Schmäh. Edwin Baumgartner

Schmäh - Edwin Baumgartner


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das an prominentester, nämlich erster Stelle im jüdischen Glaubensbekenntnis steht: „Höre, Israel, JHWH ist unser Gott, JHWH ist einer“ (5. Mose 6,4). Demgemäß heißt das jüdische Glaubensbekenntnis nach seinen ersten beiden Wörtern „Sch’ma Israel“. Wolfgang Teuschl gibt in seinem „Wiener Dialekt Lexikon“ dem Wehle recht, nicht expressis verbis zwar, aber auch er leitet den Schmäh von „schemá = Gehörtes“ ab.

      Aber der Schmäh besitzt weder sonderliche religiöse Bindungen noch hat er mit Zuhören zu tun. Schmähführen ist vor allem Erzählen, sich unterhalten. Erzählen und Zuhören sind miteinander verbunden, aber das Eine ist nicht das Andere. Und zuhören kann man auch einer Musik oder dem Rauschen der Wellen oder dem Spiel des Herbstwindes in welkenden Blättern. Es bedarf beim Zuhören nicht unbedingt eines Erzählers. Zum Schmähführen jedoch gehört ein Erzähler. Wie sonst soll er denn sonst zu rennen anfangen, der Schmäh. Darum scheinen mir „schmaien“ und „Schmäh“ nicht ganz zusammenzupassen.

      Andererseits gefällt mir der Hinweis auf das Jiddische. Der Schmäh und der jüdische Witz könnten wirklich Verwandte sein. Das fällt auf den ersten Blick nicht gleich auf, aber ich rede ja von einer Verwandtschaft über ein paar Ecken, fünf mindestens, und nicht von Zwillingen.

      Für beide gilt nämlich das gleiche: Der Schmäh ist kein Witz, und der jüdische Witz ist kein Witz, wenn wir Witz so verstehen, wie das Wort heute als Synonym von Scherz gebraucht wird. Beide, sowohl der Schmäh als auch der jüdische Witz, besitzen indessen Witz, und zwar Witz im Sinn von Gewitztheit. Das maßgebliche Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm definiert das so: „WITZ, m. (f., n.), verstand, klugheit, kluger einfall, scherz“ und führt aus: „eine neue aufgabe fällt dem worte im 17. jh. zu, als das gesellschaftlich-literarische ideal des bel esprit, ,des aufgeweckten, artigen kopfes‘ aufkommt. witz wird unter einflusz des franz. esprit und des engl. wit bezeichnung für die gabe der sinnreichen und klugen einfälle. (…) vereinzelt schon im 18. jh., stärker mit dem beginnenden 19. jh., bedeutet witz den klugen einfall selbst, fast immer in scherzhaftem oder spöttischem sinne. gegen ende des jahrhunderts ist die bedeutung ‚scherz‘ im schriftsprachlichen gebrauch bereits so herrschend, dasz ältere verwendungen kaum noch sichtbar werden. die mundarten jedoch kennen auch heute noch witz als ratio, prudentia, (…) vernunft, verstand, klugheit, list.“

      Zum Beispiel würde dieser jüdische Witz in minimaler Variation auch als Schmäh gewandet gute Figur machen: Grünzweig ist wieder einmal knapp bei Kasse. Er hofft, dass ihm Freiherr von Rothschild, der für seine Wohltätigkeit bekannt ist, aus der Geldverlegenheit hilft. Tatsächlich gelingt es Grünzweig, während einer Soiree zum Baron vorzustoßen. Als Grünzweig dann nach Hause kommt, fragt ihn seine Frau, wieviel ihm denn der Baron gegeben habe. „Fünf Gulden“, antwortet Grünzweig. „Fünf Gulden? Das ist alles?“ „Ach“, sagt Grünzweig, „es geht dem Baron selbst nicht gut im Moment. Er hat sogar ein Klavier verkaufen müssen.“ – „Wie kommst du auf diese Idee?“ – „Ich war doch bei der Soiree. Stell Dir vor: Zwei Pianisten hat er eingeladen, aber sie mussten gleichzeitig auf nur einem Klavier spielen.“

      Diesen jüdischen Witz über ein missverstandenes Konzert eines Pianisten-Duos, das vierhändige Klavierstücke spielt, könnte man als Graf-Bobby-Witz maskieren: Graf Bobby hat im Badener Casino wieder einmal alles Bare verspielt. Da auch sein Freund, Baron Mucki, eben in Geldverlegenheit ist, setzt Graf Bobby seine Hoffnung auf den Freiherrn von Rothschild. Dann kann alles ablaufen wie im jüdischen Witz, nur tauschen wir am Schluss Frau Grünzweig gegen den Baron Mucki aus. Selbstverständlich erzählen wir die Geschichte nicht ganz gradlinig, sondern hängen sie an einer Bemerkung der Unterhaltung auf, die wir eben führen, und plustern sie ein wenig mit Nebensächlichkeiten auf (angesichts einer Soiree wird sich da unschwer etwas finden lassen). Andererseits sind die Zeiten eines Grafen Bobby schon lange vorbei. Für einen echten Schmäh wäre die Geschichte etwas zu aktualisieren. Sie kann ja einem Freund oder einem Bekannten passiert sein. In Ermangelung wohltätiger Superreicher, die obendrein Kunstmäzene sind, nennen wir keinen spezifischen Namen. Wir sagen einfach: Das war bei dem, na … Na, dem … Sie wissen schon … Fertig ist der Schmäh. Das nur zur Illustration, dass zwischen dem jüdischen Witz und dem Schmäh ein gewisses weitläufiges Verwandtschaftsverhältnis besteht.

