Dolmetschen in der Psychotherapie. Mascha Dabić
der PsychotherapeutIn über ihre etwaigen Fehlleistungen im Alltag (z. B. an der falschen Station aussteigen in öffentlichen Verkehrsmitteln etc.) und ihren Umgang mit Erinnerungen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO beschreibt eine Posttraumatische Belastungsstörung folgendermaßen:
Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über. (ICD-Code, Stand 25.5.2017)
Bei Huber sind u.a. folgende posttraumatische Belastungsreaktionen angeführt: Angstzustände und Schreckhaftigkeit, Alpträume und Schlafstörungen, häufiges Wiedererleben von Teilen des Traumas, Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma zu tun haben, Gefühle von Empfindungslosigkeit, Einsamkeit, Entfremdung von Nahestehenden, Kontaktunwilligkeit, Beeinträchtigung der Wahrnehmung der Umwelt, des eigenen Körpers, der eigenen Gefühle, Konzentrations- und Leistungsstörungen (Huber 2005: 68). Eine kompakte Zusammenfassung des Erscheinungsbilds der posttraumatischen Belastungsstörung ist auch bei Vogelgesang zu finden (2006: 68ff.), ebenso bei Preitler (2006: 157ff.).
Zu bedenken ist, dass Menschen lange Zeit nach dem Trauma gut funktionieren können, so als hätten sie das Trauma gut integriert; eine erneute Traumatisierung, ausgelöst durch einen Trigger2 (z. B. durch einen Jahrestag des traumatischen Ereignisses) kann zum Ausbruch der Posttraumatischen Belastungsstörung führen (Huber 2005: 70).
Die Ungewissheit eines langwierigen Asylverfahrens, das wie ein Damoklesschwert über den Asylwerbern schwebt und dem sie trotz rechtlichen Beistands im Grunde genommen hilflos ausgeliefert sind, kann wie eine erneute Traumatisierung wirken, ebenso ein Gefängnisaufenthalt im Rahmen der Schubhaft.
3.2.2 Folter und Trauma
„Folter bedeutet absoluten Kontrollverlust, daher ist es in der Arbeit mit diesen Menschen notwendig, ihnen möglichst viel Autonomie und Kontrollmöglichkeit einzuräumen“, stellt die in der Traumaarbeit erfahrene HEMAYAT1-Psychotherapeutin Preitler (2006: 165) fest und macht diese Kontrolle unter anderem an folgenden konkreten Faktoren fest: Da der Raum der Therapie oft der erste Ort für einen traumatisierten Menschen ist, in dem die Angst keinen Zutritt hat, braucht es Zeit, bis Vertrauen entstehen kann; daher soll den KlientInnen die Möglichkeit eingeräumt werden, den TherapeutInnen und auch den Dolmetscherinnen Fragen zu stellen, sie dürfen sich ihren Platz im Raum selbst aussuchen und gegebenenfalls auch die Lichtsituation im Raum kontrollieren, also beispielsweise die Vorhänge zuziehen. Für DolmetscherInnen kann es hilfreich sein, Bescheid zu wissen, warum KlientInnen solche Vorrechte eingeräumt werden und warum sie, die DolmetscherInnen, sich beispielsweise nicht einfach so, wie in einer anderen, alltäglicheren Situation ihren Sitzplatz selbst aussuchen dürfen.
Marcussen plädiert dafür, die Folter stets vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Verhältnisse und der globalen Widersprüche zu reflektieren: Welche Ziele verfolgten die Folterer? Welche Methoden wurden angewandt? (Marcussen 1990: 67ff.). Der durch die Folter zugefügte psychische Schmerz, die Ungewissheit, die Angst, die Demütigungen, die Drohungen und der Umstand, aller mitmenschlichen Kontaktmöglichkeiten beraubt zu sein, scheinen schlimmer als die offensichtlichen körperlichen Folgen zu sein (1990: 71).
Rauchfleisch bietet in seinem Beitrag einen Überblick über unmittelbare Reaktionen auf das Foltererlebnis, so wie auf die Kurzzeitfolgen und Spätfolgen (Rauchfleisch 1990). Wertvolle Praxiserfahrungen von erfahrenen ExpertInnen aus den Gebieten der Psychologie, Psychotherapie, Medizin und Sprachwissenschaften sind bei Siroos & Schenk (2010) nachzulesen.
