TEXT + KRITIK 231 - Thomas Meinecke. Charlotte Jaekel
–, immer auf Tagungen gastieren durfte, auf denen die meisten, die dort sind, in erster Linie von ihrer eigenen Betroffenheit reden und ich oft als jemand, der mit Jean-Luc Nancy, Butler und ähnlichen Texten ankommt, als eine Art Luxuswesen, als eine Art Philosoph dort herumsitzt.
Diese gewisse Spannung zwischen persönlicher Betroffenheit und theoretischer Reflexion ist ja eigentlich auch ganz typisch, wenn es um die ›Praxistauglichkeit‹ von Positionen, die vom dekonstruktiven Feminismus herkommen, geht. Der wurde auch historisch als eine Provokation in Richtung Second-Wave Feminism empfunden, der sehr stark auf politisches Empowerment abzielte, und von einer eher aktivistischen Seite aus steht da natürlich zu befürchten, dass die radikale Deessentialisierung und der schwache Subjektbegriff dazu führen, diesen politischen Drive aus der Bewegung zu nehmen, und es schwieriger machen, zu mobilisieren.
Das wird eben auch oft von jungen Feministinnen gesagt, Butler hätte es irgendwie überdehnt, überspannt, und Begriffe wie ›Care‹ und auch der Alltag, den der Feminismus der 1970er Jahre schon mal ganz stark im Vordergrund hatte, seien eben doch wichtiger als die eher philosophische Dekonstruktion. Aber für mich ich das gar kein Gegensatz.
Klar, muss es nicht sein, aber es ist natürlich schon schwieriger, diese Konzepte operationalisierbar oder übersetzbar zu machen in unmittelbare politische Forderungen oder Handlungsmaximen. Und deshalb glaube ich, hat das schon vielen Leuten, die eher aktivistisch unterwegs waren, das Leben schwerer gemacht.
Das hört man immer wieder, aber jetzt hat man es eben auch bei welchen, die gerade erst anfangen, unterwegs zu sein, dass sie gar keine richtige Lust haben auf diese ja doch anstrengende, kleinteilige und eben schwer in direkte politische Maximen umsetzbare Arbeit. Aber ich finde, es stimmt nicht, weil ich glaube, was sich in letzter Zeit verändert hat – auch in der generellen Wahrnehmung, in der öffentlichen, also im Common Sense geradezu –, das kommt aus diesen sprachlichen Regelungen, die sehr fummelig und kleinteilig sind. Der ganze Aufstand der bösen alten Patriarchen wehrt sich die ganze Zeit gegen Sprachregelungen, die eher aus der Dekonstruktion kommen.
Ja sicher, der Vorwurf von Political Correctness als Sprechverbot, der jetzt von Konservativen und Rechten gern gemacht wird, der kommt sicherlich deshalb, weil eben diese Sprachsensibilität so in den Alltag übergegangen ist und die gesellschaftliche Praxis verändert. Das sehen die natürlich auch, dass früher als selbstverständlich stillschweigend hingenommene sexistische und patriarchale Positionen nun zunehmend in die Ecke gedrängt werden. Darum ist auch die aktuelle Debatte um geschlechtergerechte Sprache so dermaßen hitzig und darum wird im Gegenzug ja nun um so vehementer der Anspruch formuliert, dass ›eigentliches‹ Sprechen doch wohl noch möglich sein muss – dieses ganze »Man darf doch wohl noch sagen …?«
Jetzt bin ich mal gespannt, was in diesem dicken Reader über feministischen Materialismus in der Hinsicht zu finden ist.
Ich möchte nochmal das Stichwort ›Zärtlichkeit‹ aufgreifen, das für dich in »Selbst« auch eine Rolle gespielt hat. Wir sind ja nun beide Fichte-Leser und da musste ich natürlich ganz viel an ihn denken und seine Ideen von Empfindsamkeit oder Empfindlichkeit. In seinem Schreiben sind ja auch Gewalterfahrungen ein großes Thema, sei es als ›Halbjude‹ im ›Dritten Reich‹, als uneheliches protestantisches Kind im katholischen Waisenhaus, als Schwuler oder Bisexueller in patriarchalischen Gesellschaften, wogegen er dann diese Idee der Empfindsamkeit oder Empfindlichkeit gesetzt hat. Interessiert dich das auch in diesem Zusammenhang weiter, so wie du bei »Lookalikes« auch nochmal Fichte ganz prominent gemacht hast?
Hubert Fichte kommt ja in mehreren meiner Bücher vor. In »Lookalikes« deswegen ganz besonders stark, weil er in Salvador da Bahia – wohin ich, während ich den Roman schrieb, eingeladen wurde – praktisch zwei Romane verfasst hatte, oder anderthalb könnte man auch sagen, dafür ist der eine 800 Seiten dick … Ein ganz schön fetter, hässlicher, schwarzer Block in der Bücherwand, diese schwarzgebundenen Bände, aber natürlich eines der großartigsten Unterfangen in der Literatur, die ich kenne, diese riesige »Geschichte der Empfindlichkeit«. Und darauf komme ich gerne immer wieder zurück, er ist auch für mich einer der ersten – wie ich es ja immer so gerne fasse – ozeanischen Schreiber.
