Schmäh. Edwin Baumgartner
Sie in meiner Abteilung der beste Schmähtandler sind.“
Und ich hatte mich bisher für einen völlig seriösen Kulturjournalisten gehalten. Schlimmer: Ich hatte geglaubt, auch die anderen würden mich dafür halten. Dabei war ich – ein Schmähtandler. Irgendwie muss da was dran sein an der Jungfrau, dem Kind, dem Schmäh und mir.
Schmähohne.
INTERMEZZO: AUF DEM GANG IM STIEGENHAUS
Auf dem Gang im Stiegenhaus an der der Stelle, wo früher die Bassena4 war.
- Ham s scho ghört von Hean Watzek?
- Wos denn?
- No, von eam und da Schwesta Eani.
- Naa. Sogn s jo net …
- Doch.
- Na sowas. Deaf s denn des iwahaupt?
- Sowieso. Sie is ja ka Schwesta net.
- Ah, net?
- Doo, owa hoed ka Schwesta net, oiso ka richtige. A Kraunkenschwesta is in AKH5, owa ka Schwesta, oeso ka Geistliche, vastengan s mi? Sie deaf.
Von unten ertönt eine Männerstimme: Aufzug bitte!
- Des is a eh, da Hea Watzek.
- Woens net de Aufzugtia zuamochn?
- Naa, I foa jo glei weida! I muaß eana des nua dazöön.
- Daun gschwind, Frau Schuller, sunst wiad a grantich. No, sogn s: Wean s heiradn? I maan, is ea scho gschiedn?
- Ah, gschiedn is ea do scho laung. Sie is ledig, hod a ma dazööt. Owa ob s glei heiradn? Wea waaß …
- Miassen s jo a net. I vasteh nua net … I maan, sie is a fesche Beason, und ea … Wüvü is sie jinga?
Von unten ertönt abermals die Männerstimme: Aufzug bitte!
- (laut nach unten gerichtet:) Kummt glei! Wo woa ma?
- Wüvü sie jinga is. Wos wiadn Sie schätzn?
- Zehn Joa.
- Mea. Zwanzg!
- Naa, sicha net. Sie schaut nua so jung aus. Die is guat heagricht. Goa so jung is die nimma. A guade Paatie is jedenfoes.
- Oes Kraunknschwesta?
- Eanare Ötan san gstopft wia de Ganseln, da Vota Primaa in ana Privatglinich, und sie is des anziche Kind. Zumindest hod ea mia des so gsogt.
- Schmähohne?
- Schmähohne.
In diesem Moment erscheint Herr Watzek schnaufend auf der Stiege.
- Griaß Sie, Hea Watzek!
- Grüß Gott, Frau Schuller, griaß Sie, Herr Kocourek. Da Aufzug …
- Net bees sein, Hea Watzek. Mia haum nua wos zu dischkutian ghobt, da Hea Kocourek und I.
- Am End die Gschicht von Herrn Professor Waiglein, wissen S eh, den Neuen aus m ersten Stock.
- Ah, wos wissen denn Sie do, Hea Watzek?
- Ich bitte Sie, Herr Kocourek, de Gschicht mit dem gstohlenen Mantel? Sogoa a Anzeige hod a gmacht. Und dann taucht da Mantl auf einmal bei da Frau Lidl auf.
- Schmähohne?
- Schmähohne, Frau Schuller.
- Wissen s am End de gaunze Gschicht?
In diesem Moment ertönt von unten eine Frauenstimme: Aufzug bitte!
- Jo, glei!
- Jössas, des is de Steputat, die hod s wieda amoe gnedich. Gschwind, sunst wiads grantich.
- Oeso, des woa r a so …
WAS DER SCHMÄH IST
Das muss ich Ihnen jetzt erzählen:
Jetzt wollen Sie von mir wissen, was der Schmäh ist? So quasi als Definition? Ich sag’ Ihnen gleich: Das ist aussichtslos. Das kann ich Ihnen nicht in fünf Worten sagen, und in einem schon gar nicht. Das kann ich Ihnen nur erzählen. Erzählen ist sowieso der halbe Schmäh. Um einen ganzen daraus zu machen, braucht es nichts als Schmäh. Warten Sie einen Moment (nua net hudln), Sie werden gleich verstehen, was ich meine. Die Sache ist die: Es gibt keine Definition für Schmäh, zumindest keine zutreffende, keine, die sozusagen allschmähumfassend wäre, die alles beinhaltet, was der Wiener unter Schmäh versteht. Die meisten, die sich an einer Definition versuchen, gehen über den Umweg zu erklären, was der Schmäh nicht ist. Da liest man dann in der Regel, der Schmäh sei kein Witz.
