TEXT + KRITIK 231 - Thomas Meinecke. Charlotte Jaekel

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Konzertmusik oder Igor Strawinsky, Darius Milhaud und wer auch immer. Auf jeden Fall – macht nichts, gibt es ja auch nichts zu betrauern. Ich verpasse ja auch vieles, weil ich zum Beispiel nichts mit Heavy Metal anfangen kann. Jeder hat seine Idiosynkrasien, und Adorno mochte dies und das irgendwie nicht, aber ich arbeite mich jetzt dahin, ihn auch richtig zu mögen.

       Um noch auf eine andere Aktualität zu sprechen zu kommen: Was bedeutet der Berliner Literaturpreis für dich?

      Der Berliner Literaturpreis, inklusive der damit verbundenen Gastprofessur, fiel praktisch vom Himmel, wie aber ehrlich gesagt alles, was ich jemals an Auszeichnungen gekriegt habe. Und es hat mich einfach gefreut, dass da was kommt, wo auch das Feuilleton und so weiter aufhorcht, weil man das irgendwie braucht, wenn man da draußen unterwegs ist und schreibt und liest und Bücher rausbringt. Manchmal ist es besonders toll, wie letztes Jahr diese Einladung zur Ricarda-Huch-Poetikdozentur der TU Braunschweig, die als Genderdozentur formuliert ist. Da hat mich das genauso gefreut, weil dort die Begründung so formuliert war, dass ich mich wie kaum je zuvor erkannt fühlte, in dem, was ich selber will, dass ich dann sagte: »Mit denen, die mich da einladen, will ich auch reden.« Dann sind diese Vorlesungen eben im Dialog mit der Wissenschaftshistorikerin Bettina Wahrig, der Mediävistin Regina Toepfer und der Komparatistin Carolin Bohn gehalten worden.

       Wie wirst du diese Gastprofessur-Aufgabe in Berlin lösen? Also wieder, habe ich gerade daraus verstanden, im Dialog mit anderen? Oder wird dort nicht eher eine ›richtige‹ Vorlesung erwartet? Du kannst ja eigentlich nicht »Ich als Text« 2.0 machen, oder? Was ist die Idee?

      »Ich als Text« war ja schon eine Verlegenheitslösung, nachdem ich ungefähr ein Vierteljahr daran gesessen hatte, den Leuten erklären zu wollen, was ein Pastiche oder ein Palimpsest ist, bis mir klar wurde, das wird an Unis sowieso gelehrt, das brauche ich denen ja nicht zu erklären, in Anwendung auf meine Position. Das hatte mich damals dazu bewegt, nur aus Zitaten die ganze Vorlesungsreihe aufzubauen. In Berlin ist es jetzt keine Reihe, sondern eine große Vorlesung, anderthalb Stunden, die man einmal hält, am Anfang nämlich, und dann mit den Studierenden weitermacht, in einer direkten Arbeit an ihren Texten. Wo ich übrigens wie zuletzt ganz oft – in St. Andrews zum Beispiel oder in Braunschweig und in Köln – den Ansatz ›Palimpsest‹ in der direkten Arbeit an den Texten verfolge. Dieses Überschreiben von bereits Vorhandenem, das ist dann auch bei der Praxisarbeit sozusagen zentraler Ansatz. Das entbindet auch die, die mitmachen – in Braunschweig war es zum Beispiel nicht so, dass sich da nur Leute melden durften, die selbst Ambitionen haben, schriftstellerisch tätig zu werden, sondern auch andere –, das entbindet die so ein bisschen vom Kunstzwang. Jetzt in Berlin werden sich aber nur welche bewerben, die auch wirklich den Anspruch haben, literarisch zu schreiben. Und mit der Vorlesung habe ich das Gefühl, dass Frankfurt jetzt schon so lange her ist, dass ich jetzt tatsächlich – weil es sich dann schon wieder ein bisschen abhebt von meinem damaligen Stand des Wissens oder der Erkenntnisse – für ein bis anderthalb Stunden was Kluges oder Interessantes zu bieten habe. Ich werde darüber reden, wie mir zum Beispiel eben diese Mediävistinnen und Mediävisten die ganze Zeit erklären, dass meine Art zu schreiben für sie so besonders interessant ist. Also auch inwiefern das Postmoderne und das Prämoderne da vielleicht zusammenfinden und man sich dann Gedanken darüber machen kann, was eigentlich die Moderne verändert hat und wie auch der Gedanke der Aufklärung, des Buchdrucks, der Französischen Revolution und so weiter für Frauen nicht unbedingt Vorteile gebracht hat, sondern zum Teil eben auch Einschränkungen. Und die Vorstellung von einem geschlossenen erzählenden Subjekt, die natürlich eine vom Mann ist, mit der Moderne, mit Buchdruck und Aufklärung forciert wurde, man aber davor eben ein schon eher fluides kollektives Autorensubjekt hatte.

       Wie etwa im Bereich der oralen Literatur, wo Urheberschaft ja schwerlich festzumachen ist und im Prozess des Wieder- und Weitererzählens die Texte nicht nur tradiert, sondern auch modifiziert werden.

