Die letzte Nacht der Lilie. Stéphanie Queyrol

Die letzte Nacht der Lilie - Stéphanie Queyrol


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      Stéphanie Queyrol

      Die letzte Nacht der Lilie

      Roman

      Theodor Boder Verlag

      Impressum

      eBook, Juni 2021

      2. Auflage

      Copyright © 2013 by Theodor Boder Verlag,

      CH-4322 Mumpf

      Alle Rechte vorbehalten

      Covergestaltung: Theodor Boder

      Fotografie: Adobe Stock

      Lektorat: Theodor Boder und Lectorare.de

      ISBN 978-3-905802-46-7

      www.boderverlag.ch

      Widmung

      Für

      Armand

      und

      Sylviane

      Prolog: Das Ende

      Es ist nun fast drei Jahre her, seit Lilith uns verlassen hat. Über zwei Jahre lang haben wir nichts von ihr gehört. Wir wussten nicht, wo sie war oder wie es ihr erging. Das Einzige, dessen wir uns sicher waren: Sie lebte noch. Bis heute fällt mir die Vorstellung, dass jemand mächtig genug sein könnte, sie zu zerstören, wirklich schwer.

      Vor ein paar Wochen hat uns ein Bote ein Paket überbracht. Wir waren erstaunt zu sehen, dass es ein Manuskript in Liliths Handschrift war. Sie hatte alles niedergeschrieben. Dem Manuskript hat sie folgenden Brief beigelegt:

      Meine Liebsten,

      es ist nun fast zwei Jahre her, seit ich Euch in Basel alleingelassen habe. Die Art, wie ich mich von Euch getrennt habe, war für mich die einzig denkbare. Ich wollte nicht Abschied von Euch nehmen, denn wir wissen alle, dass uns die Zeit wieder zueinander führen wird.

      Vor ein paar Monaten, als ich das Geburtsland der Dämonen besuchte, habe ich wieder einmal sehen müssen, dass alles ein Ende hat, aber auch einen Anfang. Mir wurde bewusst, dass unsere Geschichte für zukünftige Generationen wichtig sein könnte. Sie ist schließlich ein Teil von uns allen.

      Ich weiß auch, dass ich Euch mit vielen Fragen zurückgelassen habe. Das tut mir so leid, denn Ihr standet mir geduldig zur Seite, und ohne Euch wäre ich nicht Lilith. Wenn jemand Antworten verdient hat, dann seid Ihr es!

      Ich habe mich also entschieden, die Geschehnisse meiner beiden Anfänge und Enden niederzuschreiben. Ich verlasse mich auf Euch, das Manuskript zu einem Buch zu verarbeiten und es meiner Bibliothek in den Katakomben des Ordens der Lilie hinzuzufügen. Schließlich ist dies die größte bekannte Bibliothek, die sich mit der wahren Geschichte unserer Art beschäftigt.

      Ich hoffe, Ihr findet in diesem Werk die Antworten, nach denen Ihr gesucht habt.

      Vergesst nicht, dass ich Euch liebe, und diese Liebe ist immerwährend!

      In Liebe

      Lilith

      Ihrem Wunsch entsprechend haben wir uns sofort an die Arbeit gemacht. Wir haben uns entschieden, Liliths Geschichte zu veröffentlichen. Es bestand keine Gefahr, dass sie als reales Werk erkannt würde. Gleichzeitig gibt es uns die Möglichkeit, die Geschehnisse zu verbreiten. Alle, die wissen müssen, dass es sich wirklich so zugetragen hat, werden dies auch erkennen.

      Der Orden der Lilie dient nun einer anderen Sache, und Basel ist in der kurzen Zeit zum Mittelpunkt unserer Bewegung geworden.

      Unsere Hoffnung, liebe Leser, ist, dass Ihr aus Liliths Geschichte lernt.

      Basel, 1. Oktober 2013

      Lyès de Marois

      Erstes Buch: Die Prophezeiung der Lilie

      Armand

      Lily saß im Kannenfeldpark auf einer Bank und genoss die letzten Sonnenstrahlen. Die Bäume verloren bereits ihre ersten Blätter. Noch war es zwar warm, bald aber würde das letzte Laub fallen und der Winter würde kommen. Lily mochte die Kälte nicht. Was sie liebte, war die Hitze des Sommers und das Licht der Sonne. Noch nie hatte sie einfach nur zu Hause rumsitzen können, wenn die Sonne schien. Schon als kleines Kind konnte ihre Mutter sie nicht aufhalten, immer wieder nach draußen in den Garten zu rennen, wo Lily sich alleine beschäftigte und in ihre Welten eintauchte.

      Lily schloss die Augen und genoss die Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht. Zwar spürte sie die sinkende Temperatur, schließlich war es schon Oktober, aber es störte sie nicht, sie fror selten.

