Böse Affen. Ilka Sokolowski
als die Tür der Studentenwohnung schwungvoll geöffnet wurde und ein schlaksiger junger Mann vor ihr stand.
»Wunderschönen guten Morgen! Zu Ihnen wollte ich gerade!« Hellbraune Augen, dunkelblonde Haare, zu einer dieser Britpop-Frisuren mit Ponyfransen quer über ein Auge gestylt, Skiurlaub-Teint über einem weichen zimtfarbenen Rollkragenpulli – der ganze Typ schien golden zu schimmern. Dazu besaß er auch noch ein strahlendes Lächeln, dessen Zahnpastafrische Leo geradezu überwältigte und sie gleich noch ein bisschen mehr knittern ließ.
Bei genauerem Hinsehen waren seine Augen allerdings deutlich gerötet, die Schatten darunter verrieten eine Nacht mit zu wenig Schlaf. Aber das Lächeln blieb unvermindert hell und freundlich.
»Daniel Reimers, Ihr neuer Nachbar«, stellte er sich vor. »Wir sind gerade erst eingezogen und hatten noch keine Zeit, die Kennenlernrunde durchs Haus zu machen.«
Leo schüttelte seine Hand und murmelte ihren Namen. Im Hintergrund der Wohnung schlurfte ein schwarz gekleidetes Etwas mit langen Haaren vorbei.
»Mein Mitbewohner, Rico Metz«, erklärte Daniel Reimers, der ihren Blick bemerkt hatte. »Wir teilen uns die Wohnung.«
Schade, dass das hier keine Quizshow war. Die 10 000-Euro-Frage, wer von den beiden der Heavy-Metal-Fan war, hätte Leo ohne zu zögern beantwortet. Seltsames Gespann, die beiden.
|27|»Uns sind die Coffeepads für die Espressomaschine ausgegangen.« Der Blonde lächelte verlegen. »Könnten Sie uns vielleicht aushelfen?«
»Falls eine Filtertüte mit Kaffeepulver es auch tut.« – Coffeepads, tss.
Reimers strich sich das dichte Haar aus der Stirn.
»Ach so … nein, vielen Dank, vielleicht fahre ich doch noch schnell einkaufen. Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen, Sie sehen aus, als hätten Sie es eilig?«
Was Leo nur bestätigen konnte, aber Radfahren war nun mal die beste Methode, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Das musste sie diesem smarten Typen allerdings nicht unbedingt auf die Nase binden.
Sie lehnte dankend ab, verabschiedete sich und eilte die Treppe hinunter. Es dauerte eine Weile, bis sich die Tür oben schloss.
Der Verkehr hatte zugenommen. Mannschaftswagen der Polizei standen an allen großen Kreuzungen, in den Nebenstraßen stauten sich die Autos, weil die Ampeln ungeschaltet waren und alle Messezubringer Vorfahrt hatten. Grüppchen von Chinesen und Japanern waren auf dem Weg zu den U-Bahnen. An der Haltestelle Peiner Straße standen fünf bibbernde indische Sikhs mit Aktenkoffern und Turbanen, aber ohne Wintermäntel, kalt erwischt von der Tatsache, dass die Temperatur an einem sonnigen Vorfrühlingstag in Deutschland nur knapp über null Grad lag. Leo war froh über Handschuhe und Wollmütze. Wie sie bei diesem Wetter die empfindlichen Lotusblumen unversehrt aus dem Gewächshaus in den Lieferwagen und von dort zum Stand schaffen sollte, war ihr ein Rätsel.
|28|Plötzlich schrillten Martinshörner über dem Autolärm. Verschreckte Autofahrer fuhren fast bis auf den Radweg, um eine Gasse für einen heranrasenden Löschzug der Feuerwehr zu bilden. Der Verkehr geriet nur kurzfristig ins Stocken, ein kollektives Gasgeben folgte, kaum dass der Löschzug durch war. Alle Ampeln standen auf Grün, nur die nicht, die Leo sicher auf die andere Straßenseite hätten lotsen können.
Als sie sich bis zu Parkplatz West 44 durchgekämpft hatte, wollte man sie nicht durchlassen, Polizei und Feuerwehr hatten alles abgesperrt.
»Bombendrohung«, sagte ein Wachmann, der neben dem Verkehrsschild herumstand, an das sie ihr Rad anschloss.
»Nicht schon wieder«, stöhnte Leo. Hoffentlich schnappten sie diesen blöden Wichtigtuer endlich. Sie beschwatzte einen der Feuerwehrleute, sie zu ihrem Lieferwagen zu lassen, sie wollte schließlich nur vom Parkplatz runter und nicht rauf.
