Der Jahrhundertkünstler Joseph Beuys. Christiane Hoffmans
CHRISTIANE HOFFMANS
DER JAHRHUNDERTKÜNSTLER JOSEPH BEUYS
EINFÜHRUNG IN LEBEN UND WERK
ZEITZEUGENINTERVIEWS MIT
LUKAS BECKMANN, BAZON BROCK,
KARL HEß, UTE KLOPHAUS,
SONJA MATARÉ, KLAUS STAECK,
FRANZ JOSEPH VAN DER GRINTEN
1. Auflage Mai 2021
Gestaltung: Volker Pecher
© K-West Verlag, Essen 2021
Alle Rechte vorbehalten
eISBN: 978-3-948365-19-6
INHALT
DIE LEGENDE: EIN KÜNSTLER, DER VOM HIMMEL FIEL
ZWISCHEN HITLERJUGEND UND FREIHEITSDRANG KINDHEIT, SCHULZEIT UND KRIEG
DER „VERRÜCKTE“ PROFESSOR: DIE REVOLUTIONIERUNG DER KUNST
JEDER MENSCH EIN KÜNSTLER? BEUYS UND DIE STAATSGEWALT
DER GESCHÄFTSMANN UND DER ANTI-IMPERIALIST
ENDE EINES TRAUMS UND BEGINN DER WELTKARRIERE
»ICH WAR DIE EINZIGE, DIE IHM DIE HAARE SCHNEIDEN DURFTE.« SONJA MATARÉ IM INTERVIEW
»BEUYS WAR EINE ART KRIEGER.« FRANZ JOSEPH VAN DER GRINTEN IM INTERVIEW
»ER HATTE DIE QUALITÄT EINES WÜSTENHEILIGEN.« BAZON BROCK IM INTERVIEW
»ICH GLAUBE, DASS BEUYS EINSAM WAR.« UTE KLOPHAUS IM INTERVIEW
»JAJA, DER KLAUS STAECK IST MEIN POLITISCHER GEGNER.« KLAUS STAECK IM INTERVIEW
»AUS HEUTIGER SICHT WAR DAS ECHT ABENTEUERLICH.« LUKAS BECKMANN IM INTERVIEW
»FÜR MICH WAR ER IMMER HERR BEUYS.« KARL HEß IM INTERVIEW
VORWORT
Über Joseph Beuys ist unendlich viel gesagt und sehr viel geschrieben worden. Bis in den letzten Winkel haben Wissenschaftler, Kunstkritikerinnen, Politiker und Museumsleute Aspekte der Werke und Aktionen, die Joseph Beuys seit seinem Start als Künstler Mitte der 1940er-Jahre bis zu seinem Tod 1986 geschaffen hat, erforscht, analysiert, interpretiert und bewertet. Es gibt wohl kaum eine Seite von Beuys, die nicht untersucht wurde. Das reicht von seinem Verhältnis zu Pflanzen, Tieren, Steinen über sein Engagement in Politik und Gesellschaft, seine Haltung zur Wirtschaft bis hin zu seinen Theorien. Auch sein Lebensabschnitt als Soldat im Zweiten Weltkrieg und seine Rettung durch die Tataren nach einem Flugzeugabsturz, den er gern mystifizierte, war und ist immer noch Gegenstand von Diskussionen.
Doch Beuys entwickelte seine Kunst nicht (nur) für Wissenschaftler, deren Bücher die Regale von Universitäts- und Museumsbibliotheken füllen. Er wollte eine breite Öffentlichkeit erreichen. Sein Wunsch war es, in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die noch von den Auswirkungen der Diktatur des Nationalsozialismus geprägt war, Impulse zu setzen für die Entwicklung einer humaneren Zukunft. Daher sprach er auch in jedes Mikrofon und posierte er vor jeder Kamera.
So ist es kein Wunder, dass fast jeder Joseph Beuys kennt. Der großgewachsene Mann mit dem Hut polarisierte wie kaum ein anderer Künstler im 20. Jahrhundert. Denn Beuys verstand sein Handeln politisch. Er wollte nicht im stillen Kämmerlein Werke für die Wohnzimmer von Sammlern und die Schauräume von Museen schaffen. Seine Kunst, seine Mission, brauchte den öffentlichen Raum. Sein Ziel war, möglichst Alle zu erreichen.
Dieses Buch macht es sich zur Aufgabe, einen kompakten und gut verständlichen Einblick in Leben, Werk und Theorien des Aktionskünstlers zu geben, damit sich – ganz im Sinne von Beuys – viele Menschen mit seinem Wirken vertraut machen können.
Um seinem rasanten Leben und seinem geheimnisvoll anmutenden Werk möglichst nahe zu kommen, habe ich viele Gespräche mit Beuys’ Weggefährtinnen, Schülern, Galeristen, Kolleginnen und Politikern geführt, – mit Sonja Mataré, der Tochter von Beuys’ Lehrer Ewald Mataré, mit dem Verleger Klaus Staeck, mit dem frühen Sammler und Freund Franz Joseph van der Grinten, dem Künstlerphilosophen Bazon Brock, der Fotografin Ute Klophaus und Beuys’ langjährigem Taxifahrer Karl Heß. Die Interviews erscheinen in dieser Einführung zu Leben und Werk anlässlich von Beuys’ einhundertstem Geburtstag 2021 erstmals in voller Länge. Im Zusammenspiel mit Beuys’ Biografie bilden sie ein aufschlussreiches Fundament für die Beschäftigung mit dem Jahrhundertkünstler.
Christiane Hoffmans, im März 2021
Der elfjährige Joseph Beuys mit seinen Cousins und Cousinen Gertrud, Hubert, Hildegard, Hugo, Margarita (von links), 1932.
Am 16. März 1944 stürzte Joseph Beuys mit einer Ju 87 ab. Das Sturzkampfflugzeug sei von einem russischen Geschoss getroffen worden, berichtete Beuys später.1 Der Höhenmesser versagte und als dann auch noch ein Schneesturm einsetzte, konnte Pilot Hans Laurinck die Maschine gerade noch 200 Meter hinter die Kampflinie östlich von Freifeld (Snamenka) auf der Krim2 bringen, dann prallte sie auf. Laurinck war tot. Beuys wurde aus der Maschine geschleudert. Er lebte. Gerettet wurde der bewusstlose Soldat von Tataren, die ihn neben den Trümmern der Ju 87 fanden. »Die haben mich dann in die Hütte genommen«, erinnerte er sich.3 Acht Tage lang hätten Mitglieder des Nomadenvolks den Verwundeten versorgt.