Stein mit Hörnern. Liselotte Welskopf-Henrich
noch Geld übrig. Ich will nicht sagen, dass sich eine solche Gelegenheit nicht wieder bietet. Aber ich möchte auch Field nicht verärgern, denn ein stetiger Kunde in der nächsten Stadt ist für einen Rancher mehr wert als irgendeiner in der Ferne, an den man ein einziges Mal teuer verkaufen kann. Und brauchst du nicht jetzt Bargeld, Queenie? Für Joe – für Klinik und Arztkosten?«
»Nein, im Augenblick noch nicht. Ich habe Auftrag gegeben, das Bild von Rotadlermädchen zu verkaufen, und ich bekomme Zuschuss vom Gesundheitsdienst. Ich kann also noch warten. Die große Summe später wäre mir wichtiger als die kleinere jetzt.«
»Du fährst zu Joe. Lass uns nichts entscheiden, ehe er gesprochen hat. Aber du musst ihm sagen, dass wir den Stier nicht länger auf der Weide haben können. Das Tier müsste schon weg, ehe Robert wieder ins Gefängnis geht.«
»Ich werde es Joe sagen.«
Mary stand auf. »Also, dann schlaf gut, Queenie. Und mach dir keine Sorgen. Auf den Ranches ist sonst alles in Ordnung.«
Mary wirtschaftete allein auf der Ranch, die sie von den Eltern übernommen hatte. Sie arbeitete mit den Kings, deren Ranch auf der Talseite gegenüber lag, auf das engste zusammen. Auch die Übernahme von Pachtland war aufeinander abgestimmt. Joe King und Mary Booth hatten die Schulranch, die Nachbar der King-Ranch war, miteinander geleitet. Nun hing alles an Mary allein. Queenie war auch auf einer Ranch aufgewachsen und verstand etwas von der Arbeit. Aber Marys Kräfte und ihre Erfahrungen im Umgang mit Lehrlingen und mit Viehhändlern hatte sie nicht. Sie war eine Malerin geworden. Seit Joe in der Klinik lag, blieb Mary die Stütze und der Grundstein aller Arbeit mit Mensch und Vieh auf den Ranches.
Queenie überwand sich, Mary noch nach etwas anderem zu fragen als nach der Arbeit.
»Mary, wie geht es deinem Kind?«
»Es wächst und gedeiht. Ich hab vor vier Monaten in dem gleichen Bett gelegen wie du jetzt, Queenie.«
Queenie nickte Gute Nacht.
Mary ging.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog Queenie Tashina die Decke bis über die Stirn. Ihre Augen waren nass. Ihr Körper zog sich zusammen.
Mary hatte in dem gleichen Bett gelegen.
Auch ihr Kind war Joes Kind.
Queenie hatte das immer gewusst. Aber nun war es ihr körperlich zu nahe, und sie meinte, es nicht ertragen zu können. Nach einer schlaflosen Nacht vermochte sie ihrem Säugling nur wenig Milch zu geben. Die Schwester wunderte sich.
»Sie haben zu viel Besuch gehabt, Mrs King. Wenn nur die Besuche fortbleiben wollten. Nun, in ein paar Tagen haben Sie es geschafft und machen selbst Besuch …«
»Bei meinem Mann, ja.«
»Eine so große Reise?«
»Ja – ja.«
Als der Tag kam, an dem Queenie die Klinik mit ihrem Neugeborenen verlassen konnte, wurde sie von Mary Booth und Wakiya in einem alten, aber etwas größeren Wagen abgeholt, als es das schnelle Sportcabriolet der Kings war. Daheim in dem neuen Haus und auch in der alten Blockhütte, die der kleine Erdenbürger so wie alle anderen Kings schon am ersten Tag seiner Einkehr bei der Familie mit seinen noch völlig unwissenden Augen sehen musste, fand sich alles um ihn ein, was zu den drei Ranches gehörte: die Geschwister, die Pflegegeschwister, Robert und die Rancherlehrlinge, auch Mary mit ihrem kleinen Sohn, der zu lachen anfing und, wie alle Babys zu tun pflegten, zu Queenie strebte. Queenie war junge Königin, und die junge Königin lachte und bewirtete ihre Gäste. Sie trug ein neues, ein weißes Kleid. Sie wollte damit Joe überraschen, aber nun hatte sie es kurzerhand schon für den Empfang ihrer Gäste in der alten Blockhütte angezogen, überzeugt, dass kein Fleck es beschmutzen könne. Ihre Brust war voll und rund, ihre Haut durchblutetes Braun, wie neu geschaffen. Ihr schwarzes langes Haar lag glänzend, glatt. Sie war schön. Das machte sie gesund. Staunend schauten ihre Pflegesöhne Wakiya und Hanska auf eine Mutter, die ihnen rein, liebevoll, liebenswert und rätselhaft wie der Mond erschien.
