Schmäh. Edwin Baumgartner

Schmäh - Edwin Baumgartner


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die Tobisch vielleicht von Ferne gesehen hat, denn wenn er so spricht, dann gehört er gewiss nicht zu den Menschen, mit denen sich die Tobisch trifft.

      Eigentlich wollte ich aber zu dem Wehle etwas sagen. Peter Wehle, nicht zu verwechseln mit seinem 1967 geborenen Sohn gleichen Namens, der sich als Krimi-Autor einen Namen macht, vorerst aber noch kein „der Wehle“ ist, der Wehle also, der Vater, war einer der brillantesten Kabarettisten Österreichs. Zu vielen seiner Texte komponierte er selbst die Musik, und einige erheben den Anspruch, Literatur zu sein. In einer Sammlung heiterer Lyrik würden sich seine grotesken bis absurden Verse so übel nicht ausnehmen. Zum Beispiel dieses Lied über die Schwierigkeiten eines Schüchternen in Liebesdingen, in dem es heißt: „Doch werf ich den Blick auf ein Mädchen / Und denk mir: ,Vielleicht wird die schwach!‘ / Dann wirft meinen Blick / Sie nur achtlos zurück / Und sehr oft was Kompaktes noch nach.“

      Wehle brachte 1981 „Sprechen Sie Wienerisch?“, sein Lexikon des Wienerischen, in der überarbeiteten und definitiven Version heraus. In diesem Buch findet sich natürlich auch der Schmäh, und den definiert Wehle, obwohl er der Wehle ist, meiner Meinung nach falsch: „Schmäh: Gag, Pointe, Aufschneiderei, Unterhaltung.“

      „Gag, Pointe“ – das würde auch zum Witz passen. Aber, wir erinnern uns, der Schmäh ist kein Witz. Eher besitzt der Schmäh Witz, nämlich den Witz im Sinn von „gewitzt“, und ich bin versucht, am Wort „bauernschlau“ entlang, das sich bei Wienern verbietet, bei denen Bauer höchstens noch ein Name ist, aber keine Berufsbezeichnung mehr (es sei denn, es ist der Weinbauer, wie wir sehen werden), das Wort „städterschlau“ zu konstruieren. Dann könnte man Schmäh und Witz, besser Schmäh und Gewitztheit, einander annähern. Annähern, sage ich; und nicht, dann wäre das Eine dem Anderen gleich.

      Gerade fällt mir meine erste Begegnung mit dem Schmäh ein, zumindest die erste, an die ich mich erinnern kann. Bevor ich in die Volksschule kam, kümmerten sich tagsüber meine Großeltern um mich. Zu jener Zeit, ich rede von der ersten Hälfte der 1960er-Jahre, gab es bestimmte Statussymbole. Kindergärten zum Beispiel waren etwas für die ärmeren Leut’, für Familien, die es sich nicht leisten konnten, dass die Frau zu Hause blieb. Meine Eltern hätten es sich zwar finanziell mühelos leisten können. Meine Mutter jedoch arbeitete gern. Sie hatte gleich nach dem Krieg Landwirtschaft studiert, zu einer Zeit, als solch ein Studium für Frauen als völlig verrückt galt. Dementsprechend war sie die erste Frau Diplom-Ingenieur Österreichs in dieser Sparte. Sie dachte nicht daran, sich auf „Hausfrau und Mutter“ zu beschränken. Obendrein waren meine Großeltern selig, den Buben mit aller Zuwendung versorgen zu können, derer eine Großmutter und ein Großvater fähig sind, und das ist eine Menge, das können Sie mir glauben. So war alles gemäß der damaligen gesellschaftlichen Zeichensetzung in bester Ordnung.

      Meine Großmutter liebte es, auf den nahen Brigittamarkt einkaufen zu gehen. Das bedeutete natürlich auch einen Austausch der Neuigkeiten aus dem Grätzl. Auf dem Brigittamarkt gab es eine Fleischhauerin namens Barischitz, ihr Vorname war, glaube ich, Helga, ganz sicher bin ich mir dessen nicht, wie gesagt: Ich war vier, fünf Jahre alt. Was ich indessen ganz sicher weiß, ist, dass bei Frau Barischitz Name, Beruf und Aussehen auf wunderbare Art übereinstimmten, zumindest in meiner Vorstellungswelt. Aber vielleicht ist die ja auch geprägt von der realen Frau Barischitz. Wer kann das wissen? Frau Barischitz war mittelgroß, lachende Augen hinter der dünnrandigen Brille, die Haarfarbe habe ich nie gesehen, denn Frau Barischitz trug stets ein weißes Häubchen, und um den rundlichen Leib gebunden hatte sie eine weiße Schürze. Dem eigentlichen Schmäh vorausschicken muss ich außerdem, dass in jenen Tagen viele Haushalte noch mit Holz, Koks oder Kohle im Ofen heizten.

      Jetzt kommt meine erste Begegnung mit dem Schmäh. Es war ein später Wintereinbruch, wohl im März oder gar im April, jedenfalls lag Schnee, daran erinnere ich mich noch genau, weil mir meine Großmutter nach dem Marktbesuch erlaubte, vor der Brigittakirche ein paar Schneebälle zu werfen – vor der Kirche, sage ich, nicht auf die Kirche, wiewohl ich ungezogener Fratz das eine für das andere nahm, ohne mir Mamas Groll zuzuziehen. Ja, wirklich, bei uns war die Großmutter „Mama“, und meine Mutter war „Mutti“.