      Oder bei handschriftlicher Abschrift und Überschreibung, genau. Was dann eben meiner Vorstellung von Schreiben entspricht, dass dann da nicht ein geschlossenes autonomes Subjekt wirkt, sondern auch das Nicht-Souveräne dieses Subjektes das Thema des Textes selbst sein kann. Das hat mich jetzt so viel mit Mediävistinnen zusammengebracht und das würde ich ganz gerne als so eine Art Nacherzählung dessen, was in den letzten Jahren geschah, präsentieren, wo ich auch in der Art, wie andere mein Schreiben einschätzen, gelernt habe, was daran vielleicht noch zu verfeinern sein könnte. Weil ich da auch ein bisschen was dazu gelernt oder anders darüber nachzudenken gelernt habe, was der Fortschritt, zum Beispiel in der Aufklärung bedeutet oder eben was der Buchdruck vielleicht auch bewirkt hat.

       Allerdings sollte man bei allen problematischen Effekten des Buchdrucks auch nicht unterschlagen, dass er andererseits natürlich ganz wichtig war etwa für eine Popularisierung von Literatur und dafür, dass überhaupt breitere Bevölkerungsschichten lesen konnten, vor allem, dass dann auch verstärkt Frauen lesen konnten. Was dann im 18. Jahrhundert ja diese große Debatte um die, aus männlicher Sicht, schädlichen Auswirkungen der weiblichen ›Lesewut‹ und damit um die Funktion des Lesens – Unterhaltung versus Bildung – und die Wertung von Literatur – gute Texte, schlechte Texte – ausgelöst hat.

      Ich wäre der Letzte, der den Buchdruck verteufeln würde. Ich finde es nur interessant, dass er überhaupt auch problematische Dinge mit sich bringen konnte … Und die Vorstellung von lesenden Frauen führte auch dazu, dass sie dadurch hysterisch würden, und die Bibliomanie ist natürlich auch ein Riesending, was wir dann auch noch im 19. Jahrhundert haben, ein Flaubert’sches Ding sozusagen …

       Klar, das setzt sich fort und diese Ausdifferenzierung vom Mann als Produzenten und der Frau als Rezipientin ist natürlich hochgradig heikel. Aber andererseits sollte man nicht unterschätzen, dass die verbesserte Zugänglichkeit von Literatur für Frauen natürlich doch auch eine tolle Möglichkeit war, Impulse zu bekommen, ihre Sphäre zu erweitern. Und auch diese Idee des Lesens als Vergnügen finde ich ganz wichtig.

      Absolut wichtig. Und dann ist es ja auch hier so wie anderswo bei den Folgen für Marginalisierte und Unterdrückte in Sachen Kunst. Wenn ich jetzt zum Beispiel den Jazz als eine Folge einer postkolonialen Unterdrückung von Afroamerikanern sehe oder Camp und Voguing als eine hoch differenzierte Kulturform, die mit der Unterdrückung schwuler Männer zusammenhängt, dann gibt es immer ja auch mit dem, was du gerade sagtest, bei Frauen so etwas – wenn sie schon selbst nicht schreiben sollten, dass sie dann aus dem Ausgeschlossensein ganz großartige Dinge wie den Briefroman entwickelten, wo wir jetzt erst merken: Das ist ja eigentlich noch viel toller als so ein oller Goethe. Nehmen wir mal »Die Günderrode«, was da alles stattfinden konnte: »Die Günderrode« ist eigentlich ein riesiges Kompendium von Werken, sowohl von Bettina von Arnim als auch von der Karoline Günderrode, und es wird gar nicht klargemacht, wer gerade spricht. Es ist wie eine Werkausgabe zwischen zwei Buchdeckeln, trägt aber den Namen der Frau, die die meisten Texte darin sozusagen ›hat‹, aufgeschrieben aber von der Autorin von Arnim. Das ist eine unglaubliche Geschichte, die erst heute als reine Tugend erzählbar ist, während das damals eine Art Notlösung war, genau wie Voguing oder Minstrelsy oder eben auch Jazz, dass man praktisch ausweicht vor Restriktionen. Dieses weibliche Schreiben hat sich ja daraus entwickelt, dass es dieses Verbot gab, und es wurde etwas, bei dem ich das Gefühl habe, erst von da, wo jetzt politisch hingedacht wurde, kann man das eigentlich als vorbildlich, wegweisend und komplett revolutionär begreifen. Bisher wurde es immer als Manko – »Ja, es sind halt nur Briefe …« – gesehen. Aber was sich da im Hubert Fichte’schen Sinne auch an Empfindlichkeiten zum Ausdruck bringen konnte, ist einfach viel interessanter als die Empfindsamkeit dieser leidenden Genies, männlichen. Für meine Begriffe jedenfalls. Und da gibt es noch so viel zu entdecken.

      Utrecht, 14.12.2019

       Beat Mazenauer

       »Weg mit dem Gehüstel der Geschichtenerzähler« Thomas Meinecke – Poetik und Werk


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