Böse Affen. Ilka Sokolowski

Böse Affen - Ilka Sokolowski


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Leo Gelegenheit hatte, alles in Ordnung zu bringen.

      »Wie sieht es denn hier aus!« Irene Sorghut stemmte die Arme in die Hüften und schleuderte vorwurfsvolle Blicke auf die über den Boden verteilte Erde, den zerstörten Bambus und ihre Aushilfsgärtnerin.

      »Frau Heller, ich habe Sie nicht eingestellt, damit Sie diesen Messestand in ein Schlachtfeld verwandeln! Wo sind die restlichen Bambusstauden, die Funkien, der Lotus? Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist? Bis heute Abend muss hier alles tipptopp sein!«

      Leo verkniff sich die Bemerkung, dass morgen Mittag doch auch noch reichen würde. Die CeBIT wurde erst am Montagabend um achtzehn Uhr eröffnet, und bis die Kanzlerin und ihr Wirtschaftsminister hier vorbeiflanieren würden, hätte Leo alles unter Kontrolle, einschließlich des Tischschmucks für zwei Tagungsräume, der Blumengestecke und des mobilen Grüns für sieben weitere Stände. In den nächsten Tagen hätte sie dann nichts anderes zu tun als verblühte Blumen auszutauschen, regelmäßig zu wässern, die großblättrigen Pflanzen abzustauben und überhaupt dafür zu sorgen, dass alles, was grün und lebendig war, tadellos aussah.

      Irene Sorghut versetzte dem zerstörten Bambus einen wütenden Fußtritt. »Schaffen Sie das Zeug auf den Müll und |15|sorgen Sie dafür, dass alles so läuft, wie man es von unserer Firma erwartet, verstanden?«

      Leo ließ sie noch ein wenig die empörte Chefin spielen, verschwieg vorsichtshalber die geklaute Sackkarre, wies nur kurz auf die fehlende Hilfe hin – der Azubi werde dringend beim Kranzbinden gebraucht, hieß es daraufhin, vier unerwartete Todesfälle seien dazwischengekommen, so etwas passiere nun mal, und noch mehr Hilfskräfte könne man nicht einstellen – versprach, versicherte, beruhigte und stellte, als sie wieder allein war, fest, dass sie doch nicht gekündigt hatte.

      Konnte sie ja morgen auch noch tun. Lieber unterbezahlt als ganz ohne Geld. Als kleinen Lastenausgleich würde sie den derangierten Bambus mitnehmen, der war doch viel zu schade zum Wegwerfen. Einen passenden Kübel hatte sie im Keller, und auf ihrem großen Dachbalkon war noch viel Platz.

      Als es Abend wurde, hatte Leo alle Grünpflanzen an Ort und Stelle geschafft, zwei Steinlaternen und einen Buddhakopf aufgestellt, die Standfläche penibel gesäubert und Wasser in das Becken gelassen. Den Lotus würde sie erst am nächsten Morgen einsetzen. Es war zu befürchten, dass er alle paar Tage ausgetauscht werden musste, aber solange Mister Kong für den ganzen Aufwand zahlte, sollte sie das nicht kümmern. Inzwischen waren die Techniker eingetroffen, verlegten meterweise Kabel, installierten Anschlüsse, Scheinwerfer und einschüchternd nach Hightech aussehende Gerätschaften. Mit einer Sackkarre konnten auch sie nicht aufwarten, aber ausgerechnet der Typ mit dem Biber-Shirt räumte hilfsbereit seinen Rollwagen frei und half Leo, den mithilfe eines Stocks und rot-weißem Absperrband notdürftig geschienten Bambus |16|hinaus zum Lieferwagen zu schaffen. Er spendierte sogar noch etwas Noppenfolie für das asiatische Gestrüpp, wie er es nannte. Leo zögerte einen Moment, ob sie ihn wegen der Affengeschichte fragen sollte, ließ es dann aber bleiben und bedankte sich nur.

      Sie hatte jetzt die Wahl, sich mit dem Lieferwagen durch die verstopften Straßen zu quälen oder ihre Fracht auf dem Fahrradgepäckträger nach Haus zu balancieren, was bedeutete, dass sie schieben musste. Nach einem Tag in stickigen Messehallen entschied sich Leo für die Frischluftvariante. Dass sie für gewöhnlich jeden Weg, egal wie lang und bei welchem Wetter, mit dem Rad oder zu Fuß zurücklegte, sorgte bei ihren Mitmenschen immer wieder für verständnisloses Kopfschütteln. Das kratzte Leo nicht, solange sie sich einfach besser fühlte, wenn sie sich viel bewegte. Und in puncto Wohlbefinden vertrug dieser Tag durchaus noch eine kleine Steigerung.

      Den Wagen sollte sie an und für sich abends bei Sorghut abliefern und am nächsten Tag wieder abholen, an diesem Morgen hatte sie ihr Rad nicht bei der Gärtnerei gelassen, sondern mit hineingepackt. Da sie ja höchstwahrscheinlich bestimmt vielleicht sowieso kündigen würde, ließ sie den Wagen auf dem Messegelände stehen. Auf einen Anraunzer mehr oder weniger kam es nun auch nicht mehr an.