Er nennt die »Geschichte der Empfindlichkeit« ja auch ›roman fleuve‹ – ein fließender Roman, der dann all diese verschiedenen Textsorten, all diese verschiedenen Themen, die Personen, Zeitebenen, Orte miteinander verquirlt und dann wieder auseinanderlaufen lässt.
Von daher ist er für mich ein wirklicher Vorreiter dessen, wo man jetzt eben hindenken kann – nicht nur über Affekttheorie, sondern generell mit den ganzen neuen Vorstellungen von so Dingen wie Transgender. Dass es nicht mehr darauf hinauslaufen muss, mit dem Begriff ›trans‹ zu verbinden, dass ein Essentielles durch das nächste oder andere Essentielle ausgetauscht wird, indem man sagt: »Jetzt bin ich ein Mann.« oder »Jetzt bin ich eine Frau.« Sondern dass das Dazwischen der Dinge, der Fluss, das Fließen, das Non-Binäre in den Fokus gerückt wird, weil eben die beiden Pole praktisch nicht mehr als essentiell gesetzt da sind, nur noch wie Magnetpole wirken, als ein Kräfteverhältnisse bewegendes Etwas. Da wird ja doch, finde ich, gerade wohin gedacht – »Wo denken Sie hin?« – und auch gesellschaftlich schon etwas praktiziert, was ich als Verbesserung empfinde. Wo eben das Flüssige, das Fluide, das Weiche, das Zärtliche eine große Rolle spielt. Fichte ist natürlich noch auf eine bestimmte Weise von seiner Generation und von der Zeit, in der er das geschrieben hat, her auf eine verrückte Weise, auf eine schwule Weise im gewissen Sinne machistisch. Und Sexualität ist teilweise immer noch so ein merkwürdiges Leistungsprinzip.
Das sind ja manchmal fast rockistische Momente bei Fichte, wenn es um dieses »So und so viele heute Nacht an der Klappe getroffen …« geht, aber das steht dann auch wieder neben diesen anderen Sachen, die genau das auflösen.
Es ist natürlich auch im Schwulendiskurs vieles machistisch, aber dann auch auf eine interessante Art – ›gebrochen‹ ist das falsche Wort, eher weich und nicht böse vielleicht. Also darüber kann man noch lange nachdenken. Da tut sich was. Ich brauche mir eigentlich nie Gedanken zu machen oder Sorgen, dass es nicht interessant bleibt, weil ich gar keine Lust hätte, selbst vorauszudenken. Ich finde es deswegen toll, weil ständig irgendwelche Produkte kommen: Bücher, Schallplatten, vielleicht auch nur der Sound der Bässe, der plötzlich ›glitcht‹ und nicht mehr fassbar ist. Die digitalen Glitches sind auch ein interessantes neues Phänomen, weil man sich das landläufig so vorstellt, dass im Digitalen zwischen Nullen und Einsen nicht viel passiert, weil es praktisch ›entweder / oder‹ ist. In dieser Binarität gibt es auch Dinge, Verzerrungen und Glitches, die ich wahnsinnig spannend finde und worüber ich mir auf allen Sektoren – auch der Musik – Gedanken machen kann. Und es gibt eigentlich immer das musikalische Äquivalent zu dem, wo gerade auch die Avantgarde, die ich jedenfalls als eine akzeptiere oder annehme, hindenkt. Das war ja eben schon bei Judith Butler so, dass es für mich mit Minimal Techno zusammenfiel, und jetzt haben wir so was in der Bassmusik – wir leben in einer Basskultur …
Du meinst Post-Dubstep, Footwork und so?
Zum Beispiel, ja. Der Bass spielt da eine andere Rolle, der steht manchmal als Cluster da oder glitcht irgendwo in so subsonische Bereiche ab, wo man merkt: Das ist auch irgendwie schön, dass er in so einer Art befreitem Taumel ist. Relativ unwichtig, aber sehr schön, und da sind wir auch wieder bei Adorno. Schade, dass er das nicht hören konnte, dass Adorno nicht merken konnte, was die Bebopper machen. Es ist so schade, weil es auch in seinem Sinne eine Dislocation gewesen wäre, eine auf jeden Fall progressivere Bewegung, als sich noch weiterhin mit der Zweiten Wiener Schule zu beschäftigen.
Jazz war für ihn ja eigentlich nur Big Band Swing …
Ich habe mal eine ganze Radiosendung gemacht, in der ich diesen Vortrag Adornos über Jazz – und wie schlimm das alles sei –, mit Jazzstücken durchsetzt habe, die ihm womöglich gefallen hätten. Ich habe zum Beispiel Thelonious Monk gespielt als etwas, wofür er schon einen Sinn hätte haben können. Aber das stimmt dann eben trotzdem nicht, weil auch – nein, Swing vielleicht eben nicht, aber auch das, was vor Swing gewesen war,