Dunkler Paladin. Cole Brannighan
mit dem Fuß zu ihr rüber. Die Hände hielt er über seinem Gemächt. Seine Männerbrüste zitterten.
»Geh jetzt, sonst schlitz ich dich auf«, drohte Talisa.
Der Nackte rannte zur Dachluke und kletterte diese nach unten. Sein Hängehintern wippte dabei auf und ab.
Sie zog sich erst den weißen Kaftan an, dann die dicke braune Nomadenrobe und den Schal. Einen Teil davon zog sie sich über den Kopf und hoffte, dass sie so einen Sonnenbrand vermeiden konnte. Die Diebesrobe, auf der ganze Kolonien von Filzläusen siedelten, warf sie in den Himmel. Die neuen Schuhe fühlten sich hervorragend an, obwohl sie eine Nummer zu groß waren. Festes schwarzes Leder, dicke Sohle – ideal zum Kämpfen. Ohne richtigen Stand kann auch der beste Krieger zu Fall gebracht werden.
Sie machte ein paar Schritte zur nächsten Kante und blickte nach unten. Es dauerte eine Weile, bis sie ihren Leithund wiederentdeckte. Mittlerweile hatte er die Kapuze zurückgeschoben und rote Haare entblößt.
Ein großer Schatten schwebte von hinten über Talisa hinweg.
»Bereitet die Brücke vor!«, brüllte eine Stimme von oben. Es war eine Himmelsbarke, die in Richtung eines Landeturms schwebte und dabei die Geschwindigkeit drosselte. Anlegehelfer auf dem Flachdach fischten mit Langhaken nach den Ösen an den Seilenden und vertäuten sie seitlich am Turm.
Der Dieb sah sich links und rechts um, bevor er in denselben Turm hineinging.
Vermutlich war hier der Sitz der Diebesgilde und wenn sie Glück hatte, würde sie Firuwahr hier finden. Sie erwog, sich auf einem der Karren zu verstecken, die über das Kopfsteinpflaster durch das Tor im Erdgeschoss des Turms fuhren, aber sie entschied sich anders.
Mit Anlauf sprang sie auf das nächste Dach, lief ein paar Schritte und sprang wieder. Nach vier Sprüngen stand sie auf dem Dach vor dem Gebäude der Diebesgilde. Die Himmelsbarke schwebte über der Straße zwischen ihr und dem Landeturm.
Talisa blickte durch die Seile, die vom Rumpf der Barke herunterbaumelten, und entdeckte einen Balkon am Turm. Zum Springen war die Entfernung zu groß, doch wenn sie eines der Seile benutzte, könnte sie sich rüber schwingen.
Sie machte ein paar Schritte nach hinten und suchte sich ein Seil aus, das von ihr weg pendelte, das Ende seines Schwungs erreichte und wieder zurückkam.
Talisa sprintete übers Dach und registrierte schon einen Bruchteil vor ihrem Sprung, dass sie die Bewegung des Seils falsch eingeschätzt hatte, da es viel zu früh wieder von ihr wegschwang. Doch stehen bleiben konnte sie jetzt auch nicht mehr.
Sie griff ins Leere, unterdrückte einen Schrei und bekam dann doch die Eisenöse am Ende des Seils zu fassen. Mit einem Ruck wurde sie von der Pendelbewegung nach vorn gerissen, rutschte mit ihren schweißnassen Fingern am Metall ab und schwang unkontrolliert geradeaus. Der Aufprall mit der Balkonbrüstung presste ihr die Luft aus der Lunge, doch sie hatte es geschafft, nicht abzustürzen.
Sie hing mindestens drei Meter über dem Boden, wenn sie jetzt fiel, würde sie sich einige Knochen brechen. Sie wuchtete sich keuchend auf den Balkon. Vor ihren Augen flimmerte es.
»Verdammt, das war knapp«, zischte Talisa und taumelte in den Stand. Sie zog ihr Messer und blickte durch eine Glastür in einen kleinen Raum, in dem ein Schreibtisch stand, der überquoll von Papierstapeln.
Ein bärtiger Mann betrat den Raum, setzte sich an den Tisch und tunkte eine Gänsefeder in ein Tintenfässchen, bevor er zu schreiben begann.
Talisas Finger schlossen sich enger um den Messergriff, dann zählte sie innerlich bis drei und riss die Tür auf.
Der Mann erschrak. Die Tinte stieß er dabei um, sodass sich diese auf all seinen Blättern verteilte.
Talisa sprang zum Tisch, zerrte ihn am Kragen über den Tisch und hielt ihm die Klinge an den Hals. »Firuwahr«, flüsterte sie und stieß mit dem Ellbogen einen Papierturm um. Lose Blätter verteilten sich auf dem Fliesenboden.
