Dantes Inferno II, Das Auge der Hölle. Akron Frey

Dantes Inferno II, Das Auge der Hölle - Akron Frey


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„Genauso, wie das Universum in viele verschiedene Perspektiven aufgeteilt ist, ist auch die Persönlichkeit ein Konglomerat von verschiedenen Selbst, die zahllose Ebenen durchwächst, und dort, wo sie sich mit anderen Dimensionen schneidet, entsteht ein Loch, durch das du in andere Personen eindringen kannst. Komm mit! Ich führe dich zur Tür…“

       Unfähig, mich zu rühren, konnte ich spüren, wie ihre Energie in meinen Körper floß. Sie legte mir ihre eisige Hand auf die Schulter und sprach: „Hab keine Angst! Es ist nur eine virtuelle Hölle in deinem Kopf… niemand will dir Böses tun!“

       „Wer bist du?“ schrie ich, der Verzweiflung nahe. Ich fühlte, wie sich in meinem Gehirn eine Vorstellung formte, die sich in der räumlichen Sphäre manifestierte. „Was willst du von mir?“

       „Hast du mich nicht verstanden? Ich sagte doch, mein Name ist NIEMAND!“ Die Stimme bekam einen triumphierenden Unterton: „Auf deinen Ruf bin ich gekommen, um dir zu zeigen, was du suchst!“

       Erschreckende Gewißheit breitete sich in meinem Kopf aus: „… und NIEMAND will mir Böses tun?“ Hämisches Gelächter erfüllte den Raum.

       Das war nicht Akron, spürte ich. „Sei ganz ruhig!“ flüsterte mir die sanfte Stimme ins Ohr: „Solange du nicht erkennst, gibt es kein Entrinnen, dein Schatten holt dich ein, wo immer du dich zu verstecken suchst. Aber wenn du mir deine Hand reichst und mit mir hinabtauchst zu den Quellen des Vergessenen, so wirst du dich an Erlebnisse erinnern, die Seelen nicht sehen können, weil sie sie verdrängen auf ihrer Reise ins Licht…“

       NIEMAND schien einen empfindlichen Nerv in mir getroffen zu haben, denn ich fühlte, wie mir Tränen in die Augen traten. „Ich danke dir für die Einladung“, schluchzte ich. „Sage mir, daß du Akron bist!“

       „Aber ja doch!“ antwortete er. „Ich sagte schon, daß NIEMAND Akron ist, denn wenn du wieder in der realen Welt erwachst, wirst du alles vergessen haben. Auch wirst du dich an NIEMAND mehr erinnern. Es sei denn…“

       „… es sei denn, ich ließe mich in meine verdrängte Hölle hineinfallen - ich hab’s nicht vergessen“, äffte ich ihn nach, auf den vergangenen Dialog mit meiner inneren Stimme anspielend.

       „Es sei denn, du ließest dich in die zukünftige Absicht des Lesers hineinfallen, dich auf der Reise begleiten zu wollen! Deshalb habe ich dir die verdrängten Erinnerungen rückwirkend auf den Bildschirm projiziert.“ Es war das Auge eines alten Mannes, das mich im eigenen Blick, ein gespiegeltes Bild im Spiegel und zugleich Spiegel selbst, ansah: „Du glaubst mir nicht? Dann sieh doch mal hinüber in deine Alltagswelt!“

       Es war mein eigenes Gesicht, das verdeckt im Schatten lag, das Bild aus dem Regal, das vor mir erschien, während eine digitalisierte Stimme aus dem Gehäuse piepste: „Click mich an, dann wachst du als ‘Geträumter’ direkt in der Hölle deiner zukünftigen Erinnerung auf!“

       Ich stand im Badezimmer meiner Hotelsuite und prüfte die Falten im Gesicht. Kurz vor sechs. Ein flüchtiger Blick auf die Armbanduhr sagte mir, daß es langsam Zeit wurde. In zwei Stunden begann meine Eröffnungsrede im Ufo-Kongreß. Zuvor hatte ich noch einen wichtigen Pressetermin. „Wo ist die Dame vom Abendblatt?“ murmelte ich verärgert nach einer weiteren Konsultierung der Uhr. Jeder wußte, wie sehr ich Unpünktlichkeit haßte. Es ging mir aber nicht nur um die Zeit, sondern auch darum, daß sie die Unverschämtheit hatte, mich warten zu lassen. Schließlich war ich eine Kultfigur in der internationalen Esoterikszene. Ich ging zum Fenster und öffnete die Gardinen. Blinzelnd stand ich ein paar Sekunden lang im dämmernden Sonnenlicht, verwirrt, während die wirkliche Welt anklopfte. Ich hob den Kopf, und ihr strahlendes Abbild erschien über mir.

