Mit intelligenten Kindern intelligent umgehen. Christa Rüssmann-Stöhr
zuhause berichten müssen. Geben Sie Ihrem Kind Gelegenheit, sich zu verabschieden. Möglicherweise hat es sich sehr wohl und richtig verstanden gefühlt. Das sollte in guter Erinnerung bleiben.
GEEIGNETE TESTVERFAHREN
Für die Diagnose von Intelligenzaspekten stehen viele ganz unterschiedlich konstruierte Testverfahren zur Verfügung. Welches davon ist nun zu empfehlen?
Es geht nicht allein darum, „irgendwie“ eine Zahl, sprich IQ, zu ermitteln. Vielmehr will man eine faire und breite, eine objektive und zuverlässige Basis für Beratung, Förderung und Problemlösung erhalten. Unter dieser Maßgabe muss ein Testverfahren folgende Anforderungen erfüllen:
1. Der Test erlaubt eine möglichst breite Erfassung des allgemeinen Begabungspotenzials. Er beschränkt sich nicht auf einen einzigen Begabungsfaktor wie z.B. mathematisch-analytisches Denken. Eine Analogie zu „sportlicher Begabung“ soll die Notwendigkeit einer möglichst breit angelegten Diagnostik verdeutlichen: Es reicht nicht aus, nur eine Disziplin, z.B. einen 100meter-Lauf anzusetzen. Es sollte schon ein Zehnkampf sein. Und selbst dann bin ich nur im Bereich Leichtathletik schlauer. Über Turnen, Schwimmen, Kampfsport, Mannschaftsportarten liegen noch keine Erkenntnisse vor. Ähnliches gilt für musikalische oder künstlerische Begabung.
2. Der Test ermittelt nicht nur einen einzigen Durchschnittswert, sondern erlaubt eine Profilauswertung. Er macht Aussagen über die individuelle Begabungsstruktur des jeweiligen Kindes.
3. Die Testaufgaben sind schwer genug, damit im oberen Begabungsbereich differenzierte Ergebnisse erzielt werden. Der Test ist also nicht auf Minderbegabung oder Lernbehinderung zugeschnitten.
4. Der Test wird als Einzeltest durchgeführt, in Form eines (standardisierten) Gesprächs zwischen Testdurchführer und Kind. Nur so können „abwegige“ Antworten des Kindes hinterfragt und das Verhalten des Kindes beobachtet werden.
5. Der Test ist aktuell bezüglich DIN-Norm 33430, also in seiner Aufgabenstruktur und seinen Vergleichsnormen nicht überaltert.
Aus Kundensicht sollte ein weiteres Kriterium dazu genommen werden: Die Ergebnisse sind so aufbereitet und dargestellt, dass sie unmittelbar plausibel und nachvollziehbar sind.
Danach kommen für den deutschsprachigen Raum nur wenige Verfahren in Betracht.
Testverfahren im Überblick
Die folgenden Tests können wir für die Testung von möglicherweise besonders begabten Kindern empfehlen – angelehnt an die Liste des Arbeitskreises Hochbegabte/Potenziale im Berufsverband Deutscher Psychologen e.V.
WPPSI-IV
Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence
vor 2009 unter dem Namen HAWIVA-III
(Hannover-Wechsler-Intelligenztest für das Vorschulalter)
• Erscheinungsjahr: 2018
• Altersbereich: 2/6 bis 7/7 Jahre/Monate
WISC-V
Wechsler Intelligence Scale for Children
bis 2011 besser bekannt unter dem Namen HAWIK-IV
(Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder)
• Neu bearbeitet: 2017
• Altersbereich: 6/0 bis 16/11 Jahre/Monate
AID 3
Adaptives Intelligenzdiagnostikum
• Neu bearbeitet 2014
• Altersbereich: 6/0 bis 15/11 Jahre/Monate
MHBT
Münchner Hochbegabungstest
• Erscheinungsjahr: 2007
• Altersbereich: Klassen 1 bis 12
BIS-HB
Berliner Intelligenzstrukturtest für Hochbegabung
• Erscheinungsjahr: 2006
• Altersbereich 12 bis 16 Jahre
IST 2000 R
Intelligenzstrukturtest
• Überarbeitung: 2007
• Altersbereich: 15 bis 60 Jahre
WAIS-IV
Wechsler Adult Intelligence Scale, ehemals HAWIE oder WIE
• Überarbeitung: 2012
• Altersbereich: ab 16 Jahre
SUBOPTIMALE VERFAHREN
Zahlreiche weitere Testverfahren werden außerdem eingesetzt, sind aber aus unterschiedlichen Gründen für unsere Zielgruppe weniger geeignet.