Zu ihrer Erleichterung kam sie trotz aller Widrigkeiten einigermaßen pünktlich bei der Gärtnerei an, und weil die Chefin nicht da war, gab es vorläufig auch keine Vorwürfe wegen des am Abend nicht zurückgebrachten Lieferwagens. Es dauerte fast eine Stunde, bis Leo alles eingeladen hatte, und noch einmal eine halbe Stunde, bis sie sich durch den Verkehr wieder zurück zur Messe gekämpft hatte.
Was? Was hatte der Typ da gerade gesagt? Leo drehte das Radio lauter. Ein unerträglich gut gelaunter Moderator – »Auch heute wieder live von der CeBIT!« – verkündete, die erneute Bombendrohung auf der Messe West habe sich auch heute wieder als schlechter Scherz entpuppt. Polizei und Feuerwehr bäten dringend um Mithilfe, nützliche Hinweise zur |29|Überführung des Telefonbombers würden auch live in dieser Sendung entgegengenommen.
»Und hier die Nummer …«
Blabla.
»Bleiben Sie bei uns, wir informieren Sie bombensicher, haha!«
Leo drehte den Ton ab.
Als sie Parkplatz West 44 erreichte, hatte sich die größte Aufregung gelegt. Der Löschzug der Feuerwehr rückte gerade ab, die hatten wahrscheinlich langsam die Nase voll. Bei den dunkelgrünen Mannschaftswagen des Sonderkommandos herrschte noch ein wenig Unruhe, zwei Spürhunde mit Maulkörben hingen gespannt an ihren Leinen, ein paar Beamte eilten zurück in Halle 24.
Leo achtete nicht weiter auf sie. Nachdem sie die Autoschlüssel diesmal besonders sorgfältig in der Jackentasche verstaut hatte, wuchtete sie die Wanne mit dem Lotus aus dem Wagen. Zuerst war der Stand von Mister Kong dran. Wenn sie sich ranhielt, konnte sie bis zum Mittag auch noch die restlichen Pflanzen verteilen, die Konferenzräume wären dann ein Kinderspiel.
Während Leo durch die Messehalle lief und in Gedanken den Arbeitsplan durchging, fiel ihr auf, dass die meisten Stände verlassen dalagen, obwohl der Alarm aufgehoben und die Arbeiten noch nicht abgeschlossen waren.
Die Menschentraube vor Stand C.53.1 war dagegen nicht zu übersehen. So viele Leute! Und so eine gespenstische Stille?
Dann stand sie vor dem gelben Absperrband, das rings um das kleine Becken gespannt war. Sehr langsam setzte sie die Wanne mit dem Lotus ab.
|30|Nein. Das konnte nicht wahr sein.
Im stillen Wasser trieb reglos ein Mann mit dem Gesicht nach unten, die Arme ausgebreitet. Die schwarzen Haare schwebten federfein um seinen Kopf, die Füße ragten über den Beckenrand. Sie steckten in roten Sneakern.
In Leos Ohren rauschte es, und es dauerte einen Moment, bis sie registrierte, dass im allgemeinen Schweigen ein erstickter kleiner Laut hören war. Es war der Biber-Handwerker, der ihr mit dem Bambus geholfen hatte; vergeblich versuchte er, ein Schluchzen zu unterdrücken. Mit bis zu den Knien durchnässten Hosen stand er ein paar Schritte abseits von den anderen und zitterte, als wäre er an einen Stromkreis angeschlossen. Aber er bemühte sich, die Fragen des Polizeibeamten an seiner Seite zu beantworten.
»Nein, wir waren doch alle draußen … ja, wegen der Bombendrohung … ich bin dann zurück … ja … nein, ich weiß nicht … vielleicht war ich einer der Ersten, kann sein … ich hab gleich die 110 angerufen … nein … ja … aber das habe ich Ihnen doch alles schon gesagt!«
Leos Blick irrte zurück zu der leblosen Gestalt im Wasser. Wie konnte das sein? Wie konnte man in diesem lächerlichen kleinen Teich ertrinken? Sicher, grundsätzlich war das in der kleinsten Pfütze möglich, aber …
Ein Polizist kam auf sie zu, es war Nummer zwei von der Messestation, der auch schon wegen der Affengeschichte angerückt war.
Mechanisch beantwortete Leo die Fragen, die er offenbar auch den anderen schon gestellt hatte. Nein, sie hatte nichts gesehen oder gehört, sie war doch eben erst zum Dienst erschienen.
|31|Ringsum wurde es unruhig, als Verstärkung anrückte, zwei Beamte in Zivil, ein junger Mann, eine ältere Frau, vermutlich die Kommissare, jemand von der Messeleitung, dazu noch ein Arzt. Ein Mann mit einer professionell aussehenden Kamera trat vor.
»Keine Fotos!«, sagte die Kommissarin scharf, woraufhin der Zurechtgewiesene gehorsam die Kamera wieder senkte und etwas von »nur zufällig hier« und »Termin mit der Messeleitung« murmelte. Er lächelte beschwichtigend;