TEXT + KRITIK 231 - Thomas Meinecke. Charlotte Jaekel

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Grenze oder diesem Changieren zwischen reiner Konstruktion und einem physischen Korrelat. Das zusammenzudenken, darum ging es dort auch schon, und da setzt du jetzt wieder an?

      Ja, das hat mich nach wie vor nicht losgelassen, diese Vorstellung von einer Transsubstantiation: dass man praktisch im Symbol, im Zeichen, das Ding selber sieht. Aber man hat natürlich trotzdem ein Zeichen vor sich. Das ist ein sehr interessanter, nicht essentialistischer Gedankengang. Ich finde es spannend, dass Mediävist*innen wie Regina Töpfer, die ich letztes Jahr an der TU Braunschweig kennengelernt habe, oder Andreas Kraß Mediävistik mit Queer Studies verbinden. Oder eben meine große Heldin Caroline Walker Bynum aus den USA, die schon in meinem Roman »Tomboy« von vor mehr als 20 Jahren wegweisend war mit ihrem Buch »Fragmentation and Redemption«, in dem es auch um den Diskurs um den Verbleib der Vorhaut Jesu ging, ob sie nämlich zum Himmel aufgefahren ist oder nicht. Was sehr lustig wirkt, aber irgendwie ein wahnsinnig interessanter Punkt ist, an dem man, vielleicht zum ersten Mal, einen Diskurs über die Fragmentierung von Körpern hat, der sehr klug und sehr differenziert ist und auch mit einem Erkenntnisinteresse abläuft. Und in ihrem Buch »Jesus as Mother« hat sie Jesus als eine Figur beschrieben, die ohne jegliches Zutun von männlichen Elementen zur Welt gekommen ist; es gibt keinen biologischen Vater, Jesus ist praktisch genetisch weiblich und auch seine ganze Rolle in der Bibel, im Neuen Testament, ist eine komplett unmännlich definierte.

      Für meinen nächsten Roman hatte ich Lust, den Fokus vom Setting her mal wieder ein bisschen von der Metropole, den Hip-Zirkeln weg zu verlagern und eher mal wieder wohin zu gehen, wo man den Hebel anders ansetzen muss als nur bei aktueller Popmusik, im Nachtleben, in Clubs oder, wie in meinem letzten Roman, bei androgynen Fotomodels. So bin ich jetzt mal wieder in den Odenwald gegangen wie bei »Tomboy« schon. Dieses Mittelgebirge ist natürlich auch kein unschuldiges, da sind die Nibelungen drin herumgelaufen und da ist auch zum Beispiel das Hotel, in dem die Familie Adorno in Amorbach immer Urlaub machte, und da geht mein Roman los. Ich muss jetzt eben diesen ganzen Begriff der Materialität, auch mit Adorno und dem Marxismus, nochmal angehen, weil ich gemerkt habe, dass ich natürlich als Popist unglaublich von Benjamin geprägt bin. Ich habe immer gedacht: »Ich habe ja Walter Benjamin, der arbeitet auf eine mir sehr nahestehende Weise mit den Topoi der populären Kultur, seit er die Baudelaire’schen Texte gelesen hat.« Das »Passagenwerk« ist für mich sozusagen die Urszene der heutigen Pop-Linken. Aber zurück zu Amorbach, wo mit diesem Hotel unglaublich interessante Dinge zusammenhängen – ich recherchiere da seit Längerem herum und bin da auch öfter. Ich habe jetzt auch Freunde gefunden – junge Leute –, die mir erklären, die Dialektik bei Adorno sei nicht eine, die den Widerspruch beseitigt, sondern die sehr produktiv mit fortbestehenden Widersprüchen arbeitet.

       Ich habe auch die Erfahrung gemacht, bei meiner eigenen Adorno-Lektüre und auch in vielen Seminargesprächen, dass Adorno allein durch seinen Sprachduktus oft erstmal sehr autoritär wirkt und so der primäre Eindruck der des enorm Pessimistischen und auch tendenziell Doktrinären ist. Aber wenn man die Texte genauer ansieht, kommt da argumentativ durch das dialektische Denken einiges in Bewegung – eben als negative Dialektik, die die Widersprüche nicht in einer Synthese stillstellt. Und speziell mit Blick auf Pop-Kultur ist es ohnehin eine verkürzte Lesart zu sagen: »Der hat die nur ›gebashed‹ und dagegen feierte er die gute Hochkultur von Beethoven bis Schönberg.« Denn eigentlich betreffen die Überlegungen, die er zur Kulturindustrie anstellt, alle kulturellen Bereiche, also auch die klassische Musik oder die Zweite Wiener Schule. Klar kann dieses fortgesetzte Arbeiten mit und am Widerspruch auch manchmal irgendwie frustrierend und desillusionierend sein, aber es steckt eben auch ein intellektuelles Vergnügen darin, das Ganze immer wieder nochmal um eine Ecke zu drehen und dann nochmal zu reflektieren. So kann man Adorno natürlich auch lesen. Man muss sich nur erstmal von dieser Vorstellung verabschieden, dass er eigentlich alles, was Spaß macht, einfach nur regressiv fand, und sich durch diese apodiktisch daherkommende Sprache durchkauen.