      Der kalte Tag war noch kälterer Dunkelheit gewichen, und das mit der Frischluft erwies sich als Illusion. Irgendwo musste eine Straße gesperrt worden und eine Umleitung eingerichtet worden sein; oder es lag an den vielen Messezulieferern, die unterwegs waren, dass an diesem Sonntagabend ein |17|Betrieb herrschte wie sonst im schlimmsten Feierabendverkehr. Die Autoabgase waberten wie Theaternebel über die Karlsruher Straße. Leo beschleunigte ihr Tempo. Nicht lange, und sie sah die von Scheinwerfern angestrahlte Pagode des buddhistischen Klosters. Der Turm aus aufeinandergestapelten Stockwerken, jedes mit einem eigenen geschwungenen Dach, war ein exotischer Anblick im Gewerbegebiet zwischen Wülfeler Güterbahnhof und den hässlichen Hochhäusern von Mittelfeld. Dem Tempelgelände genau gegenüber leuchteten die gelben und roten Neonschriftzüge eines Supermarktes. Leo hielt in der Einfahrt zum Parkplatz.

      Da sie schon mal hier war, konnte sie nachsehen, ob sie Su Jing antreffen würde. Mit der jungen Chinesin verband Leo seit einigen gemeinsam durchgestandenen Abenteuern eine unkomplizierte Freundschaft. Die fröhliche und selbstbewusste junge Frau (noch fröhlicher und selbstbewusster, seit ihr Mann sich wieder nach China abgesetzt hatte) war die angeheiratete Nichte eines Imbissbesitzers namens Wang Li, der im gleichen Haus lebte und den Leo ebenfalls sehr gern hatte. Su Jing hatte ihr Elektrotechnikstudium auf Eis gelegt, half im Imbiss und vergötterte ihr Söhnchen Jian, den kleinen Jadestern, wie sie ihn nannte. In letzter Zeit jedoch fand Leo sie verändert. Ernster war sie geworden, in sich gekehrt, fast schon verschlossen. Immer öfter überließ sie Jian der Obhut der beiden alten Frauen, die mit in Wang Lis Haushalt lebten. Und sie hatte begonnen, das buddhistische Vien Giac Kloster zu besuchen. Vien Giac war ein vietnamesisches Kloster, wie Leo von Su Jing erfahren hatte, das aber von Buddhisten und interessierten Laien aus aller Welt besucht wurde. Es gab Seminare und Führungen, und zweimal am |18|Tag fanden Zeremonien statt. Su Jing versäumte neuerdings kaum eine davon.

      Aggressives Hupen riss Leo aus ihren Gedanken. Ein Autofahrer wollte unbedingt auf den Parkplatz des Supermarkts einbiegen, obwohl der sonntags geschlossen hatte. Wütend signalisierte er, sie solle gefälligst aus der Einfahrt verschwinden. Was waren die heute alle gereizt! Leo versuchte eine Lücke im Verkehrsstrom abzupassen und auf die andere Straßenseite zum Kloster zu wechseln. Mit Fahrrad und Bambus konnte sie nicht mal so eben zwischen den Autos hindurchflitzen, und keiner der Fahrer schien bereit, mehr als zehn Zentimeter Abstand zur Stoßstange seines Vordermannes zuzulassen. Jetzt donnerte auch noch ein Tieflader mit einem Container heran, bremste ab, wartete … wartete … wartete … und Leo bekam ausgiebig Gelegenheit, die Containeraufschrift zu studieren: Gebr. Baumanns Schutt- und Lastcontainer. Endlich konnte der Tieflader in die Sackgasse an der Nordseite des Klostergeländes einbiegen. Dann war die Sicht auf das Kloster wieder frei. Hinter einer Mauer mit einem dreiteiligen Tor mit roten Säulen und geschwungenem Dach lag ein Innenhof. Im Hintergrund leuchtete eine pinkfarbene Wand, Leo sah eine geschwungene Treppe oder Rampe und einen Brunnen mit einer großen weißen Buddhastatue in der Mitte. Das Plätschern des Wassers konnte sie wegen des Verkehrslärms nicht hören, dafür aber chinesische Satzfetzen. Die Stimme gehörte Su Jing. Sie klang aufgeregt. Leo schob ihr Rad ein Stückchen weiter, sodass sie einen besseren Einblick in den Klosterhof hatte.

      Mit wem sprach Su Jing? Leo erkannte nur die Umrisse eines Mannes, der mit dem Rücken zu ihr stand. Von ihrem Platz |19|auf der anderen Straßenseite konnte sie auch Su Jing nicht deutlich sehen, nur deren Körperhaltung deuten. Angespannt. Wütend. Sie beugte sich vor, fasste den Mann am Arm. Antwortete er? Leo konnte es nicht hören, denn der Tieflader hatte sich seines Containers inzwischen entledigt, schob sich mit dröhnendem Motor wieder an die Hauptstraße heran und fädelte ein. Das Fahrerhaus versperrte Leo kurzfristig die Sicht. Ungeduldig trippelte sie vor und zurück und hätte beinahe den Bambus zum Absturz gebracht. Als der Tieflader endlich weiterfuhr, waren Su Jing und die schwarze Silhouette verschwunden.

      War dieser Mann der Grund für Su Jings neu entdeckten religiösen Eifer? Leo hatte keine Ahnung, wie sich zärtliche Verliebtheit auf Chinesisch anhörte, aber liebevoll hatte das nicht geklungen. Eher nach Sorge, nach Vorwurf. Nachdenklich setzte sie sich wieder in Bewegung. Sie hatte keine Lust mehr, hinüberzugehen. Schlecht gelaunt war sie selber schon und der Weg nach Hause noch verflixt weit.

      Als Leo die Hildesheimer Straße


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