Dunkler Paladin. Cole Brannighan

Dunkler Paladin - Cole Brannighan


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existierte. Panik begann seine Glieder zu lähmen. »O Herr«, begann er sein Mutgebet, »lass uns im Angesicht des Todes nicht mutlos werden.« Sein Herz tat einen Schlag. Dann explodierte ein Feuer in seinem Herzen und verbannte die Schatten der Furcht, die an seinem Willen fraß. Stärke und Mut pumpten durch seine Adern und klärten seine Gedanken.

      »Nicht bewegen!«, brüllte Finn. »Das Ding reagiert auf Bewegung!« Es war zwecklos. Er konnte sich selbst kaum hören. Durch den Regenschleier war Khalea kaum auszumachen.

      Obwohl Finn die drei Grundgebete des Kampfes beherrschte, konnte nur eins von ihnen aktiv sein. Die Flamme seiner Lahras war erloschen, dafür brannte das Indigo in seinem Herzen. Finn rannte über die Deckplanken. Jeder Schritt war eine Gratwanderung zwischen Halt und Gleiten.

      Höllenschwämme waren so intelligent, ihren Kopf unter Wasser zu halten, während ihre hochsensiblen Tentakel nach allem schnappten, was sich bewegte. Es gab Tiere. Es gab Menschen. Und es gab die Unsterblichen. Neben ihrer physischen Stärke bargen sie die Erfahrung der Jahrtausende in sich. Geisterspuk und Sirenen wären Finn lieber gewesen.

      In perfekter Synchronizität zuckten Tentakel zu Finn rüber. Er glaubte zu spüren, wie sich ihm die Aufmerksamkeit eines Unsterblichen zuwandte. Trotz des Unwetters trug der Wind Fetzen hellen Geschnatters an seine Ohren, das nach hunderten von irren Seemöwen klang.

      Noch bevor der erste violette Fangarm Finn erreichte, schlug er das Glied ab. Der Stumpf schnellte wie eine Bogensehne zurück. Finn stellte sich breitbeinig auf und schützte seinen Körper mit einem Wirbel der Lahras. Nachdem zwei weitere Tentakel der Klinge zum Opfer gefallen waren, hielten die anderen Arme kurz inne, brachen dann Latten, Balken sowie Masten aus den Verankerungen und warfen damit nach ihm.

      »Bei den Verfluchten Sieben«, presste Finn zwischen den Zähnen hervor und warf sich auf den Bauch. Hinter ihm krachte ein Balken gegen das Führerhaus und ebnete es ein. Jetzt wurde ihm klar, weshalb Bruder Malesen ein Boot mit Ballisten und Harpunenwerfern neben den Höllenschwamm gezeichnet hatte. Sobald man sich in Reichweite der Fangarme begab, war man ihnen ausgeliefert.

      Wieder ertönte das infernalische Schnattern, diesmal lauter. Es kam näher und war rauer, als würde es ein Schmählied singen.

      Finn wälzte sich auf den Rücken und verharrte. Die Tentakel bogen und wanden sich durch die Luft. Jeder in eine andere Richtung. Finn wartete, bis sie weg waren und richtete sich wieder auf. Doch da drehten die Fangarme auch schon um und schossen auf ihn zu. Plötzlich schlang sich ein schleimiges Etwas von hinten um ihn. Ein Tentakel riss ihn von den Beinen, als würde er eine Distel an der Wurzel packen. Schiffe, Wasser und grauschwarzer Himmel verschwammen für einen Augenblick in einem Wirbel aus Bildern. Finns Finger krallten über das Deck, während sein Verstand versuchte, zu begreifen, was passiert war. Das Vieh hatte ihm eine Falle gestellt und nun bugsierte ihn der Fangarm am Fußgelenk über eine mit Wrackteilen übersäte Lücke zwischen zwei Handelsbarken. Ein schwammiger Kopf mit violetter Haut hob sich aus den Trümmern. Intelligenz leuchtete in den vielen obsidianschwarzen Augen, die sich auf Finn richteten.

      »Eine interessante Eintagsfliege seid Ihr«, flüsterte der Höllenschwamm in Finns Gedanken. »Habt Ihr je über Eure Sterblichkeit nachgedacht?«

      Finn schüttelte den Kopf, weil die Gedanken des Schwamms wie Maden durch seinen Schädel krochen. Noch ehe er sich davon erholen konnte, tat sich ein Riss auf dem Schwammkopf auf, Zähne richteten sich nach oben aus und bewegten sich wellenförmig.

      Ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel und gewährte Finn einen Einblick in die Dämonenhölle. Überall im Wasser, an Decks, in Nischen und Ritzen lugten Tentakel hervor, als sei das Untier das Nervenzentrum des lebendig gewordenen Schiffsfriedhofs. Das Wesen musste eine ungeheure Größe haben.

      Hitze schlug Finn von einem der Handelsschiffe entgegen. Der Blitz hatte Mast und Segel in Brand gesetzt.