Am nächsten Tag schon startete Queenie. Sie hatte das Dach des Wagens geschlossen, aber die Luft konnte an diesem Frühlingstag nicht anders sein als kühl, erfüllt von dem Duft aller treibenden Kräfte. So drang sie auch durch Tür, Fenster und Leinwand.
Abends erreichte Queenie ihr Ziel. Sie fand am Stadtrand Unterkunft in einem Motel, das ihr empfohlen worden war, schlief, wie von Schwingen getragen, und erwachte mit der Sonne und der ersten leisen Unruhe des Kindes. Am hohen Vormittag fuhr sie vor dem Portal der Klinik vor. Weiß wie Schnee und strahlend wie Sonnengeglitzer, trat sie ein. Der Pförtner, die Stationsschwester, der Assistenzarzt, der ihr begegnete, staunten alle auf ihre Weise. Diese Mutter und ihr Kind waren etwas anderes als der Alltag, und sie waren etwas anderes als »schmutzige« Indianer. Queenie hatte gewusst, welches Äußere sie zur Schau tragen wollte. O ja, sie hatte es sehr genau gewusst. Der Erfolg gab ihr recht. Der Assistenzarzt begleitete sie. Es war nicht ganz ersichtlich, warum, vielleicht hätte sie den Aufzug nicht sogleich gefunden oder sich in den Zimmernummern nicht ausgekannt.
Die Tür zum Krankenzimmer brauchte er nicht zu öffnen, denn sie stand wie üblich offen. Vor Queenie lag das Zimmer, das sie schon kannte, standen die vier Betten, je zwei rechter und linker Hand. Rechter Hand in dem ersten, der Tür zunächst, lag Joe, auf dem Rücken ausgestreckt, die Arme und Hände genau gerade gerichtet. Am Hals war das Ende einer Schiene zu sehen. Die schlanken, abgemagerten Hände, der lange, schmale Schädel, das schwarze Haar, das ausgemergelte indianische Gesicht hoben sich als Kontrast von dem genormten weißen Bett ab. Aus halbgeöffneten Augen schaute Joe Queenie und dem Kind entgegen.
Neben dem Bett stand schon ein Stuhl bereit.
Queenie setzte sich. Sie hielt das Kind so, dass Joe das braunhäutige Gesichtchen, die kleinen Fäuste, die in zufriedenem Schlaf geschlossenen Lider sehen konnte.
Seine Züge veränderten sich, er lächelte mit der zarten Liebe, mit der ein indianischer Vater sein Kind begrüßt.
Queenie traten vor Freude die Tränen in die Augen. Sie schämte sich nicht, und sie wusste, dass Joe Freudentränen erkannte. Die beiden spielten mit den Augen miteinander. Sie spielten Melodien, die nur ihr inneres Ohr hörte, Trommeln in Nacht und Wind, Singen der Männer, Stampfen der Tänzer, Rauschen des heiligen Baumes, wiegendes Gras, wiehernde Pferde, Galopp über die Erde, mächtige Sonne, verblutend am Abend, auferstehend am Morgen. Besiegtes Volk, dürres Land, müden Sinn, wiedererwachenden Mut, Liebe der Menschen, Kinder um Vater und Mutter, lachend, weinend, wachsend, fragend, Mann und Frau in der Nacht. Tashina und Inya-he-yukan brauchten eine Stunde, um zu hören und zu verstehen, was in ihren Augen verborgen schimmerte und was in ihren Ohren ohne Laut erklang. So lange blieben sie beide still und regungslos, und das Kind schlief. Sie vergaßen, dass sie nicht allein waren, denn in Wahrheit waren sie allein.
Als die Stunde vergangen und alles gesagt war, was nicht ausgesprochen zu werden brauchte, begannen sie, in ihrer Stammessprache miteinander zu sprechen, die hier niemand außer ihnen selbst verstand. Sie konnten nicht belauscht werden, sie blieben noch immer ganz unter sich.
»Es sind alle gesund, Inya-he-yukan. Wakiya und Hanska, Kte Ohitaka und Wable-luta-win, Mary und ihr Sohn. Robert ist auch gesund.«
»Und was ist sonst noch mit ihm?«
Tashina liebte ihren Mann, wenn er schwieg, aber sie liebte auch seine Stimme, die dunkel und fest war.
»Robert war neun Tage in unserem Stammesgefängnis und muss noch einmal fünf Tage dorthin, weil er zu Sidney Bighorn, als dieser unsere Ranch besichtigen wollte, sehr unfreundliche Worte gesagt hat.«
Das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes erlosch.
»Als was kam Sidney?«
»Als Angestellter der Distriktverwaltung.«
»Du warst nicht da?«
»Ich war nicht da, auch Mary war nicht da.«
»Was wollte er denn von mir? Weißt du es?«
»Von dir?«
»Er