Schutz von Kulturgut. Daniela Vogt
Abkommens dezidiert aufgeführt. Die Vertragsstaaten erkennen mit diesem Abkommen die internationale Zusammenarbeit als eines der wirksamsten Mittel gegen den illegalen Handel mit Kulturgut an, der »eine der Hauptursachen für das Dahinschwinden des kulturellen Erbes der Ursprungsländer darstell[t]« (Art. 1 und 2.1). Im Sinne des Abkommens gehören archäologische Funde oder in jüngerer Zeit erschaffenes Kulturgut, zum kulturellen Erbe jedes Staates, wenn es in eine der fünf Kategorien fällt, die Artikel 4 aufführt. Die Kategorien beziehen sich entweder auf das Staatsgebiet oder auf die freiwillige Übereignung – als frei vereinbarter Tausch, als Geschenk oder »mit Zustimmung der zuständigen Behörden des Ursprungslands« durch Missionen rechtmäßig erworbenes Kulturgut. Diese Einordnung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass 1970 zum Zeitpunkt der Entstehung des Abkommens die Kolonialreiche aufgelöst wurden. Viele neue Staaten entstanden, zugleich wurden jedoch viele ethnologische, archäologische und wissenschaftliche Sammlungen in Europa aus Expeditionen oder Missionen in den ehemaligen Kolonien zusammengetragen.
[21]Die Definition des kulturellen Erbes der Menschheit wurde seit 1972 permanent überarbeitet und erweitert. So entstanden im Rahmen der UNESCO-Arbeit: 2001, ergänzend zur Welterbekonvention von 1972, das Abkommen über den Schutz des Kulturerbes unter Wasser. Das Abkommen von 1970 wird ergänzt durch die am 17. Oktober 2003 beschlossene Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturgutes und das am 20. Oktober 2005 geschlossene Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Letzteres beruht auf der Einsicht, dass der Erhalt der kulturellen Vielfalt in einer globalisierten Welt eine gemeinsame internationale Aufgabe darstellt. Das Weltkulturerbe unter Wasser im Sinne des Übereinkommens von 2001 umfasst »alle Spuren menschlicher Existenz von kulturellem, historischem oder archäologischem Charakter, die seit mindestens 100 Jahren, zeitweise oder durchgängig, zum Teil oder vollständig unter Wasser liegen«. Ausgenommen sind unter Wasser verlegte Rohre und Leitungen aller Art. Ziel des Übereinkommens ist es, den Schutz des Unterwasser-Kulturerbes zu gewährleisten und zu verstärken.
Immaterielles Kulturerbe in der UNESCO-Konvention von 2003 umfasst: »Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten – sowie die dazu gehörigen Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume […], die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen.« Sie werden an die Folgegenerationen tradiert, sind fortwährend im Wandel und vermitteln Identität und Kontinuität. Zur weiteren Identifizierung werden im folgenden Abschnitt fünf Bereiche a) bis e) benannt:
1 mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Träger des immateriellen Kulturerbes;
2 darstellende Künste;
3 gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste;
4 Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum;
5 traditionelle Handwerkstechniken.
Das zwei Jahre später abgeschlossene Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen formuliert im Kapitel III, Artikel 4 acht Begriffsbestimmungen für das Abkommen: kulturelle Vielfalt, kultureller Inhalt, kulturelle Ausdrucksformen, kulturelle Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen. Es definiert die Begriffe der Kulturwirtschaft, der Kulturpolitik und kulturpolitische Maßnahmen, dem Schutz und der Interkulturalität. Kulturelle Ausdrucksformen sind demnach »die Ausdrucksformen, die durch die Kreativität von Einzelpersonen, Gruppen und Gesellschaften entstehen und einen kulturellen Inhalt haben«. Im vierten Absatz werden kulturelle Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen als [22]»Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen, die zu dem Zeitpunkt, zu dem sie hinsichtlich eines besonderen Merkmals, einer besonderen Verwendung oder eines besonderen Zwecks betrachtet werden, kulturelle Ausdrucksformen verkörpern oder übermitteln, und zwar unabhängig vom kommerziellen Wert, den sie möglicherweise haben. Kulturelle Aktivitäten können ein Zweck an sich sein oder zur Herstellung von kulturellen Gütern und Dienstleistungen beitragen« definiert. »Schutz« bedeutet das Beschließen von Maßnahmen, die auf die Erhaltung, Sicherung und Erhöhung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen abzielen. »Schützen« bedeutet, derartige Maßnahmen zu beschließen.