Jo, eh.
Weil der Schmäh ab und zu schon ein Witz auch sein kann. Aber eben nur „auch“ und eigentlich fast nie. Dem Witz geht es um die Pointe, dem Schmäh ums G’schichterl. Nicht um eine Geschichte, eine Geschichte ist für den Schmäh viel zu groß und viel zu schwer. Und weil der Schmäh die Leichtigkeit des G’schichterls betont, schert er sich nicht drum, ob da jetzt jedes Wort wahr ist, das G’schichterl verweht ja sowieso, Hauptsach’, es macht grad im Moment des Erzählens allen eine Freud’, den Zuhörern genauso wie dem Erzähler selbst.
Drum, glaube ich, haut sogar der Wehle daneben, wenn er den Schmäh definieren will.
Wer der Wehle ist? Das gehört zum Schmäh dazu – der Wehle sowieso, aber auch der bestimmte Artikel minus Vorname plus Nachname. Ich muss da jetzt auf das Kapitel mit der Titelvergabe bei der Anrede vorgreifen, dafür wird das dann ein bisserl kürzer. „Bisserl“ heißt übrigens „ein wenig“. – Aber Vorsicht, wenn Sie bei einem Fleischhauer zehn Deka6 Wurst verlangen. Wenn die Bedienung Sie dann nämlich fragt: „Deaf s a bisserl mea sein?“, und sie sagen „ja“, verlassen Sie womöglich mit der doppelten Menge Wurst den Laden.
„Deaf s a bisserl mea sein?“ ist somit ein typischer Fall von Schmäh, und das führt uns zurück zu dem Wehle, dessen Artikel ich aber zuerst noch erklären muss. Seit 1918 sind in Österreich die Adelstitel abgeschafft. Man wollte mit der Habsburger-Monarchie nichts mehr zu tun haben. Zumindest offiziell nicht. Inoffiziell gesteht man vor allem in Kaffeehäusern bisweilen Leuten Adelsprädikate zu, die sie nicht einmal in der Habsburger-Monarchie hatten. Dazu kommen wir noch. Dass ein Krieg, den das Haus Habsburg führt, verloren geht, das hätte man eigentlich gewohnt sein müssen. Aber das war nun doch etwas zuviel an verlorenem Krieg.
An die Stelle der durch und durch adeligen Adelsprädikate trat das Volksadelsprädikat. Um ehrlich zu sein: Es gab es auch schon zu monarchischen Zeiten. Das Volksadelsprädikat verleiht keiner offiziell. Einer fängt damit an, dann geht es von Mund zu Mund. Und gibt es jetzt kein „von“ mehr, so gibt es eine „die“ und einen „der“. Quasi Artikel statt Titel. Ist eine Österreicherin oder ein Österreicher also durch besondere Taten hervorgetreten, dann adelt ihn der Wiener in der Umgangssprache mit dem bestimmten Artikel. Aus der Schauspielerin Paula Wessely wurde „die Wessely“ und aus dem auch heute noch legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky wurde „der Kreisky“.
Das ist freilich auch eine Sache der Intonation. Auf dem Artikel muss, wenn er das Volksadelsprädikat ist, ein bisserl ein hochdeutscher Nachdruck liegen. Einen Namen mit dem geschlechtsspezifischen direkten Artikel zu versehen, pflegen nämlich alle österreichischen Dialekte. Da sagt man dann: „Gestan how i mi mi n Ferdl troffen“; wobei das „n“ die umgangssprachliche Verschleifung des „dem“ ist, das isolierte „n“ müsste eigentlich ein „m“ sein. Offenbar fällt das „n“ der Zunge leichter als sein alphabetischer Nachbarslaut. Der besagte Ferdl braucht in diesem Zusammenhang keineswegs eine herausragende Stellung in der österreichischen Gesellschaft einzunehmen.
Sagt man aber: „Gestern how i mi mit der Tobisch getroffen“, wäre das schon ein anderes Kaliber. Ein Treffen mit Lotte Tobisch, Schauspielerin, ehemalige Organisatorin des Wiener Opernballs