Frühe Aphasiebehandlung. Jürgen Steiner
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Die Herausgeberin, der Herausgeber
Simone Jehle arbeitet als Logopädin an der Rheinburg-Klinik in Walzenhausen/Schweiz. Professor Dr. Jürgen Steiner arbeitet seit 2005 als Senior Lecturer an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich (HfH); er lehrt im Studiengang Logopädie mit den Schwerpunkten Diagnostik, Kindersprache und neurogene Sprachstörungen.
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1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-037623-6
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-037624-3
epub: ISBN 978-3-17-037625-0
mobi: ISBN 978-3-17-037626-7
Vorwort
Das vorliegende Buch zur frühen Aphasiebehandlung zeigt die Besonderheiten und Herausforderungen in der Diagnostik und Therapie der akuten Aphasie auf. Obgleich die Bedeutung der frühen Aphasiebehandlung für die Rehabilitation und die Rückbildung einer Sprach- und Kommunikationsstörung immer wieder betont wird, wurden therapeutische Konzepte für diese Behandlungsphase in den letzten Jahren kaum weiterentwickelt. Diese Lücke schließen die Autorinnen und Autoren kenntnisreich mit aktuellen Beiträgen, die einen hohen Bezug zum therapeutischen Handeln aufweisen. So nähert sich das Buch der akuten Aphasiebehandlung aus der klinisch-empirischen Perspektive und betont neben der logopädischen Expertise vor allem auch die hohe Relevanz interprofessioneller Zusammenarbeit für eine bestmögliche Versorgung der Betroffenen. Die Sprach- und Kommunikationstherapie im vorgestellten Behandlungskonzept stützt sich auf drei zentrale Bausteine: den sprachlichen Basisfunktionen, den Sprachabruf und den Dialog. Das Konzept greift etablierte Therapieansätze auf und entwickelt diese mit dem Fokus auf die kommunikative Teilhabe weiter. Für Menschen mit akuter Aphasie stellt dieses Vorgehen eine maßgebliche Weichenstellung dar. Für Logopädinnen und Logopäden ist es wichtig, sich mit der frühen Aphasiebehandlung intensiv auseinanderzusetzen, um diesem hochkomplexen Aufgabengebiet auf einer Stroke-Unit oder in einer Frühreha-Einrichtung gerecht zu werden und sowohl Betroffene als auch ihre Angehörigen angemessen unterstützen zu können. Daher wünsche ich diesem praxisnahen, umfangreichen Werk eine große Leserschaft.
Aachen, im April 2021
Ruth Nobis-Bosch
1 Zur Rolle der Logopädie in der Akutphase der Rehabilitation aus ärztlicher Sicht
Michaela M. Pinter
Aphasie, abgeleitet vom Griechischen »Aphasia« (Sprachlosigkeit), ist eine erworbene Störung der Sprache aufgrund einer Läsion unterschiedlichster Ätiologie in der dominanten, zumeist linken Hemisphäre des Cerebrums. Bereits in der Antike wurden Sprachstörungen bedingt durch Verletzungen des Gehirns beschrieben, die Zusammenhänge zwischen Aphasie und Lokalisation der Verletzung im Gehirn wurden jedoch erst im 19. Jahrhundert systematisch untersucht. Armand Trousseau, Professor der klinischen Medizin in Paris, führte als erster im Jahr 1864 den Begriff der Aphasie in den medizinischen Sprachgebrauch ein.
Sprache und die Fähigkeit zur Kommunikation sind essenzielle Teile unseres menschlichen Daseins. Nur der Mensch besitzt die Fähigkeit, sich auf hohem Komplexitätsniveau lautlich mitzuteilen. Verbale Kommunikation erlaubt dem Menschen, Wünsche zu äußern, Anweisungen zu erteilen, Diskussionen zu führen und Emotionen zu verbalisieren. Die Sprache ist unser Instrument, um in unserem sozialen Kontext aktiv und effizient zu agieren. Unvorstellbar, dass die Sprache mit einem »Schlag« wegbricht.
In der Phase eines akuten bzw. subakuten Sprachverlusts besteht ein hoher Zeitdruck, neben einer groben Erfassung der vorherrschenden Symptome die richtigen diagnostischen und therapeutischen, z. T. invasiven Interventionen zeitnah zu setzen. Diagnostik und Therapie bei allen neurologischen Erkrankungen einhergehend mit einer Aphasie sind eine interdisziplinäre Domäne und nur im Team effizient möglich. Das Gebot der therapeutischen Empathie ist für uns als Diagnostiker und Behandler, die individuelle Bedeutung für den einzelnen Betroffenen verstehen zu lernen, der mit einem »Schlag« der Sprache zum Teil oder vollständig nicht mehr mächtig ist. Das einmalige Erlebnis von Betroffenen, Bedürfnisse nicht mehr verbalisieren zu können und Anforderungen aufgrund des beeinträchtigten Sprachverständnisses nicht mehr nachkommen zu können, ist für uns als Diagnostiker und Behandler nahezu unvorstellbar. Nichtsdestotrotz ist diese Vergegenwärtigung des individuellen Erlebnisses Grundpfeiler eines empathischen therapeutischen Verhaltens und somit Basis für eine effiziente Aphasie-Therapie beim Betroffenen.
In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts war Logopädie bei akuter und subakuter Aphasie keine Selbstverständlichkeit, sondern eher die Ausnahme. Logopädie war nicht zwingend Teil des interdisziplinären Teams an einer neurologischen Abteilung im Erwachsenenalter – dies ist nun Geschichte. Im Laufe der letzten vier Jahrzehnte hat sich die Logopädie im Erwachsenenalter gewissermaßen als Selbstverständlichkeit des neurologischen und neuropsychologischen Therapieangebots etabliert, und alle Professionen des interdisziplinären Teams respektieren die hohe Fachkompetenz der Logopädie und erkennen die Wertigkeit sowie die Relevanz der Logopädie zum Wiedererlangen der Sprache bei Betroffenen an.
Nach abgeschlossener Akutdiagnostik fungiert der Neurologe einerseits als Initiator, welcher neben additiven medikamentösen Therapiestrategien nicht invasive interventionelle Therapiemaßnahmen wie transkranielle Gleichstromtherapie (Direct current stimulation – tDCS) oder repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) indiziert, andererseits als Moderator des interdisziplinären Teams, welcher in holistischer Sichtweise therapeutische Schwerpunktsetzungen koordiniert und diese adaptiert an die individuellen Bedürfnisse des Betroffenen.
Prinzipiell ist die Indikation für eine logopädische Aphasie-Therapie gegeben, sobald in mindestens einer Sprachdomäne wie Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben sich eine alltagsrelevante Störung abzeichnet. Vorrangiges Ziel der Aphasie-Therapie ist die Verbesserung der sprachlichen Funktionen, die Optimierung der Kommunikation und konsekutiv die Begünstigung der aktiven Teilnahme am sozialen Leben, unter Einbezug der sozialen Umgebung. Angehörige eines Betroffenen mit Aphasie müssen Teil des therapeutischen Prozesses sein, da ein guter familiärer und sozialer Hintergrund sich positiv auf die Rehabilitation der Aphasie auswirkt und das Rehabilitationspotential dadurch potenziert werden kann.
Aphasie-Therapie in den ersten vier Wochen nach Akutereignis soll Automatismen und Fehlkompensationen