      Heute vor dreizehn Jahren waren ihre Eltern bei einem Brand gestorben. Doch das Mädchen trauerte nicht mehr um sie. Lily war noch so jung gewesen. Anfangs hatte sie ihre Eltern sehr vermisst, doch mit der Zeit verblasste ihre Erinnerung. Ganz wenige Bilder blieben ihr noch, sie hätte ihren Vater wahrscheinlich gar nicht mehr erkannt, hätte sie ihn heute gesehen. Aber ihre Mutter war immer präsent. Lily hatte allerdings nur noch eine Erinnerung an sie: wie sie Lily verängstigt ansah, das dunkelbraune Haar ganz unordentlich, die dunklen Augen voller Schmerz und Traurigkeit. Lily wusste nur noch, wie ihre Mutter ihr die Kette gegeben hatte. „Trag sie, sie wird dich vor Bösem beschützen!“ Dann verschwand das Gesicht der Mutter. Grüne Augen. Wo kamen denn die grünen Augen her? Hatte ihr Vater grüne Augen gehabt? Schon möglich, sie erinnerte sich ja nicht mehr an ihn. Die silberne Mondsteinkette hatte sie nicht ein einziges Mal in ihrem Leben abgelegt. Lily hatte ihrer Mutter geglaubt, und sogar jetzt meinte Lily zu spüren, wie die Kette nicht nur Trost spendete, sondern sie auch beschützte.

      Plötzlich bekam Lily eine Gänsehaut, aber nicht vor Kälte. Sie öffnete die Augen und sah sich um. Die Sonne war untergegangen, die Nacht kam. Wurde sie beobachtet? Sie sah nichts. Eine Bewegung? Nein, nichts. Lily stand auf und ging nach Hause. Sie wohnte in einer kleinen, aber sehr schönen Wohnung neben dem Park. Fast jeden Abend kam sie her, spazierte, las oder saß einfach nur auf ihrer Bank und genoss die Sonne und die Natur. Sie mochte es auch, Menschen zu beobachten und sich deren Geschichten vorzustellen. Manchmal sprach sie mit älteren Leuten, die wahrscheinlich nicht mehr viel zu tun hatten und ihre Tage im Park verbrachten. Sie erzählten Lily ihre Leiden und Probleme, manchmal aber schwatzten sie nur über das Wetter oder darüber, wie Basel früher ausgesehen hatte. Lily hatte zu Hause eine ganze Sammlung an Geschichten und Begegnungen: niedergeschrieben, um sie immer wieder zu lesen.

      So vergingen die Jahre: Den Tag verbrachte sie in der Schule und die Abende im Park. Und manchmal, wenn ihr danach war, setzte sie sich auch an den Rhein. Da war die Vielfalt der Menschen deutlich größer. Sie sah junge Schulschwänzer, Spaziergänger, verliebte Paare, Touristen, Schwimmer im Sommer und arme Leute, die um Geld bettelten oder dafür sogar musizierten. Lily hatte keine Freunde, sie hatte ein paar Kollegen. Doch sie ertrug viel Gesellschaft nicht. Sie sei komisch, hatte man ihr in der Schule gesagt. Das störte sie nicht. Sie machte das, worauf sie Lust hatte. Lily war nicht einsam. Anfangs nach dem Brand, als ihre Eltern starben, da hatte sie sich allein gefühlt, aber jetzt nicht mehr. Sie mochte es, allein zu sein.

      Nun war es schon ganz dunkel geworden und zum ersten Mal fühlte sie sich unwohl, verfolgt. Als sie an ihrem Haus ankam, schaute sie noch kurz über ihre Schultern, ob da jemand sei. Für einen kurzen Moment glaubte sie Armand gesehen zu haben, ihren Nachbarn. Erschrocken ließ sie ihre Schlüssel fallen. Als sie den Bund aufhob, schaute sie nochmals zu der Stelle, wo sie geglaubt hatte, den vertrauten Unbekannten gesehen zu haben, doch da stand niemand. Stirnrunzelnd ging sie ins Haus.

      Als sie sich schlafen legte, war da noch immer dieses seltsame Gefühl. Wieso sollte Armand sie beobachten? Sie hatte noch nie ein Wort mit ihm geredet. War es Wunschdenken? Vielleicht …

      Seit sie vor eineinhalb Jahren hier eingezogen war und ihn zum ersten Mal gesehen hatte, wusste Lily, dass er jemand Besonderer war. Immer wieder hatte sie ihn im Park gesehen und beobachtet. Er war der einzige Mensch, über den ihr keine Geschichte einfallen wollte. Seine Bewegungen waren grazil und elegant, doch er hatte etwas Dunkles und Gefährliches


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