      Der Tentakel wirbelte Finn durch den Laderaum eines aufgeschlitzten Schiffsrumpfs. Kisten, Fässer und Flaschenzüge schlugen ihm entgegen. Finn schlug mit der Lahras wild um sich und versuchte, etwas Fleischiges zu erwischen. Durch einen Glückstreffer ließ der Zug schlagartig nach und er kam auf Bodendielen zum Liegen.

      Er blickte an sich herunter und sah vor seinen Füßen ein zuckendes Tentakelstück liegen. Er rappelte sich hoch, aber nicht schnell genug, weitere Glieder krallten sich in den Laderaum und kippten das Schiff zum Maul hin. Das Wrack ächzte unter der Belastung, Nieten sprangen heraus und Bretter schnappten aus ihren Positionen.

      Finn steckte die Lahras in die Scheide und warf mit allem, was er zu fassen bekam. Bretter, kleine Kisten, Flaschen, Vorratskrüge. Die Behältnisse zerbarsten am Ungeheuer, übergossen es mit Flüssigkeiten, Mehl und Rollen voller Tunepseide. Bevor es sich die Tücher von den Augen ziehen konnte, hechtete Finn über die Laderaumtreppe aufs Deck hinauf. Oben blendeten ihn die Flammen, die Mast, Reling und Takelage verzehrten. Finn kam zum Stehen und bedeckte seine Augen. Der kurze unachtsame Moment reichte dem Wesen, um ihn wieder an den Füßen zu packen und hart auf den Boden zu schleudern. Finn griff um sich, schnappte nach einer brennenden Latte und schlug damit nach dem Tentakel, den die Schläge nicht beeindruckten. Der Fangarm hob ihn vom Deck und ließ ihn erneut über dem Maul des Schwamms baumeln.

      Die kleinen Obsidianaugen fixierten Finn, während auf der porigen Haut Mehl und Getreide in einer irisierenden Flüssigkeit herunterflossen, die Schlieren auf dem Wasser hinterließ. »Hast du dir je Gedanken um deine eigene Sterblichkeit gemacht?«, kreischte Finn durch den Wind und ließ die brennende Latte nach unten fallen. Als sie das Petroleum berührte, schwappte eine Feuerwelle über den empfindlichen Kopf des Höllenschwamms. Die Luft stank nach Fischinnereien und gebratenen Krebsen. Über allem lag das Geschnatter, das einer Wehklage gleich durch den Schiffsfriedhof dröhnte.

      Finn meinte Augen platzen zu sehen, aus denen milchige Flüssigkeit spritzte.

      In blinder Wut schlug das Monster um sich, wand sich und tauchte mit dem Kopf unter Wasser. Finn war der Willkür der Tentakel ausgeliefert, die ihn durch die Luft peitschten. Etwas drang mit einem Knirschen in seine Seite. Der Regen schlug wie Kiesel auf sein Gesicht, dann tauchte sein Bewusstsein ins Schwarze.

      »Wird ein Höllenschwamm geboren, ist er so klein wie eine Menschenhand. Wenn es ihm gelingt, sich vor Fressräubern zu flüchten und sich in Höhlen und Nischen am Meeresgrund zu verbergen, dann frisst er, wächst er, nährt er sich am Busen des Meeres. Spinnt seine Pläne, wartet, lauert, bis er die Welt verschlingen kann.«

      – Aus dem Tagebuch von Kapitän Rotbart, kurz vor seinem Verschwinden

      Kapitel Vier

      Lebe deine Wut

      Die wranische Taverne gähnte vor Leere, bis auf eine Handvoll Dauersäufer, die über den Tresen gebeugt ihren Rausch ausschliefen. Talisas Bier hatte keinen Schaum mehr. Ohne Schaum wollte Talisa aber nicht trinken und schob es über den Tresen von sich weg.

      »Verdammt noch mal, hier stimmt etwas nicht!«, grunzte sie und spuckte auf die Bodendielen. Es war nicht mehr so rot wie am Anfang, auch die Schmerzen in ihrer Seite ebbten ab, dennoch hatte sie keine Lust, die Stelle zu berühren. Am Tag ihres Ausbruchs hatte sie Blut im Urin gehabt. Dieser Hundesohn würde büßen und seine gesamte Bande gleich mit. Für die Gefangenschaft, für die Folter und für die Überfahrt auf einer Himmelsbarke, versteckt im Laderaum zwischen stinkenden Fellen und Ratten. Zumindest hatte die Besatzung nicht gemerkt, dass die blinden Passagiere dafür verantwortlich waren, dass ein kleines Fass mit Stockfisch gefehlt hatte.

      »Vater Klein sagt, du hättest die Diebin lieber töten sollen«, bemerkte Schmutzbart, der neben ihr saß.

      »Ich will, dass er und sein gesamtes Gefolge sich auf meine Ankunft freuen, dass sie Wachen aufstellen, Gelder ausgeben, nach mir suchen lassen. Ich will, dass er mich fürchtet. Geht das in dein winziges Walnusshirn?«

      Schmutzbart blickte sie eine Weile mit tiefliegenden Augen an. Sie lagen im Schatten, daher konnte sie nicht erkennen,


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