      Dennoch bleibe ich dabei: Die von dem Wehle vorgeschlagene Ableitung des Schmähs vom jiddischen „schmaien“ überzeugt mich nicht.

      Aber da wären ja noch Robert Sedlaczeks Ableitungsversuche. Bei Sedlaczek bin ich fast versucht, von dem Sedlaczek zu reden, zumindest hat er sich den Volksadelstitel, also den bestimmten Artikel vor dem Nachnamen, redlich verdient mit seinen Nachforschungen über die österreichische Variante der deutschen Sprache. In seinem Buch „Das österreichische Deutsch. Wie wir uns von unserem großen Nachbarn unterscheiden“ schlägt Sedlaczek vor, den Schmäh aus dem rotwelschen „Schmee“ abzuleiten, was Gaunersprache, Lüge und feiner Witz bedeutet.

      Das ist bestechend. Rotwelsch ist keine eigenständige Sprache, die durch Verschriftlichung genormt wäre, sondern ein Sprachamalgam, bestehend aus der Muttersprache fahrender Völker und des Mittel- und Frühneuhochdeutschen, also ein Dialekt oder Soziolekt. Als solcher wird Rotwelsch vor allem mit den Roma verbunden. Womit ich jetzt, quasi als Beleg für Sedlaczeks These, zum Lavendelschmäh komme.

      Wo habe ich geschrieben, der Schmäh sei an politischer Korrektheit völlig desinteressiert? – Jetzt ist einer der Momente, an dem man um diese politische Unkorrektheit nicht herumkommt. Nur: Wie drück’ ich’s am unverfänglichsten aus? „Ganz direkt“, sagt die Lektorin meines Vertrauens, „die Schmähbriefe an dich leitet der Verlag sicher weiter.“

      Jo, eh. Und danke für das Wortspiel mit den Schmähbriefen. Auf die Idee komme ich gleich zurück.

      Zuerst aber die Sache mit dem Lavendelschmäh. In früheren Zeiten war es dem Wiener, und keineswegs nur ihm, völlig egal, wie sich Völker selbst nannten. Man hatte eigene Bezeichnungen für sie. In der Linguistik nennt man das, wenn einem Volk eine Benennung durch ein anderes Volk oder einen anderen Kulturkreis erfährt, eine Fremdbezeichnung. Solche Fremdbezeichnungen gelten heute als politisch unkorrekt. Wenn zum Beispiel Bayern alle nichtbayerischen Deutschen als „Preißn“ bezeichnen, Österreicher für diese das Wort „Piefke“ verwenden, die „Piefkes“ die Österreicher wiederum als „Schluchtenscheißer“ bezeichnen und so weiter, dann ist das zwar Folklore, über die zu lachen man sich mittlerweile (hoffentlich) auf allen Seiten durchgerungen hat, aber die Ausgangslage, um es so zu sagen, ist nicht die schmeichelhafteste.

      Genau das ist nämlich der Haken mit diesen Fremdbezeichnungen: Sie sind in der Regel wenig liebevoll. Die Samen waren „Lappen“ (was in skandinavischen Sprachen, von denen wir das Wort auch in der Form „läppisch“ übernommen haben, soviel heißt wie „Deppen“), die Inuit waren „Eskimos“ (woher das Wort kommt, ist wie beim Schmäh: keiner kann’s genau bestimmen, „Rohfleischesser“ gilt mittlerweile als widerlegt) und Roma und Sinti waren „Zigeuner“.

      Jetzt zum Lavendelschmäh – und ich warne vor, ich bleibe politisch unkorrekt, nicht aus freien Stücken, sondern weil’s anders nicht geht.

      Die tief-lila leuchtenden Blüten des Lavendelstrauchs wurden in alter Zeit getrocknet und, zu kleinen Sträußen gebunden, verkauft. Ich kann mich gut erinnern, dass meine Großmutter immer ein Sträußchen duftenden Lavendels in den Wäschekasten legte, und wenn ich bei ihr übernachtete, roch die Bettwäsche nach Lavendel. Lavendel galt nicht nur als natürlicher Wäscheduft, man sagte ihm auch nach, Kleidermotten abzuwehren. Für manche Mottenarten stimmt das tatsächlich, andere dürften geruchstaub sein.

      Die Lavendelsträußchen wurden im Sommer auf der Gasse von den Lavendelweibern angeboten mit dem gesungenen Ruf: „An Lawendl hama do. Wer kauft uns an o?“ Das greinende Lied der Lavendelweiber gehörte zu Wien, wie die Lieder und Rufe der Gondolieri zu Venedig gehören. Heute sind die Lavendelweiber verschwunden. Dem wahrscheinlich letzten begegnete ich vor etwa fünfzehn Jahren in der Wollzeile, einer Straße, die sich nahe dem Stephansdom befindet. Es war eine uralte Frau, klein, gebückt, mit faltenzerfurchtem Gesicht, schlicht gekleidet, nur das Kopftuch war auf bäuerische Weise bunt. Zum Singen reichte die Stimme nicht, der Lavendelruf kam nur angedeutet über die Lippen


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