen die verheerenden psychischen, emotionalen und sozialen Folgen des Krieges arbeiten – das ist sicherlich mit ein Gesichtspunkt, unter dem die Arbeit von PsychotherapeutInnen und DolmetscherInnen im Rahmen der transkulturellen Psychotherapie mit Kriegs- und Folterüberlebenden zu betrachten ist.
2.8 Abschließende Bemerkungen
Die in diesem Kapitel angeführten Werke können lediglich eine Idee von der Vielfalt der Auseinandersetzung mit dem Thema Kultur im Kontext der Psychoanalyse und der unterschiedlichen psychotherapeutischen Richtungen vermitteln. Der psychoanalytische Blick auf die Verortung des Individuums in der Kultur (bzw. in den Kulturen) und auf die interkulturelle Kommunikation kann für die Translationswissenschaft eine Bereicherung darstellen, zum einen auf Grund der Miteinbeziehung gesellschaftlicher Mechanismen und zum anderen auf Grund der Fokussierung auf das Individuum und seine ökonomischen, sozialen, kulturellen, intellektuellen und emotionalen Bedürfnisse.
Die Lektüre einschlägiger theoretischer Abhandlungen und praktischer Erfahrungsberichte legt den Schluss nahe, dass es in der konkreten Arbeit mit Menschen aus anderen Ländern (und Kulturen) in erster Linie darauf ankommt, einen Zugang zum Eigenen (also auch zu den eigenen Vorurteilen) zu finden, um einen respektvollen Umgang mit dem „Fremden“ (welches durch die zunehmende Annäherung immer vertrauter und somit weniger fremd wird) zu ermöglichen. Für einen solchen Prozess sind Lernbereitschaft und Lernfähigkeit unabdingbar.
3 Trauma: individuelle und kollektive Auswirkungen
Das interkulturelle psychotherapeutische Setting, von dem in der vorliegenden Arbeit die Rede ist, bezieht sich auf die Behandlung kriegs- und foltertraumatisierter Menschen. Trauma als nachhaltig wirksame körperliche und/oder seelische Verletzung ist ein vielschichtiges Phänomen, das durch die sogenannte Flüchtlingskrise der letzten Jahre zunehmend an gesellschaftlicher Wahrnehmung und Brisanz gewinnt. Ich werde mich im Folgenden auf jene Aspekte beschränkten, die für DolmetscherInnen, die in der Psychotherapie mit kriegs- und foltertraumatisierten Menschen arbeiten, von Relevanz sein können.
Das folgende Zitat der Traumatherapeutin Michaela Huber soll ein Schlaglicht darauf werfen, was therapeutisches Arbeiten mit traumatisierten Menschen bewirken kann bzw. bewirken können soll:
Es gibt wohl keine intensivere Begegnung als die in der Therapie mit Menschen, die nach Erfahrungen, welche ihnen buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen haben, wieder versuchen, ins Leben zurückzufinden. Oder, wie es bei vielen früh und langjährig traumatisierten Frauen und einigen Männern der Fall ist, mit denen ich meistens arbeite: Die überhaupt zum ersten Mal entdecken, wie äußere Sicherheit sich anfühlen, wie Lebensfreude schmecken kann. Sie dabei zu begleiten, sich zu der Persönlichkeit zu entwickeln, die erst einmal gewaltsam blockiert oder zersplittert wurde, und die dann gereift und mit der Fähigkeit, nach innen beschützend und nach außen wehrhaft zu sein, ihr eigenes Potenzial entfalten kann – das ist eine große Freude. So herausfordernd und oft anstrengend diese Arbeit ist, sie verändert beide Beteiligten, und wenn es gelingt, bereichert sie und ist jeder Mühe wert. (Huber 2005: 18)
Hier ist die Rede von den „beiden Beteiligten“, Huber meint also die klassische Dyade (TherapeutIn und KlientIn), dennoch ist in diesem Zitat vieles enthalten, was DolmetscherInnen verinnerlichen oder begreifen sollten, um die therapeutische Haltung gegenüber den z.T. schwer traumatisierten KlientInnen erkennen und so weit mittragen zu können, wie es nötig ist, um die therapeutische Kommunikation zu ermöglichen. Das therapeutische Setting hat unter anderem die Funktion, ein Gefühl der Sicherheit zu evozieren – DolmetscherInnen sind an der Herstellung einer solchen Atmosphäre maßgeblich beteiligt, sowohl im Rahmen einer einzelnen Stunde als auch in der Kontinuität, als langfristige, wenn auch prekär beschäftigte MitarbeiterInnen in Einrichtungen für Behandlung von Kriegs- und Folterüberlebenden.
3.1 Definition