      Doch zurück zu meiner Großmutter und der Frau Barischitz. Die beiden kamen auf winterliche Kälte zu sprechen. Jede überbot (oder sagt man da „unterbot“?) die Minusgrade der anderen. Roald Amundsen, der Entdecker des Südpols, hätte nicht mithalten können. Zuletzt triumphierte die Frau Barischitz: „Vor drei Jahren …“ Nein, das muss ich im Dialekt wiedergeben.

      Frau Barischitz also sagte: „Vua drei Joa, do woa s en Winta so koed, dass ma des Feia in Ofn eigfruan is.“ Worauf meine Großmutter fragte: „Schmähohne?“ Und Frau Barischitz erwiderte: „Schmähohne“. Dazu nickte sie bekräftigend mit dem Kopf.

      Das war Schmäh mit Schmäh. Natürlich wusste Frau Barischitz ganz genau, dass meine Großmutter niemals glauben würde, das Feuer im Ofen sei eingefroren. Umgekehrt wusste meine Großmutter, dass Frau Barischitz niemals einen Anspruch auf die Glaubwürdigkeit dieser Geschichte erheben würde. Die Frage meiner Großmutter „schmähohne?“ war lediglich eine Verlängerung des Schmähs, und die Antwort „schmähohne“ war dann, gerade wegen der Behauptung, es sei kein Schmäh, der abschließende Schmäh. Beide Frauen hatten sich auf den Schmäh eingelassen.

      Wir lernen daraus nebenbei, dass „schmähohne“ nur theoretisch bedeutet, die Geschichte sei wahr. Ich meine, das kann „schmähohne“ auch bedeuten, aber eben nur auch. Ebenso gut kann „schmähohne“ die Bestätigung für den Schmäh sein.

      Wie man da durchblickt? Im Zweifelsfall ist es Schmäh, was nach Schmäh klingt.

      Meine Großmutter hatte danach Mühe, mir zu erklären, dass weder Flammen einfrieren können, noch dass Frau Barischitz gelogen hat. Weil halt der Schmäh nicht wirklich ein Lügeng’schichterl ist, das ist er so wenig, wie er ein Witz ist. Wobei er schon beides sein kann, ein bisserl wenigstens, aber die Lüge ist nicht das tiefere Wesen des Schmähs, und der Scherz ist es auch nicht.

      Fallweise kann er freilich das eine wie das andere sein. Dementsprechend definiert Peter Ahorner in seinem „Wiener Wörterbuch“ den Schmäh mit „Witz“, aber ebenso mit „Aufschneiderei, Unwahrheit“. Auch Wehle, also der Wehle, führt übrigens „Aufschneiderei“ als Unterbedeutung an.

      Und nun? Was ist jetzt der Schmäh? Gag und Pointe lasse ich weg, dieser Definition traue ich nicht, obwohl sie von dem Wehle kommt. Eine leichte, amüsante Erzählweise gehört zum Schmäh dazu, aber der Schmäh legt es nicht auf die Pointe an. Er sitzt nicht da im Café mit grellbuntem Gewand, damit jeder weiß: Gleich gibt’s was zu lachen. Der Schmäh kommt unauffällig. Er kommt leise. Der Schmäh kann eine mit Charme erzählte ganz und gar wahre Geschichte sein und eine faustdicke Lügengeschichte – die aber, bitte, auch mit Charme erzählt. Ohne Charme kein Schmäh, der Charme ist eine Grundbedingung. Was Charme ist? – Keine Definitionen verlangen: Charme ist, was man als Charme empfindet. Beim Schmäh ist es ähnlich.

      Ein bisserl näher möchte ich ihm dennoch kommen, dem Schmäh. Er ist eine mit Charme erzählte Geschichte wahren oder erfundenen oder übertriebenen Inhalts, eine Plauderei, ein treffender Ausspruch. Der Schmäh entsteht aus der Situation. „Beim Reden kummen d’ Leit zsamm“, sagt man in Wien, und beim Reden rennt auch der Schmäh. Wenn der Schmäh rennt, dann bedeutet das eine angeregte Unterhaltung.

      Vielleicht kann ich das am besten exemplifizieren, wenn ich einen Witz in einen Schmäh übersetze. Das geht nicht mit jedem Witz. Ich fange mit einem der unübersetzbaren an, und da es beim Witzeerzählen weit Berufenere gibt als mich, klaue ich ihn Wort für Wort aus Hellmuth Karaseks Buch „Soll das ein Witz sein?“ Nun denn: „Im Schauspielhaus: Ein Zuschauer sagt zu seinem Nachbarn: ,Heute ist die Akustik nicht gut.‘ Der andere, nach einer Weile: ,Jetzt höre ich’s auch!‘“ Diesen Witz kann zumindest ich nicht in einen Schmäh übersetzen, ohne ihn völlig zu ruinieren.

      Der nächste Versuch macht mit dem Grafen Bobby bekannt. Die Figur ist älter, als man denkt. Um die Wende zum 20. Jahrhundert ist sie aufgetaucht. Sie sagt viel darüber aus, wie die Österreicher über den Habsburgerstaat-Adel dachten. Man hielt seine Angehörigen offenbar nicht gerade für Geistesriesen. Leicht vertrottelt und schwer dekadent


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