Schutz von Kulturgut. Daniela Vogt
»Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten.« (Quelle: BBK; BMI Nationale KRITIS-Strategie)
Tabelle 1: Sektoren Kritischer Infrastrukturen (Quelle BMI/BBK)
Sektoren Kritischer Infrastrukturen | |
Energie | Transport und Verkehr |
Informationstechnik und Kommunikation | Finanz- und Versicherungswesen |
Gesundheit | Staat und Verwaltung |
Wasser | Medien und Kultur |
Ernährung |
Bei näherer Betrachtung der Definition wird deutlich, dass Kulturgüter zweifelsohne zum Bereich der Kritischen Infrastrukturen gehören. Grundsätzlich müssten sämtliche Kulturguteinrichtungen als Bestandteil der Kritischen Infrastrukturen gelten, [17]wobei nicht allen gleich große Bedeutung beigemessen werden kann. Bei Verlust, Zerstörung oder schwerer Beschädigung von Kultgegenständen und Kulturgütern sind Menschen normalerweise nicht unmittelbar betroffen. Im Ereignisfall wird die Zerstörung von Kulturgut sowohl bei der betroffenen Bevölkerung als auch in den Medien thematisiert, sobald die humanitäre Not weitgehend unter Kontrolle ist. Bei »Ausfall oder Beeinträchtigung« von Kulturgut ist hingegen ein starker Zusammenhalt der Bevölkerung zu beobachten. Denn, anders als bei KRITIS-Unternehmen und Dienstleistern, haben insbesondere herausragende Kulturgüter für die Nation bzw. den Staat eine identitätsstiftende Bedeutung, und der Verlust dieser nationalen, regionalen oder lokalen Geschichtsträger löst emotionale Betroffenheit aus. Kulturgüter besitzen daher eine hohe symbolische Kritikalität, haben jedoch allgemein in Bezug auf die Kritikalität eine wenig große Bedeutung.
»Die Kritikalität [einer Infrastruktur] bezeichnet ihre relative Bedeutung in Bezug auf die Auswirkungen, die eine Störung, ein Ausfall oder eine Zerstörung für die Bevölkerung, Wirtschaft sowie auf andere kritische Infrastrukturen (Dependenzen) hätte.« (BMI 2009, S. 5)
Die direkten Auswirkungen bei einem kompletten Ausfall des Teilsektors Kulturgut über einen längeren Zeitraum beträfen vor allem den Zivilschutz und zu einem geringeren Teil Parlament, Regierung, Justiz und Verwaltung – in einem stabilen politischen Umfeld. Ist eine systematische Zerstörung eines Staates geplant, dann können insbesondere die Folgen der Zerstörung von Kulturgut und symbolträchtigen Bauwerken zur Auslöschung einer ganzen Kultur, eines ganzen Volkes, eines staatlichen Gemeinwesens führen. Aufgrund eben dieser ideellen Bedeutung hat der Staat Interesse am Schutz der nationalen Kulturgüter, denn es geht im Kern um die Aufrechterhaltung der staatlichen Legitimität, der nationalen Geschichtsschreibung und der Identität – wobei der Erhalt des nationalen Kulturgutes in gewisser Weise hilft, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten. Auch hier gilt letztlich das Versorgungsparadoxon: In dem Maße, in dem ein Land in seinen Versorgungsleistungen weniger störanfällig ist, wirkt sich jede Störung umso stärker aus. Hier im Extrem bis zur Vernichtung der Identität.
