Zum Glück gibt es Wege. Clemens Bittlinger

Zum Glück gibt es Wege - Clemens Bittlinger


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Keiner mag mich. Solche Selbstbilder trüben das einmalige Bild Gottes in mir. Daniel Hell, ein Schweizer Psychiater, meint, dass die Depressionen oft ein Hilfeschrei der Seele gegen Bilder der Selbstüberschätzung sind. Sie zeigen uns an, wo wir uns unrealistisch einschätzen. Nur wenn wir frei werden von den Trübungen, werden wir glücklich sein, dann werden wir ganz wir selbst sein.

      Und wenn wir ganz wir selbst sind, wenn wir ausgezogen sind aus allen Bildern, die unser wahres Sein trüben, wenn wir immer mehr hineingehen in die einmalige Gestalt, die Gott uns zugedacht hat, dann werden wir ein Segen für andere sein. Wir müssen nicht etwas Besonderes leisten. Wir sollen nur wir selbst sein. Dann dürfen wir immer wieder dankbar erkennen: Ja, ich bin ein Segen. Und wenn ich ein Segen bin für andere, dann bin ich glücklich. Ich kann nicht angeben mit diesem Wort: „Ich bin ein Segen.“ Ich kann es nur in aller Demut bekennen. Trotz meiner Fehler und Schwächen darf ich ein Segen sein. Darin besteht für mich das größte Glück, dass ich als dieser durchschnittliche, fehlerhafte, aber doch einmalige Mensch für andere ein Segen sein darf, nicht in erster Linie, indem ich ein besonderes Werk vollbringe, sondern einfach durch die Tatsache, dass ich ganz ich selber bin, dass in mir das einmalige und unverfälschte Bild Gottes aufleuchtet und für die andern zum Segen wird.

      AG

      Glück ist …

      … wenn das Leben „aufblüht“

      Das deutsche Wort „Glück“ hat mit Gelingen zu tun. Wenn das Leben gelingt, fühlen wir uns glücklich. Und wenn unser Leben fließt und aufblüht, spüren wir Glück.

      Das biblische Bild für das Aufblühen unseres Lebens ist der Segen. Gott segnet den Abraham, dass er Segen wird für die Menschen (vgl. Gen 12,1ff.). Glück ist nicht etwas, was wir für uns behalten könnten. Glücklich sind wir, wenn unser Leben fließt, wenn wir selbst erfahren dürfen: Jetzt, in diesem Augenblick, darf oder durfte ich ein Segen sein für diesen Menschen. Ja, Gott hat mich selbst dazu erwählt, für andere zum Segen zu werden. Segen ist Fruchtbarkeit. Wenn ich zum Segen werde für andere, dann habe ich das Gefühl: Der andere ist von Gottes Segen eingehüllt wie von einem schützenden und wärmenden Mantel. Und Gottes Segen durchdringt diesen Menschen, bringt ihn in Berührung mit all den Fähigkeiten, die in seiner Seele vorhanden sind, und Gottes Segen bringt sein Leben zur Blüte. Es trägt Frucht für andere. Wenn ein Mensch spürt, dass er Segen wird für andere, fühlt er sich glücklich. Es ist ein Glück, das sich andern mitteilt, nicht ein Glück, das wir egoistisch für uns behalten wollen. Glück will sich mitteilen, so, wie Segen ausströmen will. Der gesegnete Mensch, der selbst zum Segen für andere wird, ist glücklich und eine Quelle des Glücks für andere.

      AG

      3. Wegweiser: Krisen

      Stellen Sie sich vor, Sie müssten jeden Tag zwölf Stunden härteste Arbeit verrichten. Stellen Sie sich vor, es gäbe keinen Urlaub, keine Altersvorsorge und keine Krankenversicherung. Das, was Sie verdienen, reicht gerade mal, um in der spärlichen Unterkunft, die Ihnen zugewiesen wurde, nicht zu verhungern. Sie haben eine Frau und sechs Kinder, davon sind zwei so kränklich, dass Sie nicht wissen, ob sie im nächsten Monat, im nächsten Jahr noch leben werden. „Nächstes Jahr“, so weit wagen Sie gar nicht zu denken. Ihr Leben ist ein täglicher Überlebenskampf, sie leben buchstäblich von der Hand in den Mund, da ist kein Spielraum. Und dieses Überleben funktioniert nur, weil alle, wirklich alle, auch die Großeltern und die Kinder, mithelfen und mit anpacken. Wenn Sie sich das vorstellen können, bekommen Sie eine leise Ahnung davon, was es früher hieß, Leibeigener zu sein.

      Leibeigene, Menschen, deren Leben wie Ware gehandelt wird, die keinen eigenen Besitz, keine eigenen Rechte besitzen, das sind die Israeliten vor rund dreitausend Jahren in Ägypten. Sie sind Gefangene und Sklaven des Pharao, und unter der Knute seiner Schergen werden sie brutal ausgebeutet.

