Böse Affen. Ilka Sokolowski

Böse Affen - Ilka Sokolowski


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während eine Straßenbahn nach der anderen vorbeifuhr, vollgestopft mit im Kunstlicht bleichen Anzugträgern. Die Bahnen kamen in Viererzügen, um die Geschäftsleute an den Ort ihrer Bestimmung zu schaffen, und das noch vor der offiziellen CeBIT-Eröffnung. Leo fragte sich, wie es in den nächsten Tagen erst zugehen würde. An den Haltestellen beugten sich ratlose Fremde über Stadtpläne und Zettel mit Wegbeschreibungen, um ihre Messezimmer zu finden.

      Etwa auf der Höhe des Altenbekener Damms fand Leo ihre |20|Idee mit dem Fußmarsch nur noch bescheuert, aber wenigstens konnte sie nun in die ruhigeren Nebenstraßen der Südstadt einbiegen. Eine heiße Dusche und eine große Portion scharfes Irgendwas aus Wang Lis Küche schienen ihr jetzt der Gipfel der Genüsse.

      Zu ihrer Enttäuschung waren die Fenster des kleinen Lokals im Erdgeschoss des dreistöckigen Altbaus dunkel. Sie hatte vergessen, dass am Sonntag Ruhetag war. Wang Li schien aber zu Hause zu sein, der weiße Mitsubishi Van stand auf dem üblichen Platz an der Straße. Gleich daneben parkten ein kleiner Europcar-Transporter und ein im Licht der Straßenlaterne dunkelgrün schimmernder BMW-Roadster.

      Wer sich so einen Wagen wohl leisten konnte? Musste ein Vermögen gekostet haben. Leo fädelte sich mit äußerster Vorsicht daran vorbei und schob ihr Rad auf den Hinterhof. Auch in der Küche war alles dunkel. Eigentlich erstaunlich, dass Wang Li keine Ausnahme machte und sich das Geschäft einen Tag vor der Messe entgehen ließ. Bei den Griechen und Italienern an der Hildesheimer Straße war jeder Platz besetzt gewesen. Leo seufzte. Also mal wieder Bratkartoffeln und Pfefferminztee. Aber den dafür mit einem Schuss Rum.

      Als sie die Treppe hinaufstieg, hörte sie aus Wang Lis Wohnung im ersten Stock die hohen, zittrigen Stimmen der beiden alten Chinesinnen, die sie nie auseinanderhalten konnte und von denen sie immer noch nicht wusste, ob es Tanten, Schwestern, Kusinen oder Frau und Exfrau von Wang Li waren. Dazwischen erklang das vergnügte Quietschen des kleinen Jian. Ein Stockwerk höher, bei Paul Ostermann, war alles ruhig. Ostermann hatte seine Wohnung für die CeBIT-Zeit |21|vermietet und war verreist, kaum dass man ihn aus dem Krankenhaus entlassen hatte. Blass und abgemagert hatte er sich von Leo verabschiedet. Abstand brauche er und Ruhe, um mit den Ereignissen des Winters fertig zu werden. Leo konnte ihn verstehen. Er war niedergeschossen worden, damals, als sie beide in den kriminellen Strudel um ein gefälschtes Tagebuch hineingezogen worden waren. Niedergeschossen von seiner Nachbarin Ruth Herwig, die jetzt im Gefängnis saß.

      Leo musste einen Moment verschnaufen und setzte den Bambus ab. Ruth Herwigs Wohnung war kürzlich an zwei Studenten vermietet worden, erst gestern oder vorgestern mussten sie eingezogen sein, Leo war ihnen noch nicht begegnet. Der Mietwagen gehörte wahrscheinlich zu ihnen. An der Wand im Treppenhaus lehnten zusammengefaltete Umzugskartons aller Größen, auch zwei Kleiderkartons versperrten den Weg. Drinnen lief Musik aus den Siebzigern. Klang wie It never rains in Southern California. Der gute alte Albert Hammond. Der Geruch, der ins Treppenhaus drang, passte dazu. Leo schnupperte und grinste. Da drinnen machte ein Joint die Runde.

      Sie schleppte ihren Bambus weiter. Dritter Stock, nur eine Wohnung, ihre. Endlich zu Hause. Ächzend setzte Leo den Kübel ab und tastete nach dem Lichtschalter. Das Außenlicht des Dachbalkons flammte auf.

      »Hallo Edwina. Ich hab dir jemanden mitgebracht.«

      Sie fing schon wieder an, mit ihrer selbst gezüchteten Rose zu reden. Kein gutes Zeichen. Eigentlich wollte sie sich das abgewöhnen. Wäre Martin Sandved jetzt dagewesen … Ach ja. Auch den wollte sie sich eigentlich abgewöhnen.

      |22|»Da. Vertragt euch.« Sie wuchtete den Bambus neben Edwina, bekam dann Zweifel und holte ihn wieder rein.

      »Er ist das Draußensein noch nicht gewöhnt«, erklärte sie. »Schmoll nicht. Du kannst die Kälte besser ab.«

      Edwina hüllte sich in dorniges Schweigen, was sollte sie auch sonst tun. Ihre Zeit des Gehätscheltwerdens war vorbei, sie hatte schon den Winter draußen verbringen müssen. Leo befreite den Bambus aus seiner Folienhülle und wies ihm einen Platz im kühlen Schlafzimmer zu. Bevor sie die Balkontür wieder schloss, fiel ihr Blick in den dunklen Hinterhof. Nirgends Licht, Pauls Messegast war offenbar auch noch nicht da.