Zum Erhalt des dokumentarischen Erbes der Menschheit gründete die UNESCO 1992 das Programm Memory of the World. Wertvolle Dokumente Buchbestände, Handschriften, Partituren, Unikate, Bild-, Ton- und Filmdokumente, »die das kollektive Gedächtnis der Menschen in den verschiedenen Ländern unserer Erde repräsentieren«, werden entsprechend in ein Verzeichnis des Weltdokumentenerbes aufgenommen. Berücksichtigt werden in der UNESCO-Arbeit mittlerweile auch orale Traditionen, die auf keiner Schrift- und Monumentalkultur – wie im europäisch-abendländischen Kulturkreis – fußen.
Wodurch aber zeichnet sich nationales und lokales Kulturgut aus? Nationale und lokale Kulturen sind an die Grenzen politischer Ordnungen, wie Staaten oder Stadtviertel, gebunden. Diese Grenzen und Kulturen beruhen auf internalisierten Überzeugungen, Gefühlen und Urteilen, Normen und Werten sowie kollektiven Wir-Konstruktionen. Obwohl Kulturen und Identitäten allgemein nicht an räumliche Grenzen gebunden sind (universell), ist zur Entwicklung einer nationalen Identität und Kultur die Abgrenzung von Fremden, Nachbarn und anderen Nationen mindestens ebenso wichtig wie der Austausch mit diesen. Es bleibt demnach, gerade in einer globalisierten Welt, die Frage nach »der Nation«, dem Staatsgebiet und der Staatsgewalt. Bereits 1882 stellt Ernest Renan die Frage Qu’est-ce qu’une Nation? und definiert: »Eine Nation ist ein geistiges Prinzip, das aus tiefgreifenden Verbindungen der Geschichte resultiert, eine spirituelle Verbindung.« Die Nation basiere auf der Vergangenheit, als der gemeinsame Besitz eines reichen Erbes an Erinnerungen, dem Wunsch des Zusammenlebens und dem Willen der Aufrechterhaltung dieses gemeinsamen Erbes (Renan, 1995). Zur Aufrechterhaltung der Traditionen dient grundsätzlich die Schaffung einer kollektiven Identität, das Erfinden eines gemeinsamen Mythos, der abstrakt und zugleich greifbar sein muss, um immer wieder angepasst werden zu können. Diese nationale, gemeinsame Geschichte ist umso widerstandsfähiger, je besser es gelingt, auch weniger angenehme Kapitel der Geschichte als prägend für die Entwicklung anzuerkennen, zu deuten und zu [23]integrieren. Kulturgüter transportieren Werte und Normen einer Gemeinschaft, indem sie dieses Ungreifbare der Kultur manifestieren. Die Identität wird unmittelbar in Mahn- und Denkmalen, Bauten, Schriften oder Kunstgegenständen erfahr- und greifbar, damit zugleich angreifbar.
Bedeutendes Kulturgut ist prinzipiell nur schwer zu identifizieren. Wie eingangs bereits erläutert, kann die Frage nach der Bedeutung von Kulturgütern nicht allgemein beantwortet werden. Jedes Land bzw. jede Nation hat unterschiedliche Vorstellungen, was große Bedeutung hat und wertvoll ist in Bezug auf das kulturelle Erbe. Allgemein bezieht sich die Auswahl jedoch auf Kulturgut des jeweiligen heutigen Staatsgebiets. Dabei handelt es sich zumeist um:
architektonisch,
geschichtlich,
stilistisch oder
typologisch oder künstlerisch herausragende Objekte mit Seltenheitswert (Quantität) (vgl. u. a. Brüderlin, 1978).
Der Seltenheitswert ist eng verbunden mit dem Erhaltungszustand (Qualität) der Objekte. Hinzu kommt, dass diese Kulturgüter besonderer Herkunft große internationale Bedeutung und Bekanntheit erhalten können, da eine Einstufung auch nach künstlerischer Qualität – von der lokalen, über die regionale und nationale bis hin zur internationalen Bedeutung und Bekanntheit – erfolgt. Diese Klassifizierung auf unterschiedlichen Ebenen impliziert lediglich eine räumliche Bedeutung und Strahlkraft aber keinerlei Wertung der Bedeutung der als Kulturgüter verzeichneten Objekte.
Beispiel: Der europäisch-abendländische Kulturkreis und die europäische Wertegemeinschaft
Die kulturelle Identität vieler Völker entstand in ständiger Auseinandersetzung und Beziehung zu ihrer natürlichen Umwelt. Gleichzeitig ist die Natur fast aller Regionen durch den Menschen beeinflusst und zur Kulturlandschaft geworden insbesondere in Europa. Die Fragen Was ist Europa? Was macht Europa, den europäischen Kulturkreis, aus? sind eng mit der Frage nach dem europäischen Kulturgut und kulturellen Erbe verbunden. Die geographische Definition Europas bleibt immer willkürlich. Geographisch gesehen ist Europa ein Subkontinent, der zusammen mit