      Wer sieht dieses Elend? Wer spürt die Peitschenhiebe der Sklaventreiber? Wen berührt das Weinen der Kinder, wenn sie am Abend vor Hunger nicht einschlafen können? Wer hört die stummen Klagen der Alten, wenn sie hinaus in die Nacht schauen? Wer kennt das stille Sehnen all derer, die ihre Träume noch nicht ganz aufgegeben haben? Wer sieht das Leid? Wer neigt sein Ohr und hört? Und wer erkennt das Elend?

      Zu Beginn des 2. Buches Mose, im Alten Testament, wird uns berichtet, wie Gott dem Hirten Mose in einem brennenden Dornbusch erscheint und Folgendes mitteilt: „Ich hab das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört, ich habe ihre Leiden erkannt!“ (Ex 3,7).

      Sein Glück zu finden – das ist mitunter ein langer Prozess. Glück „geschieht“ in der Regel nicht einfach so, von einem Moment auf den anderen. Dieser Prozess, das eigene Glück zu finden, beginnt – bewusst oder unbewusst – mit einer Art Bestandsaufnahme. Mit einer Analyse meiner momentanen Situation: Warum geht es mir, wie es mir geht?

      Was bedrängt mich? Was engt mich ein?

      Was versklavt mich? Was sorgt dafür, dass ich unzufrieden bin?

      Woraus ist das Netz, in dem ich gefangen bin, gewebt?

      Das will ich mir anschauen, und dafür brauche ich Zeit. Denn manches, was uns beengt, erkennen wir ja gar nicht auf den ersten Blick. Es kann sein, dass mich meine Arbeit nicht befriedigt. Es kann sein, dass ich zu wenig Zeit für mich selbst habe. Es kann sein, dass ich finanziell nicht klarkomme. Wenn ich will, dass sich etwas ändert, muss ich einen zweiten Blick darauf werfen.

      Und das geht nicht immer allein. Vier Augen sehen mehr als zwei, und sechs Augen sehen mehr als vier. Es ist gut, wenn ich andere zurate ziehe und wir gemeinsam hinschauen. Und wenn wir miteinander ins Gespräch kommen, dann ist es wichtig, zu hören, erst einmal einfach nur zuzuhören – und nicht gleich wieder zu beschwichtigen: „Na ja, so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht! Anderen geht es ja noch viel schlechter!“

      Das stimmt mit Sicherheit. Aber wenn ich mich auf den Weg zu meinem Glück machen möchte, muss ich bereit sein, aufzubrechen und neue Ziele zu entdecken. Durch genaues Hinhören in so einem Gespräch kann ich ganz viel lernen über mich: Wie gehe ich sprachlich mit anderen um? Warum bin ich plötzlich aggressiv? Warum kann ich so schlecht zuhören? Wo entdecke ich in meinem Reden und Klagen meine eigene Sehnsucht?

      Aus dem genauen Hinsehen und aus dem sensiblen Zuhören im ehrlichen Gespräch mit Freunden wächst dann oft die Erkenntnis, warum ich leide, warum ich nicht glücklich bin.

      Die Stimme aus dem brennenden Dornbusch sagte: „Ich habe gesehen, gehört und Leiden erkannt!“

      Sehen – Hören – Leiden erkennen. Das ist der Beginn eines jeden Weges der Veränderung zum Glücklicheren.

      Aufgrund dieser Bestandsaufnahme wird Mose von Gott beauftragt, zum Pharao zu gehen und die Freilassung des Volkes Israel aus der Sklaverei zu fordern. Gott weckt in ihm die Vision von einem Land, „in dem Milch und Honig fließt“. Dieses Land soll er den Hebräern vor Augen malen und in ihnen den Wunsch wecken aufzubrechen.

      Jemand hat einmal gesagt: „Willst du andere dafür gewinnen, ein Schiff zu bauen, dann wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem Meer!“ In diesem Fall soll Mose die Sehnsucht nach Freiheit, nach eigenem Besitz, einem eigenen Land und Wohlstand wecken, um das Volk so bereit zu machen, die Gefahren und Widrigkeiten einer eventuell langen Flucht auf sich zu nehmen.

      Wie sieht sie denn aus – meine Vision von einem Land, „in dem Milch und Honig fließt“? Welches Leben erträume ich mir? Wofür wäre ich bereit, alles stehen und liegen zu lassen und ganz neu aufzubrechen?

      Und was gibt es zu bedenken?

      In jedem Fall gilt: Ohne klare und gründliche Bestandsaufnahme kann ein Traum ganz schnell zu einem Albtraum werden: Wie viele Männer haben sich in ihrer Midlife-Krise komplett überschätzt und sind dem Wahn verfallen, sie könnten sich selbst und ihr Leben um zwanzig Jahre zurückdrehen, indem sie aus einer alten Beziehung ausbrechen und mit einer mindestens zwanzig Jahre jüngeren Frau noch einmal „ganz von vorne“ beginnen. Solche Aufbrüche „zu neuen Ufern“ stehen in der Regel unter keinem guten Stern, denn erstens nehme ich ja mindestens fünfzig Prozent meiner


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