Aus der Sicht der DolmetscherInnen ist im Zusammenhang mit dem Thema Folter wichtig nachvollziehen zu können, warum bei Folterüberlebenden ein besonders behutsames Vorgehen in der Therapie notwendig ist, warum es mitunter sehr viel Zeit und Geduld braucht, bis mit Folter im Zusammenhang stehende Inhalte zur Sprache gebracht werden können und also zum Gegenstand in der Therapie werden.
3.3 Arbeiten mit traumatisierten Menschen
3.3.1 Die therapeutische Beziehung und Therapieziele
Die knappe Beschreibung einer therapeutischen Beziehung bei Vogelgesang kann für DolmetscherInnen in diesem Kontext hilfreich sein:
Die Einhaltung der adäquaten Distanz prägt die therapeutische Beziehung entscheidend mit: Sie ist je nach den situativen Erfordernissen flexibel zu gestalten. Absolut zu meiden sind jedoch die folgenden beiden Extrempole: einerseits die Überidentifikation, die unter völliger Selbstaufgabe und evtl. sogar bei Überschreiten der professionellen Grenzen den Patienten um jeden Preis retten möchte, sowie andererseits die übergroße Distanzierung, die ein echte Beziehung erst gar nicht entstehen lässt. (2006: 71)
Es ist unabdingbar für DolmetscherInnen in diesem Kontext, die Charakteristik und Spezifik einer therapeutischen Beziehung nachvollziehen und mitgestalten zu können: Die Mitgestaltung kann sowohl durch aktive Teilnahme erfolgen, als auch durch bewusste Zurückhaltung und Unterlassungen. Das Ringen um die „adäquate Distanz“, die Vermeidung einer „Überidentifikation“ ebenso wie einer „übergroßen Distanzierung“ sind Anforderungen, die die DolmetscherInnen im gleichen Maße wie die PsychotherapeutInnen betreffen. Eine „Grenzen überschreitende Verschwesterung mit den Betroffenen“ sei nicht nur unprofessionell, sondern auch im höchsten Grade dysfunktional (S. 72).
Vogelgesang spricht außerdem davon, dass die Arbeit mit traumatisierten Menschen auch für die Therapeutin sehr belastend sein kann und sowohl von menschlicher als auch von professioneller Seite her besondere Anstrengungen verlangt, da die eigene Welt- und Selbstsicht entscheidend verändert werden kann und auch eigene traumatische Erfahrungen aktualisiert werden können. Eine gute Ausbildung, Supervision, eine Stärkung der eigenen Ressourcen sowie eine gute Kenntnis der eigenen Biographie im Bezug auf Traumata (Stichwort: Selbsterfahrung) können diesbezüglich Abhilfe schaffen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass DolmetscherInnen in der Regel ohne eine solche Ausbildung, oft auch ohne Supervision und ohne entsprechende Selbsterfahrung die Narration der traumatisierten KlientIn aus erster Hand vernehmen. Daran anknüpfend ist unbedingt die Forderung nach Supervision für DolmetscherInnen in den entsprechenden Einrichtungen zu stellen, wenn auch dazu angemerkt sei, dass solche Angebote mitunter auch an der fehlenden Bereitschaft der DolmetscherInnen selbst scheitern bzw. ihr volles Potenzial nicht zur Entfaltung bringen können, da DolmetscherInnen prekär beschäftigt sind, ihnen also für solche Angebote häufig die Zeit oder der Wille fehlt; möglicherweise ist es auch die Furcht vor der Konfrontation mit eigenen problematischen Inhalten, die DolmetscherInnen davon abhält, Supervisionsstunden in Anspruch zu nehmen, auch dann, wenn diese von der Organisation im ausreichenden Ausmaß angeboten werden.
Zu Beginn dieses Kapitels (Punkt 3.) wurde bereits darauf hingewiesen, dass die DolmetscherInnen durch ihre Präsenz und ihre Mitarbeit daran beteiligt sind, den therapeutischen Rahmen als einen „sicheren“ Raum für die KlientInnen mitzugestalten. Da DolmetscherInnen in erster Linie für den sprachlichen Transfer in diesem Rahmen zuständig sind, ist ihre Rolle bei der Erreichung eines der impliziten Therapieziele nicht hoch genug einzuschätzen, nämlich bei der Herstellung einer „sprachlich codierten Erinnerung“ (Vogelgesang 2006: 70).
Im Hinblick auf das Ziel der Psychotherapie ist es notwendig, eine realistische Perspektive einzunehmen – dies ist auch für DolmetscherInnen wichtig nachzuvollziehen, um keine übersteigerten Erwartungen