Emmanuel Macron. Joseph de Weck

Emmanuel Macron - Joseph de Weck


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laizistischen Republik sei, so Macron. An den öffentlichen Schulen baut Macron den Arabischunterricht aus. Er anerkennt, dass man als weißer Mann privilegiert ist,7 und lädt eine Truppe schwarzer Transsexueller für eine Performance in den Élysée-Palast. Neben der in Netz-Shirts gekleideten Tanztruppe lässt er sich knabenhaft grinsend ablichten.

      Mit Emmanuel Macron sitzt zum ersten Mal seit François Mitterrand ein Intellektueller im Élysée. Keine grundsätzliche politische Entscheidung, ohne dass er sie argumentativ in seinem philosophischen Koordinatensystem unterzubringen versucht, und sei es auf Kosten der Kohärenz. Keine Rede ohne Schriftstellerzitat, ohne Verweise auf die antike Mythologie, die auch dem Bildungsbürger erst nach Wikipedia-Konsultation präsent sind. In einer Fernsehansprache zu Beginn der Pandemie forderte er die Französinnen und Franzosen auf, die freie Zeit mit Lesen zu verbringen.

      Gleichzeitig hält Macron Distanz zum Tout Paris, denn diese Groß-stadt-Schickeria erscheint ihm linkskonformistisch und zynisch. Mitterrand charmierte die Presse und die Intellektuellen, die ihn verehrten. Macron zeigt den französischen Leitmedien und der Pariser Intelligenzija die kalte Schulter. Selten gibt er Interviews und wenn, dann mit Vorliebe internationalen, regionalen und sozialen Medien, was ihm den Vorwurf einträgt, er entziehe sich Frankreichs «vierter» Gewalt.

      Ein Monsieur normal, wie Hollande sich zu vermarkten suchte, ist Macron schon gar nicht. Der Wahlmonarch umgibt sich zwar mit Insignien der Populärkultur, aber rasch wirkt es peinlich, so wenn er sich das T-Shirt seines Lieblingsfußballklubs Olympique Marseille überzieht. Nach dem Tod der allseits geliebten, aber nicht gerade subtilen Rocklegende Johnny Hallyday sagte Macron: «Wir haben alle ein Stück Johnny in uns» (der bekennende Hallyday-Fan ließ in seiner Loge vor Wahlkampfmeetings das Lied Gabrielle laufen, in dem der Sänger sich von den Ketten einer ungesunden Liebesbeziehung freischreit). Doch in bewusster Abgrenzung zu Hollande erklärte Macron bei seinem Amtsantritt, er werde ein «jupiterhafter Präsident» sein.8 Er möchte über dem politischen Klein-Klein schweben als Jupiter, der römische Gott der Götter. Das «normale Leben» liebt er sowieso nicht, wie er unumwunden zugibt.

      Und im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist Macron kein Frauenheld. Er flirtet zwar mit jeder und jedem, die ihm über den Weg laufen. Ein Händedruck hier, ein Augenzwinkern da. Macron ist physisch, im permanenten Charmeur-Modus. Der Schriftsteller Emmanuel Carrère berichtete nach einer gemeinsamen Reise, Macron sei im direkten Kontakt so gewinnend, dass er gar einen Stuhl verführen könnte.9

      Aber der Mann, der davon besessen scheint, alle mit seiner Intelligenz und seinem Charme einzunehmen, macht keine abendlichen Spritztouren mit dem Motorroller zur Geliebten wie Hollande. Er heiratet nicht drei Mal wie Sarkozy. Er hat keine geheime Zweitfrau und Zweitfamilie wie ehedem Mitterrand. Macron hat eine 24 Jahre ältere Frau geheiratet, die bereits dreifache Mutter war. Und dann doch wieder ganz konventionell Macrons Nachnamen annahm.

      Kurz: Emmanuel Macron entspricht keinem der Bilder eines Präsidenten der Fünften Republik, das die Franzosen kennen. Schwierig festzumachen — und genau deshalb unverkennbar? Oder muss man das Rad der Geschichte weiter zurückdrehen? Napoleon kam aus dem Nichts und war nur 30 Jahre alt, als er zum Ersten Konsul avancierte, politisch schwer einzuordnen, autoritär und ein Meister der Macht-Inszenierung. So wie Macron?

       DIE ROMANFIGUR

      Die Stationen seines Lebens sind bekannt. Sie unterscheiden sich zunächst nicht grundsätzlich von denen eines jeden ehrgeizigen Politikers in Frankreich.

