Schutz von Kulturgut. Daniela Vogt
geographische oder geologische Grenze. Europa wird, obwohl kein eigenständiger Kontinent, dennoch als solcher betrachtet. Die Grenzen Europas sind, insbesondere aufgrund historischer [24]und kultureller Aspekte, gesellschaftliche Konvention. Die heute allgemein anerkannte, östliche Grenze folgt der Definition von Philip Johan von Strahlenberg, wonach Uralgebirge und -fluss die inner-eurasische Grenze bilden. Das politische Europa, die Europäische Union, ringt jedoch mit jeder Erweiterung erneut um eine klare Definition seiner Außengrenzen.
Seinen Namen verdankt der Kontinent der griechischen Mythologie. Göttervater Zeus entführte die phönizische Fürstentochter Europa nach Kreta. Ihr Name soll aus dem phönizischen erob – die Dunkle, Abend, Abendland – abgeleitet sein. Mit der Sage verbanden sich schon im Altertum geographische Vorstellungen. Um 400 nach Christus erscheint der Europabegriff bei Herodot als Bezeichnung der Länder nördlich des Mittelmeers und des Schwarzen Meers – im Unterschied zu Asien und Afrika.
[25]Bild 3: Vergleich der geographischen und politischen Definition Europas. Die Abbildung oben das politische, kontinentale Europa der Mitglieder der Europäischen Union (EU) 2020. Die geographische Abgrenzung der Kontinente Europa und Asien an der inner-eurasischen Linie folgt in der unteren Abbildung der gängigen Grenze definiert von Philipp Johann von Strahlenberg. (© OpenStreetMap contributors: Karten erstellt, anschließend bearbeitet)
Günstige geographische Voraussetzungen boten sich in Europa für die kulturelle Entwicklung und den Austausch der Völker. Die Lage in der Klimazone der gemäßigten Breiten, das Fehlen extremer Klimaunterschiede und weite, nicht kultivierbare oder kolonisierbare Gebiete sind selten. Die kleinräumigen, klimatischen Gegebenheiten führten zu einer Vielzahl regionaler Erzeugnisse, zu Handel und zu Kooperation. Diese Kleinräumigkeit und Vielfalt sind charakteristisch für Europa: Beispielsweise haben neben großen Reichen immer auch kleine Fürstentümer, die Stadtstaaten Italiens, Wirtschaftsverbünde wie die Hanse oder die griechische Polis, eine Rolle gespielt. Europäische Kultur ist heterogen.
Ein Merkmal europäischer Kultur(räume) ist die Vielfalt, die sich durch Gemeinsamkeiten auszeichnet. Denn der europäische Kulturkreis gründet nicht nur auf der gemeinsamen Geschichte, sondern er basiert auch auf gemeinsamen Werten und Ideen: Die modernen Rechtsordnungen entstammen römischer Tradition, Philosophie und Demokratie dem antiken Griechenland. Auf Christentum, Humanismus und Aufklärung beruht das Zusammengehörigkeitsgefühl der europäischen Völker. Klöster und Kathedralen formten die europäischen Kulturlandschaften, der christliche Glaube vereint in gemeinsamen Festen, in der Liturgie und in der Erziehung. Durch die ersten modernen Universitäten in Europa entwickelte sich eine vielfältig vernetzte, europäische Bildungs- und Wissenschaftslandschaft, die zur Basis kultureller Identität Europas wurde. Die europäische Staatengemeinschaft des Spätmittelalters lassen bereits die modernen National- und Mehrvölkerstaaten erkennen.
Politik wurde zu einer säkularen Aufgabe und zu einem diplomatischen Instrument. Allerdings erst ca. 1650 bis 1800 mit Aufklärung und Humanismus, ihrer Berufung auf die Vernunft, die Naturwissenschaften, das Naturrecht und die religiöse Toleranz, erwachsen gesellschaftspolitische Ziele, wie die des Gemeinwohls, der persönlichen Handlungsfreiheit, der Bildung, der Bürger- und allgemeinen Menschenrechte. Dieses Gedankengut beeinflusst die europäische Gesellschaft bis heute. [26]Während Europa die individuellen Freiheiten betont, steht beispielsweise in Asien die Gemeinschaft im Vordergrund. Spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden die Aufklärung und ihre Folgen in Europa auch kritisch gedeutet. Ähnliche Emanzipationsprozesse, wie sie in vielen der sogenannten weniger entwickelten Ländern in den 1970er Jahren stattfanden, aber auch ihr Fehlen und ihre Notwendigkeit werden ebenfalls in anderen Kulturkreisen diskutiert.