»Wachen, hil… « Sein Ruf ging in einem erstickten Gurgeln unter, als Talisa ihm den Hals aufschlitzte. Blut besudelte sauber geführte Warenlisten.
Talisa warf den Toten vom Tisch.
Die Tür krachte auf und ein Wachmann betrat den Raum. »Was bei den Verfluchten Sieben … ? Ergib Dich!«, rief er und richtete einen Speer auf sie.
Talisa packte ein Buch vom Tisch und warf es ihm an den Kopf. Den Sekundenbruchteil, den er abgelenkt war, nutzte Talisa aus und rammte ihm die Schulter gegen den Leib, hielt den Speerschaft fest und schubste die Wache von sich. Er taumelte aus der offenen Tür und prallte gegen das Treppengeländer, das brach unter der Belastung weg, und die Wache fiel herunter.
Talisa eilte ihm nach und blickte nach unten. Der Wachmann war auf einen Pferdekarren mit Stroh gefallen und hielt nun seinen verdrehten Arm. Mehrere seiner Kollegen kamen angerannt und schauten zu ihr hoch.
Für einen Moment passierte nichts, dann brach die Hölle los.
»Alarm! Tötet sie!« Auf den Holztreppen unter und über ihr polterten Schritte.
Talisa verschaffte sich schnell einen Überblick. Der Ladeschacht verlief von hier unten bis aufs Dach, in dem ein Durchlass den Blick auf die dunkelblaue Haut des Rochenleviathans erlaubte. Über dem Durchlass pendelten Hanfseile aus einer Flaschenzugkonstruktion.
Auf der gegenüberliegenden Seite eilte ein Wachmann, mit einem Kurzschwert bewaffnet, zu ihr. Talisa hob den erbeuteten Speer, zielte und traf den Mann in den Oberschenkel, was ihn zu Boden warf.
Sie hechtete ein halbes Stockwerk zu ihm hinauf, entriss ihm das Kurzschwert und sprang zurück, als er mit einem Dolch nach ihr stach. Sie stieß ihm das Schwert in die Brust, zog es wieder heraus und nahm auch den Dolch an sich.
Wachleute reihten sich bereits unten und oben auf den Stufen und bahnten sich einen Weg zu ihr. Das Treppenhaus wirkte wie ein Taubenschlag, der urplötzlich zum Leben erwacht war. Talisa bezweifelte, dass sie sich gegen so viele Leute zur Wehr setzen konnte.
Talisa nahm eine Fackel von der Wand und warf sie auf den mit Stroh beladenen Karren im Erdgeschoss. Sie wartete einen Moment, bis das Feuer sein Festmahl begann und die Männer sie fast erreicht hatten, dann sprang sie über das Geländer und griff nach dem Hanfseil. Ein Speer zischte an ihren Füßen vorbei, streifte eine hängende Kiste und fiel nach unten, wo sich Pferde panisch aufbäumten.
Talisa hackte auf das Seil neben ihr ein und die daran hängende Kiste raste in die Tiefe, während Talisa am anderen Seil nach oben katapultiert wurde. Ihr Flug trug sie an mehreren irritierten Wachmännern vorbei, bis sie an der höchsten Stelle der Treppe absprang. Talisa rollte sich ab und eilte die restlichen Stufen nach oben.
»Feuer!«, schrie jemand von unten, doch das interessierte sie nicht mehr.
Grausamkeit ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Auf der Landeplattform angelangt, traten zwei Wachleute mit brünierten Brustpanzern und Helmen auf sie zu, richteten ihre Speere auf sie und verschanzten sich hinter ihren Schilden. Hinter ihnen stand Firuwahr und grinste sie an.
Talisa erlebte ein Hochgefühl, da sie ihrer Rache so nahe war. Nur zwei Männer trennten sie von Firuwahr, zwei Männer, die allem Anschein nach echte Krieger und keine Wachleute waren.
»Verdammter Feigling, stell dich!«, schrie Talisa.
Firuwahr richtete sich den Kragen und ließ seinen Pferdeschwanz und den dunkelroten Umhang im Wind wirbeln. Dann legte er eine Hand auf die Brust, streckte die andere vor und verbeugte sich, mit dem Gewicht auf dem Vorderfuß. »Ist gut«, sagte er zu seinen Männern, und sie traten beiseite. Er stellte sich an die Kante der Landebrücke und sah Talisa von oben bis unten an. Links trug er ein Florett am Gürtel, rechts baumelte das Bastardschwert.
»Es freut mich zu sehen, dass Ihr wohlauf seid. Ihr seid nicht etwa gekommen, um meiner Abreise Blumengirlanden nachzuwerfen? Vielleicht beliebt Ihr, auf der Morgensonne mitzufliegen. Auf meiner Barke ist immer genug Platz für Gäste.«
Talisa maß die Distanz