• Beispielsweise der eher für Lernbehinderte geeignete Kaufman-ABC.
• Oder das sprachfreie Verfahren CFT 20-R, das zwar in der Durchführung sehr einfach ist, aber kaum eine Profilinterpretation zulässt.
• Oder die Raven-Matrizen, die zwar sprachfrei, einfach und kurz sind, aber nur das rational-logische Denken erfassen.
• Oder der PSB-R 6-13, der sich weniger am Begabungspotenzial als an Schulleistungen und Lehrerurteilen orientiert.
• Oder der SON-R 21/2-7 aus dem Jahre 2007, der für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen oder Hörbeeinträchtigungen geeignet ist, sowie für Kinder, die die deutsche Sprache nicht beherrschen.
NACHTEILE DURCH MIGRATIONSHINTERGRUND?
Apropos Sprachbeherrschung: Experten behaupten, dass Kinder mit Migrationshintergrund durch die bei uns üblichen Testverfahren von vorneherein benachteiligt seien. Durch die Abhängigkeit der Test(-Aufgaben) von unserer Kultur und von der deutschen Sprache sei es nicht verwunderlich, dass so viele Begabungen von Kindern mit ausländischen Wurzeln leider unentdeckt blieben und diese deshalb auch nicht entsprechend gefördert würden.
Selbstverständlich ist die Beherrschung der deutschen Sprache eine Voraussetzung für gutes Abschneiden in einer sprachabhängigen Begabungstestbatterie. Doch es gibt Tests bzw. Testteile, die – da sprach- und/oder kulturfrei – sehr wohl zur Diagnose kognitiver Begabungen geeignet sind. Ein erfahrener Diagnostiker wird, auf den Einzelfall zugeschnitten, die entsprechenden Bausteine zusammenstellen. Es bieten sich an: BIVA, K-ABC, CFT 20-R, CPM, APM, KFT. Der AID 2-2 liegt z.B. in türkischer Sprache vor und wurde an türkischen Migrantenkindern geeicht.
Übrigens: Der WISC stammt ursprünglich aus dem Amerikanischen, der AID wurde speziell für den deutschsprachigen Raum entwickelt. Beide Verfahren sind an über 2000 deutschsprachigen Kindern geeicht worden.
INTELLIGENZMESSUNG DURCH AID 3 BZW. WISC-V
Zwei der empfohlenen Testverfahren werden hier näher beschrieben. Eltern und Erziehern soll verdeutlicht werden, was genau ein Intelligenztest misst und welche Aussagen aufgrund der Ergebnisse möglich sind.
Pro: individuelles Gespräch mit Verhaltensbeobachtung
Beide Tests laufen als Gespräch (als „Frage- und Antwortspiel“, als „Quiz“) zwischen Kind und Psychologen ab und können nur als Einzeltest durchgeführt werden.
Ein Einzeltest, sprich: eine individuelle Diagnostik, ist einem Gruppentest immer vorzuziehen. Es ist belegt, dass bis zu 50 Prozent der Hochbegabten nicht erkannt werden, wenn ausschließlich Gruppentestverfahren zum Einsatz kommen.
Besonders mit jüngeren (Vorschul-)Kindern sollte