Die lange Geschichte Europas ist jedoch nicht ausschließlich ein gemeinschaftliches Miteinander, immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen, Rivalitäten und Spaltungen. Die Spaltung des Christentums in römisch-katholische und orthodoxe Kirche, die Trennung in Katholizismus und Protestantismus, und die damit verbundenen Lebenseinstellungen. Geistige Werte und Haltungen brachten kulturbedingte Unterschiede und lieferten Gründe für Kriege. Ebenso wie die Vorherrschaft auf dem Kontinent, die nicht nur durch Heirat, sondern eben auch durch Kriege errungen wurde. In der frühen Neuzeit entstanden durch die europäische Expansion, in der Moderne durch die Bildung der modernen Nationalstaaten Rivalitäten, Spannungen und Kriege.
Nach außen hat sich Europa über viele Jahrhunderte als Zentrum der Weltpolitik gesehen. Die europäischen Kolonialmächte haben weltweit Völker und Territorien erobert und um die Vorherrschaft ebenso wie um Territorien gestritten. Ab 1918 übernahmen allmählich die USA und Russland die Führung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Europa geschwächt und gespalten. Asien und Afrika befreiten sich endgültig von der europäischen Vorherrschaft, die Kolonialreiche der Engländer, Franzosen, Niederländer, Belgier und Portugiesen begannen sich aufzulösen. Europas groß- und kleinräumige Grenzen waren damals fließend und wurden immer wieder neu bestimmt. Die Suche nach der europäischen Identität war immer auch geprägt von der inneren Spaltung und äußeren Abgrenzung. Zu unterscheiden sind heute zwei Aspekte europäischer Kultur:
1 Historisch: Auf dem europäischen Kontinent hat sich im Laufe von Jahrhunderten eine Kultur herausgebildet, die von dort in die ganze Welt getragen wurde, weshalb sie in der heute globalisierten Welt nicht mehr als spezifisch europäisch angesehen wird. Beispielsweise: viele moderne Techniken, die Wissenschafts- und Gedächtniskultur, die Ausbreitung der europäischen Lebensweise, die christliche Zeitrechnung (einschließlich des Kalenders), die Diplomatie, das internationale Recht, das moderne Weltstaatensystem.
2 Aktuell: Seit Ende des zweiten Weltkriegs beginnt sich in Europa und gegenüber der globalisierten Welt eine neue europäische Kultur zu formen.[27]Europa gewinnt in seinen Grenzen Kontur. Wert wird auf sprachliche Vielfalt gelegt, der Austausch gefördert, um den Respekt vor kulturellen Differenzen sowie das Gemeinsame der kulturellen Identität zu stärken.
Über die einigende Wirkung und die Bedeutung gemeinsamer Werte und einer gemeinsamen europäischen Kultur waren sich schon die Europapolitiker der ersten Stunde einig. Bereits im Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit und über kollektive Selbstverteidigung vom 17. März 1948 (Brüsseler Vertrag, Westeuropäische Union) hieß es in Artikel III: »Die Hohen Vertragschließenden Teile werden gemeinsam jede Anstrengung unternehmen, um ihre Völker zu einem besseren Verständnis der Grundsätze, welche Grundlage ihrer gemeinsamen Zivilisation bilden, zu führen und durch gegenseitige Übereinkommen oder sonstige Mittel den kulturellen Austausch zu fördern.«
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Info: Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit und über kollektive Selbstverteidigung vom 17. März 1948 Der Vertrag ist heute vielfach in Vergessenheit geraten, auch wenn immer wieder versucht wird, ihn wiederzubeleben. Von Bedeutung war der Vertrag zwischen 1948 und 1958, als auf seiner Grundlage und aus seinen Mitgliedern heraus der Europarat sowie die Europäischen Gemeinschaften 1951 bzw. 1957 gegründet wurden; bis 1972 war er wichtigstes Forum zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und Großbritannien, mit dessen Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften am 1. Januar 1973 der Vertrag faktisch bedeutungslos geworden ist. 1992 wurde der Vertrag erstmals in einem Vertragsdokument der Europäischen Union (im Vertrag über die Europäische Union) erwähnt, 1997 wurde die Zusammenarbeit verstärkt und 2001 wurde das Ziel ausgesprochen, die Organisation in die Europäische Union zu integrieren; geschehen ist dies aber bis heute nicht. Die WEU kann als aufgelöst betrachtet werden. Der Rat der Westeuropäischen Union ist formal seit 13. November 2000 nicht mehr zusammengetreten. |
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