       „Die Frau, auf die Sie warten, existiert nur in Ihrem Traum!“ Ihre funkelnden Augen leuchteten aus der zweiten Ebene und fielen auf das Buch mit dem roten Drachen auf dem Umschlag.

       „Und die Geschichte in meinem Kopf?“ Ich lag auf einer Liege mit unzähligen Kabeln verbunden und beobachtete mein Gesicht, das sich im Monitor spiegelte. Gerade war mein neuestes Buch erschienen, ein Werk, in dem ich mich mit der Schizophrenie unserer Zeitdimensionen und Raumeinteilungen beschäftigte. Deshalb war ich zu einem Kongreß für telepathische Kommunikation nach St. Gallen gereist.

       „Nur ein gesteuerter Traum! Wir haben ihn infrarot ausgeleuchtet, so daß Sie alles im Kopf deutlich wahrnehmen können.“

       „Dann wären Sie ja die Regisseurin dieser Situation“, stöhnte ich. Ich wollte erstmals in der Öffentlichkeit über die von mir entwickelte Öffnung an der Umschaltstelle zwischen linker und rechter Gehirnhälfte reden. „Aber warum sehen Sie wie die Journalistin aus?“

       „Um Ihnen den Aufenthalt in dieser Hölle zu erleichtern…“ Sie drückte einen losen Stecker in den Monitor zurück und löste damit in meinem Hirn einen Flashback aus: „… bevor der Autor das Buch zu Ende schreiben konnte, wurde er von einer feindlichen Agentin liquidiert. Deshalb habe ich dich gestern aus dem Club entführt und in diesem Hotelzimmer abgesetzt, um die Geschichte mit dir gemeinsam zu Ende zu träumen. Nun ist diese Hölle zu Ende und es ist meine Pflicht, dich an den Ausgang zu bringen“, hörte ich sie auf einer anderen Ebene in Du-Form sagen, aber bevor sie ihre langen Beine aus dem Bett schieben konnte, war sie schon wieder vom Bildschirm verschwunden.

       „Ich dachte, das sei der Anfang der Geschichte…“ Sofort tauchten alte Erinnerungen im Alpha-Bereich der rechten Hemisphäre auf. Ich spürte zwischen den Augen einen schmerzhaften Schlag. Gleichzeitig ließ sie die Filmspule zurückrollen: „Aus Sicherheitsgründen haben wir den Anfang in das Ende eingerollt“, erwiderte sie und leuchtete mir mit ihrer Taschenlampe ins Gesicht, und über den Gedankensimulator nahm ich auf dem Monitor wahr, daß ich selbst der Träumer war, der sich im Spiegel sah, und dessen Bilder nichts anderes als die schmerzhaften Phantasien des Autors waren, der auf das Anklopfen an die Bewußtseinstür reagierte. „Damit halten wir die Sünder in dieser Gedankenstruktur gefangen. Es gibt keine Strafmilderung in dieser Hölle!“

       Ich nickte ihr aufmerksam zu, obwohl ich nichts kapierte: „Dann gibt es keinen Ausgang aus der Vergangenheit?“

       Sie verstand meinen Einwand und lockerte den Griff: „Doch! Am Ende der Geschichte begegnet der Leser seinem Doppelgänger. Im Traum des Doppelgängers ist der Ausgang vorhanden. Der Leser wird auf die Traumebene verschoben und wacht dann als ‘er selbst’ in seiner Realität wieder auf.“

       „Und was passiert mit dem eigentlichen Leser?“

       „Er bleibt in den Träumen des Roten Drachens gefangen, um mitzuhelfen, die verschiedenen Dimensionen zu träumen, die jeder Sünder in dieser Hölle erfahren will“, fuhr sie fort. „Sehen Sie die Vergangenheit dort vorne? Ich werde Sie jetzt an den Anfang zurückrollen!“

       Sie drückte den „Return“-Knopf und der Film spulte sich zurück. Die Bilder in meinem Hirn begannen sich wie ein Karussell zu drehen und das anschwellende Empfinden meiner sexuellen Sprengkraft wurde vom Stakkato der über mich hereinprasselnden Vorstellungen in meinem Unterleib hochgetrommelt, als die Ausschnitte meiner Erinnerungen wie Filmsequenzen vor mir abrollten und dann wie auf ein geheimes Signal durch Zauberhand schlagartig stillstanden. Ich sah mich um. Sie lag immer noch da, die Priesterin von letzter Nacht. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Haut reflektierte das Licht. Sie besaß die geschwungenen Kurven einer schlanken Frau und zugleich eine herausfordernde Fülle. Ein Bein ragte unter der Bettdecke hervor. Die Erinnerung steigerte sich zu einer Intensität meines inneren Erlebens, so daß sich tatsächlich eine religiöse Dimension in mir regte und ich mich einen Sekundenbruchteil in einem sexuellen Gottesdienst wähnte. Ich faßte die Bettdecke, um ihre Gestalt


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