      Wobei ich da schon vor Jahren von Silvia Bovenschen, mit der ich gut befreundet war, Anekdoten oder überhaupt Erinnerungen an Adorno, bei dem sie ja studiert hat, den sie gut kannte, der sie auch sehr mochte, gehört habe …

       … wie er sich abends launig ans Klavier setzte …

      … ja, wobei ich schon immer dachte, er ist auch ein liebenswürdiger, interessanter, widersprüchlicher Mensch gewesen. Und daher war immer schon klar, da ist vielleicht irgendwann mal was zu holen. Ich habe jetzt schon in meinem Roman schöne Stellen, wie Adorno diese »Der Schatz des Indianer-Joe«-Oper geschrieben hat und Benjamin gibt ihm zu verstehen, dass das doch ziemlicher Mist sei. – Mitten im Odenwald gibt es dann auch noch eine kleine Basilika aus der karolingischen Zeit, aus dem 9. Jahrhundert, die steht noch komplett unversehrt da. Da war ein Mönch namens Einhard, der, glaube ich, ein Günstling Karls des Großen war. Kennst du den?

       In Paderborn gibt es eine Einhardstraße, weil er als möglicher Verfasser eines Berichts über das Treffen von Karl dem Großen und Leo III. in Paderborn gilt …

      Ja, siehste mal, wir sind eben im heavy-katholischen Bereich hier … Jedenfalls hatte dieser Mönch Einhard so eine Handvoll mediokrer Körperteile von irgendwelchen Heiligen – aus irgendwelchen norditalienischen Kirchen geraubt, nicht von ihm selbst, aber von so einem Händler – und hat die in diese Basilika gelegt. Sie wurde dann wohl zum kleinen Wallfahrtsort, aber es gab keine Wunder. Dieser Einhard hat darüber einen Text geschrieben, woran es liegen könnte, dass diese Reliquien hier jetzt, in der Nähe von Michelstadt, keine Wunder vollbringen. Den gab es bisher nur auf Latein und jetzt hat ihn die Einhard-Gesellschaft auch auf Deutsch rausgegeben und ich habe mir diesen Text im Odenwald gekauft und finde das gerade ein ganz fantastisches Kernstück, anhand dessen ich mir überlegen kann: Was tun denn die Gegenstände? Einhard ist dann nämlich weitergezogen nach Seligenstadt, das auch nur deswegen so heißt, weil sie dort nämlich wirkten; ein Wunder nach dem anderen sozusagen in Seligenstadt – das liegt im Spessart, ein Mittelgebirge weiter. Diese Geschichten machen mir jetzt das Bett für das, was mich eigentlich interessiert – nämlich: Inwiefern sind denn jetzt die Dinge wieder da?

       Diese Wiederkehr der Dinge ist also ein aktuelles Interesse, andererseits interessierst du dich ja seit einiger Zeit wie in »Selbst« auch stark für Affekttheorie – hängt das für dich zusammen? Inwiefern siehst du darin einen neuen Twist gegenüber dem dekonstruktiven Feminismus, dem ja gern vorgeworfen wurde: »What about the body, Judy?« Bietet die Affekttheorie für dich auch neue Ansätze, Körperlichkeit, aber eben auch Materialität allgemein, wieder stärker mitzudenken? Also gehört das auch zu diesem ganzen Fragenkomplex, oder?

      Ich würde das auch so sehen. Dieser Fragenkomplex hat sich in meinem letzten Roman schon ganz schön ausgebreitet, in dem ich mich zum ersten Mal mit sowas wie Affekttheorie beschäftigt habe – und inwiefern man versuchen kann, damit aus den Gewaltverhältnissen, die Sexualität immer noch dominieren, vielleicht nicht auszubrechen, aber sie einfach brachliegen zu lassen. Da kommen natürlich so Begriffe rein wie ›Zärtlichkeit‹, ›nicht invasives Sexualverhalten‹ und so, vielleicht zu einer besseren Welt sich durchschlafen zu können, gleichsam. Ich weiß jetzt aber auch noch nicht ganz genau, was mit »What about the body, Judy?« eigentlich gemeint war, weil ich immer noch das Gefühl habe, dass Judith Butler natürlich total über den Körper schreibt. Nur dass sie eben die Frage stellt, woraus besteht er, was dichten wir ihm an, wie benennen wir die Dinge, warum reden wir von diesen und jenen Körperteilen auf diese und jene Weise? Und insofern ist es wieder wie oft bei der Dekonstruktion, dass nämlich die, die das nicht mögen, denken: »Hier wird uns etwas weggenommen, das gibt es jetzt gar nicht mehr.« Aber ich finde, natürlich ist der Körper völlig da – ich meine, das zweite Buch, »Bodies that Matter«, hat es schon im Titel …

       Was aber auch wiederum eine Reaktionen darauf war, wie »Gender Trouble« kritisiert worden ist, und auf diese Körper-Debatte antwortet.

      Generell finde ich eben, das bleibt wahnsinnig interessant. Was machen wir mit diesem Körper oder diesen Körpern? Woraus bestehen sie? Und ich finde, dass sich da in den letzten Jahren wieder etwas so weit voranbewegt hat, dass man da – wie ich mich auch als Chronist verstehe – wieder nachholen oder mitschreiben kann, was der neuste Stand ist, auch


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