      In Südkalifornien regnete es immer noch nicht, die Beach Boys übernahmen das Ruder und verbreiteten Good Vibrations, nun schon eine Spur lauter. Es versprach eine unterhaltsame Nacht zu werden. Leo seufzte und goss sich ein Glas Rum ein. Sie konnte ja später noch einen Schuss Pfefferminztee hinzutun.

      Der Abend wurde lang und länger, die Bratkartoffeln schmeckten nicht, und Schuld daran war nur ein gewisser Kommissar, der sich in ihren Gedanken eingenistet hatte. Schlaflos lag Leo im Bett, während unten das musikalische Rahmenprogramm wechselte und mit Metallica deutlich härter wurde. Ab und zu schwoll der Pegel an, wenn ein weiterer leerer Karton ins Treppenhaus gestellt wurde.

      Martin Sandved. Vom Dezernat für Kunstkriminalität. Kennengelernt bei den ganzen Verwicklungen um jenes Tagebuch der angeblichen Geliebten des Zeichners und Dichters Wilhelm Busch, das sich im Nachlass von Leos |23|Onkels gefunden hatte. Aus den Augen verloren, als der Fall gelöst war.

      Ach, so ein Blödsinn. Leo drückte sich die Fäuste auf die brennenden Lider. Sie hatten sich nicht irgendwie aus den Augen verloren, sie waren wahrscheinlich beide einfach nur zu feige gewesen.

      Wo mochte er gerade sein? Ermittlungen im Ausland, hatte es geheißen, Süditalien, Sizilien, irgendwo dort unten. Sie war sich nicht zu schade gewesen, in seiner Dienststelle anzurufen und nach ihm zu fragen.

      Aber nur einmal, verteidigte sie sich vor sich selbst, schwang sich aus dem Bett, trabte in die Küche und goss sich noch ein Glas ein. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, wollte sie sich wenigstens ein bisschen amüsieren. Und die verflixten Ohrstöpsel waren auch verschwunden.

      Mitten in der Nacht schreckte sie hoch, weil der Bambus klingelte.

      Der Bambus?

      Stöhnend vergrub Leo ihren Kopf unter dem Kissen. Hätte sie bloß den Pfefferminztee nicht weggelassen. Wahnvorstellungen. Erst klingelnder Bambus, dann weiße Mäuse.

      Es klingelte immer noch. Zögernd schob Leo das Kissen weg, tastete nach der kleinen Leselampe neben dem Bett und fasste das verrückt gewordene Grünzeug ins Auge. Es dauerte einen Moment, bis sie ihren Blick scharf gestellt und ihr Gehirn die optischen und akustischen Signale synchronisiert hatte. Das Klingeln kam aus dem kaputten Kübel.

      Leo scharrte die Erde weg. Das Klingeln wurde lauter, eine melodische Tonfolge wie von Klangstäben, in rascher Folge |24|angeschlagen. Ihre Finger stießen auf etwas Glattes. Verständnislos starrte sie auf den rechteckigen silbrigen Gegenstand mit dem Logo dreier schwarzer Affen. Einer hielt sich die Augen zu, der andere die Ohren, der dritte den Mund.

      Smartphone, meldete Leos Gehirn. So ein Wundergerät aus Telefon, Computer, Videokamera und weiß der Teufel was noch in einem. Kein westliches Modell. Chinesische Schriftzeichen. Schickes Ding.

      Und was hatte das schicke Ding in ihrem Bambus zu suchen?

      Auch auf dem Display sprangen die drei Affen herum und hielten sich abwechselnd Mund, Ohren und Augen zu. Leo fand, dass sie etwas Hinterhältiges an sich hatten. Sie verschwanden, als das Klingeln endlich aufhörte. In der nachfolgenden Stille bemerkte sie, dass auch die Musik unten endlich verstummt war. Ratlos untersuchte sie die Symbole. Leo hatte gerade gelernt, mit ihrem eigenen neuen Handy umzugehen, technische Hinterhältigkeiten dieser Art überforderten sie, erst recht mitten in der Nacht und mit beginnenden Kopfschmerzen. Aber die rote Taste da sah vertraut aus. – So. Ausgestellt.

      Wahrscheinlich Ken Zhang, dachte Leo. Er hatte das Ding verloren, als er den Bambus wieder aufgestellt und die Erde zurück in den Kübel geschaufelt hatte. Klar, so musste es gewesen sein. Hände abklopfen, weiterschlafen.

      Selbst in ihrem benebelten Zustand ahnte sie, dass diese Erklärung außerordentlich idiotisch war. Aber es war immerhin eine Erklärung und auch nicht idiotischer, als Autoschlüssel an einen Käfigaffen zu verlieren oder Liebeskummer in Rum einzulegen. Sie würde Ken das Smartphone morgen |25|zurückbringen und fertig. – Morgen? Ihr Blick irrte zum Wecker. In drei Stunden. Stöhnend fiel sie zurück in die Kissen.

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