Wiederum sind die Beeinträchtigungen der Bevölkerung und Wirtschaft bei einem längeren Ausfall oder einer Störung von Teilen des nationalen Kulturgutes jeweils niedrig. Je nach Wichtigkeit und Bekanntheitsgrad kann ein Vorfall allerdings weitreichendere Konsequenzen auf die Wirtschaft in der Region haben, da kulturelle Aktivitäten oder der Tourismus beeinträchtigt werden (sogenannte Domino- bzw. Kaskadeneffekte). Der Teilsektor Kulturgut ist jedoch auf die Funktionsfähigkeit [18]anderer Teilsektoren zwingend angewiesen, wie z. B. die Stromversorgung, das Abwassersystem oder die Informationstechnologien. Die Interdependenzen sind hier jedoch eher weniger stark ausgeprägt als zwischen den anderen (kritischen) Infrastruktursystemen. Verursacht werden enorme Schäden an Kulturgütern, ebenso wie an anderen Kritischen Infrastrukturen, nicht nur durch Kriege, sondern zunehmend durch extreme Naturereignisse, aber auch durch technisches und menschliches Versagen sowie durch vorsätzliche Handlungen mit terroristischem oder kriminellem Hintergrund (BMI, 2009).
1.2 Merkmale schützenswerten Kulturguts
International gibt es bisher weder eine einheitliche Definition von Kulturgut (cultural property, biens culturel) noch von kulturellem Erbe (cultural heritage, patrimoine culturel). In Abhängigkeit von den Anwendungsbereichen der Abkommen werden die Definitionen jeweils immer wieder neu abgefasst.
Erstmals tauchen beide Begriffe in der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 auf. Artikel 1 gibt eine allgemeine Definition von zu schützendem »Kulturgut ohne Rücksicht auf Herkunft oder Eigentumsverhältnisse« und die einleitende Präambel erklärt, dass die »Erhaltung des kulturellen Erbes für alle Völker der Welt von großer Bedeutung ist«. Demnach macht Kulturgut einen Teil des kulturellen Erbes der Menschheit aus, und eine Bewertung von Kultur(en) und ihren Ausdrucksformen sollte ausgeschlossen werden. 1977 wird in den Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen allgemein Bezug auf das Verbot der Schädigung von Denkmälern, Kunstwerken und Kultstätten genommen, die zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker gehören.
Bereits 1972 hat die UNESCO mit dem Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, die sogenannte Welterbekonvention, verabschiedet. Sie ist mittlerweile wohl das international bedeutendste Abkommen zum Schutz des kulturellen und natürlichen Erbes. Kerngedanke der Konvention ist die »Erwägung, dass Teile des Kultur- oder Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen.« Maßgebend für die Definition des Welterbes ist die herausragende universelle Bedeutung des Kulturguts aus historischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Gründen. Die Konvention listet insgesamt zehn Auswahlkriterien auf, von denen die ersten sechs für kulturelle Stätten und Kulturlandschaften gelten, die verbleibenden für Naturstätten.
[19]Zur Aufnahme in die Welterbeliste werden die übergreifenden Kriterien
1 der Einzigartigkeit,
2 der Authentizität (historische Echtheit) und
3 der Integrität (Unversehrtheit)
angewendet, in Verbindung mit einem oder mehreren der zehn UNESCO-Kriterien.
Zur Antragstellung sind die Vertragsstaaten aufgefordert, Vorschlagslisten (tentative lists) mit möglichen Stätten einzureichen. Experten vom International Council on Monuments and Sites (ICOMOS) und International Union for Conservation of Nature (IUCN) (siehe Anhang) evaluieren die Anträge im Auftrag des Welterbezentrums. Auf Grundlage dieser Auswertungen entscheidet schließlich das Welterbekomitee über die Aufnahme in die Welterbeliste.
[20]Bild 2: Auswahlverfahren für UNESCO-Weltkulturerbe in Deutschland
Die Ernennung einer Natur- oder Kulturstätte zum Welterbe ist als Auszeichnung zu verstehen, mit der keine finanzielle Unterstützung für die Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen verbunden ist. Stellen die Natur- und Kulturstätten doch keinen eigentlichen wirtschaftlichen Wert dar, so wird über die Auszeichnung und Vermarktung ihr Erhalt gesichert. Jedoch nimmt beispielsweise mittlerweile der Tourismus in den ausgezeichneten Naturparks so sehr zu, dass die Touristenströme die Natur zerstören. Gleiches gilt für die kulturellen Stätten.
Während das Übereinkommen von 1972 die unbeweglichen Natur- und Kulturstätten definiert, liegt beim UNESCO-Abkommen vom 14. November 1970 über »Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung