Die Zecke auf Abwegen. Bernd Wieland

Die Zecke auf Abwegen - Bernd Wieland


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Schminke, kommen Sie doch mal nach vorne. Ich weiß, dass Sie da hinten sind.”

      „Los!”, trieb mich Britta an. „Du bist gemeint.”

      „Ich verstehe doch gar nichts von diesem Plunder”, raunte ich ihr zu.

      „Kannst dich ja reinlesen!”

      So war es immer bei uns. Wenn es unangenehm wurde, musste ich mich „reinlesen”. Unsanft wurde ich ins Wohnzimmer geschoben. Herr Speer legte seinen Arm um mich: „Herr Schminke ist Finanzbeamter. Der weiß, wie man den Leuten das Geld aus der Tasche zieht.”

      „Aber ich verstehe doch gar nichts von Säbeln und diesem ganzen Kram!”

      „Verstehen Sie die Steuergesetze?”

      Ich schwieg eisern.

      „Na, also! Kann man gar nicht. Alles Schwachsinn! Deshalb sind Sie für uns auch der richtige Mann.”

      Wieder johlten und klatschten alle.

      Herr Speer beendete die Sitzung und wies Diakon Mollenhauer an, die Sammlung sicherzustellen.

      6. Britta muckt auf

      Wieder in der Wohnung, schenkte ich uns auf den Schreck einen doppelten Ouzo ein. Ich wollte den Fernseher einschalten, mich einfach nur berieseln lassen, doch unerwartet nahm mir Britta die Fernbedienung aus der Hand und schaute mich ernst an. „Hartmut, mir ist jetzt Einiges klar geworden.”

      Brittas Erleuchtungen waren nie ungefährlich. Ich tat jetzt gut daran, zumindest einen interessierten Blick aufzusetzen.

      „Hartmut, wir verkaufen die Wohnung – und zwar bevor dieser klinisch tote Verwalter sich noch mehr Dummheiten einfallen lässt.”

      Entsetzt starrte ich Britta an. „Und was hast du dir dann stattdessen vorgestellt?” Ich hatte im Amt schon genug Stress, da brauchte ich privat nicht auch noch Veränderungen. Britta hatte nicht im Entferntesten eine Vorstellung, welche Bürde ich als Teamfürst zu tragen hatte. Vor allen Dingen, wenn einem nur eine Mannschaft von angeschossenen Indianern vom Typ Goller oder Stöhr zur Verfügung standen.

      Britta setzte sich aufrecht hin. Sie überragte mich jetzt um mehr als einen Kopf. „Wir bauen ein Haus. Und zwar schlüsselfertig.”

      Eindeutig: Sie war wieder verrückt geworden. Ich hätte doch lieber bis an mein Lebensende bei Papa und Mama wohnen bleiben sollen. Als ich Mama davon erzählt hatte, dass ich Britta heiraten wollte, hatte sie nur gesagt „Junge, du weißt, dein Zimmer wird dir immer bleiben! Und denk dran, wie teuer das Leben da draußen ist!” Eine Woche vor der standesamtlichen Trauung war ich direkt von Mama und Papa in Brittas Wohnung gezogen. Am Tag meines Umzugs heulten beide wie die Schlosshunde.

      Ich musste Zeit gewinnen: „Keine schlechte Idee, Britta, wir bauen ein Haus. In zehn Jahren müssten wir mit dem Imbiss …”

      „Das ist der zweite Punkt”, unterbrach mich Britta. „Hartmut, ich will auch nie wieder in meinem Leben hinter dem Tresen einer stinkenden Frittenbude stehen!”

      Und an dem entschlossenem Funkeln in ihren Augen konnte ich erkennen, dass das ihr letztes Wort war. Auch das noch.

      Meine Idee vor einigen Jahren, einen Imbiss auf Brittas Namen zu eröffnen, hatte uns vor dem sicheren Ruin gerettet. Um ein Haar wäre sonst unsere Wohnung versteigert worden.

      Mama hatte Recht: Britta war ein verwöhntes, undankbares Luxusweibchen. Wer stand denn die meiste Zeit hinter dem Tresen der Frittenschmiede? Unsere Angestellte Mandy und Brittas fette Cousine Karin. Ich gebe zu: auf Karin war nicht sonderlich Verlass. Aber es war ohnehin nur noch eine Frage der Zeit, bis Karin nicht mehr durch die schmale Tür vom Imbisswagen passen würde. Britta stand eigentlich nur noch zur Rushhour und am Wochenende im Imbiss. Natürlich war das zu spüren. Durch die höheren Personalkosten war der Gewinn ganz schön in den Keller gegangen.

      „Mandy ist doch schon seit langem scharf darauf, den Imbiss zu übernehmen”, sagte Britta. „In jedem Fall können wir vom Gewinn, den der Verkauf abwirft, das Grundstück bezahlen.”

      „Und wie willst du die Restsumme von deinem Häuschen finanzieren? Glaub nicht, dass wir für die Eigentumswohnung viel bekommen. Seit der Krise sind die Preise total im Keller.”

      „Natürlich mit unserem kleinen Depot in der Schweiz. Das müsste sogar ausreichen, um Griechenland aufzukaufen.”

      Wenigstens das Schwarzgeld aus dem Imbiss hatte ich vor Brittas Streifzügen durch die Boutiquen und Schuhläden retten können. Und vor allen Dingen vor Betriebsprüfer Glockemüller, der die Frittenschmiede um ein Haar totgeprüft hätte. Noch Wochen nach der Prüfung rechnete ich immer, wenn es auf 10:00 Uhr zuging, mit einem Hausbesuch der Steuerfahndung.

      Britta hatte ja Recht. Warum das Geld nicht in ein Häuschen investieren. So langsam hatten wir uns aus der Schusslinie der Steuerfahndung gebracht. Und wenn der Imbiss erst einmal auf Mandy überschrieben wäre, wären wir ohnehin raus aus der Nummer. Mir brannte es ja auch schon unter den Nägeln, mir ein anderes Autozu kaufen. Der alte „Strich Achter” löste sich langsam in seine Bestandteile auf.

      „Gut Britta, wenn ich am Dienstag ins Amt fahre, spreche ich in der Mittagspause mit Mandy. Und was willst du stattdessen machen? Hausmütterchen spielen – oder noch einen Wurf Kinder ausbrüten?”

      „Quatsch! Ich werde mich um die Pläne für unser Haus kümmern. Und anschließend mache ich endlich mein Studium fertig.”

      Wenn Außenstehende Britta auf ihre Arbeit als Imbisshummel ansprachen, betonte sie immer, sie studiere hauptberuflich Psychologie und Freizeitpädaogik. Mittlerweile hatte ich aufgehört, die Semester zu zählen. Konnte das Zweiunddreißigste sein, würde mich aber auch nicht wundern, wenn es das Sechsundvierzigste war. Zuletzt hatte sie wieder eine Auszeit genommen, weil sie im Kindergarten zur Elternvertreterin gewählt worden war.

      Gleich am nächsten Morgen saß Britta vor dem PC und lud sich Grundrisse von ihren Traumhäusern herunter. Enthusiastisch hielt sie mir den Entwurf einer Villa mit Schwimmbad vor die Nase.

      „Genauso habe ich mir unser Haus vorgestellt, vielleicht ein bisschen größer und nicht ganz so schlicht.”

      Irgendwo im Kleingedruckten las ich: ab 759.000 Euro.

      Britta schob beleidigt ab: „Erbsenzähler! Ab jetzt plane ich alleine. Macht mit dir überhaupt keinen Spaß!”

      Mich quälten ganz andere Sorgen: Bis zum 30.12. mussten noch mindestens 50 Steuererklärungen bearbeitet werden. Ich bekniete Britta, mir zu helfen.

      „Du musst nur die Belege eintüten und hinter jede Kennziffer in der Steuererklärung einen Haken setzen.” Außerdem drückte ich ihr meinen Lieblingsstempel „Geprüft, keine Beanstandungen” in die Hand und forderte sie auf, davon reichlich Gebrauch zu machen.

      Britta war eine miserable Sachbearbeiterin: Sie stellte zu viele Fragen. „Hartmut, hier hat eine Bankangestellte auf der Anlage Neinen Nettoarbeitslohn von 39.456 Euro erklärt. Lohnsteuerabzug 23.755 Euro. So viel Lohnsteuer – kann das überhaupt sein?”

      „Was glaubst du denn, was passiert, wenn die Progression erstmal zuschlägt! Dann geht der Steuersatz ab wie ’ne Rakete.”

      „Was ist denn Progression?”

      Es war ein Jammer. Selbst die einfachsten Grundkenntnisse fehlten Britta.

      „Ich will es mal plastisch erklären. Nehmen wir an, du bist eine gut verdienende Friseurin mit einem jährlichem zu versteuernden Einkommen von 13.469 Euro. Dann beträgt die Einkommensteuer (912,17 · y + 1.400) · y. Unterstellen wir weiter: du erhältst in dem betreffendem Jahr einen Euro Trinkgeld.”

      „Einen Euro Trinkgeld – in einem Jahr! Was ist denn das für ein idiotisches Beispiel?”

      „Beispiele können im Steuerrecht gar nicht idiotisch genug sein. Also: Du erhältst einen Euro Trinkgeld. Dann erhöht sich dein zu versteuerndes Einkommen auf 13.470


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