      Die Kindheit verbringt Emmanuel Macron in der deindustrialisierten Provinzstadt Amiens im Norden des Landes: ein bildungsbürgerliches Elternhaus; das Studium an Eliteuniversitäten, gefolgt von einer Beamtenblitzkarriere. Dann der Eroberungsfeldzug: die stetige Annäherung ans Zentrum der politischen Macht. Zuerst als Mappenträger und Ideengeber wichtiger Regierungsberater. Dann der Abstecher in die Privatwirtschaft zwecks Füllens der Schatulle, um sich später die Durststrecken im Leben eines Politikers leisten zu können. Schließlich vor einer Präsidentschaftswahl — die das politische Leben Frankreichs für jeweils fünf Jahre bestimmt — die obligate Wette: Emmanuel Macron unterstützt die Bewerbung François Hollandes als Spitzenkandidat der Parti Socialiste (PS). Dies noch ehe der eigentlich für eine gemeinsame Kandidatur der linken Kräfte gesetzte Dominique Strauss-Kahn sich im Mai 2011 zurückziehen muss (der damalige Direktor des Internationalen Währungsfonds wird in New York aufgrund von Vergewaltigungsvorwürfen verhaftet).

      Macron bleibt das Glück hold: 2012 setzt sich Hollande, der anstelle von Strauss-Kahn antritt, knapp gegen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy durch. Der Mittdreißiger Macron wird Hollandes stellvertretender Generalsekretär und Berater für Wirtschaftsfragen. Als Hollande 2014 zum vierten Mal die Regierung umbildet, folgt die Ernennung zum Wirtschaftsminister: Macron tritt ins Rampenlicht und inszeniert sich als liberaler Querdenker und unerschrockener Minister der Tat.

      Durch kalkulierte Tabubrüche (wenn er beispielsweise Frankreichs Jugendliche dazu aufruft, sie sollten davon träumen, Milliardäre zu werden) bringt er sich selbst in die Schlagzeilen, die linke Regierungspartei in Rage und den Staatspräsidenten in Verlegenheit. Im August 2016 begeht er schließlich den Verrat an seinem Förderer Hollande. Macron verlässt die Regierung und kündigt im November an, bei den Präsidentschaftswahlen 2017 antreten zu wollen.

      Und doch ist Macron eine singuläre Gestalt auf der französischen Bühne. Nicht nur, dass er eigentlich unerlässliche Etappen im Werdegang eines klassischen Politikers überspringt. Die Präsidentschaft ist Macrons erster Wahlsieg überhaupt. Lokalpolitiker, Bürgermeister, Abgeordneter und schließlich vielleicht Minister: Für die Ochsentour hatte der ehrgeizige Einzelgänger, der nur kurz, von 2006 bis 2009, Parteimitglied der Sozialisten war, offensichtlich keine Zeit übrig. Macron schafft den Senkrechtstart, indem er sich quer zur etablierten Parteienlandschaft und zum politischen System legt.

      Macrons politische und persönliche Lebensgeschichte fällt aus der Reihe. Der Schriftsteller Philippe Besson sieht ihn als «Romanfigur».10 Macrons Selbstbeschreibung: «In Wirklichkeit bin ich nur Ausfluss der Vorliebe des französischen Volks für das Romaneske.»11

       DER GRENZGÄNGER

      In der Tat böte Macrons Leben Stoff für eine rasante Erzählung in der Kategorie «stranger than fiction», zuzüglich einer Prise Heldenepos. Hinzu kommen Romantik, überraschende Wendungen — und viel Spannung. Dies nicht nur, weil der Ausgang offenbleibt.

      Die Erfahrung aus der jüngsten Geschichte lehrt uns: Reformer aus der politischen Mitte haben immer mal Populisten den Weg geebnet. Donald J. Trump folgte auf den übervorsichtigen Barack Obama, das Tandem der Links- und Rechtspopulisten Luigi Di Maio und Matteo Salvini auf den selbsternannten zentristischen «Bulldozer» Matteo Renzi. Wird sich die Geschichte wiederholen und Macron als tragischer Verlierer die Stufen des Élysée-Palasts ein letztes Mal herabschreiten und seiner Nachfolgerin, der rechtsnationalistischen Marine Le Pen, die Hand schütteln müssen?

      Auf jeden Fall hat Frankreichs jüngster Staatspräsident der Geschichte zwei Qualitäten eines typischen Romanhelden. Erstens glaubt Macron, seines Glückes Schmied zu sein, Autor der eigenen Lebensgeschichte. «Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich immer diesen Willen: Selbst mein Leben zu wählen und zu bestimmen»,12 schreibt Macron 2016 in seiner Kampagnenschrift Révolution.

      Als Fünfjähriger will er von seinem Elternhaus zur Großmutter ziehen. Mit zwölf Jahren beschließt der in einer nicht-religiösen Familie aufgewachsene Macron, sich taufen zu lassen. Mit 16 Jahren verliebt sich der Teenager in Brigitte Auzière, eine Französischlehrerin an seinem Gymnasium. Mit 38 Jahren entscheidet er sich ohne Rückendeckung einer Partei, für das höchste Amt der Republik zu kandidieren. Und seiner neuen Ich-Partei En Marche! gibt er die Initialen seines Namens.

      Macron entscheidet, wen er liebt, wem er dient, was er tut. Er ist autonom, sein Wille ist ihm Gesetz — das imponiert den Franzosen. Ob Jacques Chirac über die Metro-Schranke


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